Mann sehen würden, der in seinem Vaterlande eine bedeutende Stellung einnehme. Als er nun in den Schulsaal eintrat, erhoben sich alle und machten eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung. Der Besucher aber, der den Brauch des Landes nicht kannte, beachtete diese Begrüßung nicht und begann sofort eine Ansprache über die Vorzüge der christlichen Religion. Der eine Akt der "Ungezogenheit" aber erschien den Schülern als der reinste Hohn auf die Vorzüge der christlichen Religion, und der ganze Vortrag ging -- wie einer der Hörer später versicherte -- eindruckslos über die Köpfe hinweg. Wenn mich ein frisch angekommener Europäer in meinen japanischen Gottesdienst begleitete, so mußte es einen sonderbaren Eindruck auf ihn machen, zu sehen, wie meine Predigt begann und schloß mit einer tiefen Ver- beugung gegen meine Zuhörer, welche von diesen auf das höflichste erwidert wurde. Hätte ich mich aber über diesen allgemeinen Brauch hinweggesetzt, so hätte ich bald vor leeren Bänken predigen dürfen.
Einst hatten wir Besuch von einem theologischen Landsmann, welcher auf einer Reise um die Welt auch Japan berührte. Ich führte ihn auch in das Gymna- sium. Wir kamen in die Prima, wo gerade ein deutscher Professor im Anschluß an ein Schillersches Drama Litteraturunterricht erteilte. Der gewandte Kavalier, der seine Salonprobe schon oftmals vor Fürsten glänzend bestanden hatte, hatte wohl keine Ahnung, daß seine Reputation als Weltmann vor einem Haufen schlecht- gekämmter japanischer Jünglinge elend in Brüche gehen sollte. Kaum hatte ich ihn dem Lehrer vorgestellt, so begann er denselben zu fragen: "Nun, verstehen Ihre Schüler denn auch, was sie lesen? Sind sie denn auch fleißig?" und andere Fragen mehr, welche nach japa-
Mann ſehen würden, der in ſeinem Vaterlande eine bedeutende Stellung einnehme. Als er nun in den Schulſaal eintrat, erhoben ſich alle und machten eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung. Der Beſucher aber, der den Brauch des Landes nicht kannte, beachtete dieſe Begrüßung nicht und begann ſofort eine Anſprache über die Vorzüge der chriſtlichen Religion. Der eine Akt der „Ungezogenheit“ aber erſchien den Schülern als der reinſte Hohn auf die Vorzüge der chriſtlichen Religion, und der ganze Vortrag ging — wie einer der Hörer ſpäter verſicherte — eindruckslos über die Köpfe hinweg. Wenn mich ein friſch angekommener Europäer in meinen japaniſchen Gottesdienſt begleitete, ſo mußte es einen ſonderbaren Eindruck auf ihn machen, zu ſehen, wie meine Predigt begann und ſchloß mit einer tiefen Ver- beugung gegen meine Zuhörer, welche von dieſen auf das höflichſte erwidert wurde. Hätte ich mich aber über dieſen allgemeinen Brauch hinweggeſetzt, ſo hätte ich bald vor leeren Bänken predigen dürfen.
Einſt hatten wir Beſuch von einem theologiſchen Landsmann, welcher auf einer Reiſe um die Welt auch Japan berührte. Ich führte ihn auch in das Gymna- ſium. Wir kamen in die Prima, wo gerade ein deutſcher Profeſſor im Anſchluß an ein Schillerſches Drama Litteraturunterricht erteilte. Der gewandte Kavalier, der ſeine Salonprobe ſchon oftmals vor Fürſten glänzend beſtanden hatte, hatte wohl keine Ahnung, daß ſeine Reputation als Weltmann vor einem Haufen ſchlecht- gekämmter japaniſcher Jünglinge elend in Brüche gehen ſollte. Kaum hatte ich ihn dem Lehrer vorgeſtellt, ſo begann er denſelben zu fragen: „Nun, verſtehen Ihre Schüler denn auch, was ſie leſen? Sind ſie denn auch fleißig?“ und andere Fragen mehr, welche nach japa-
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Mann ſehen würden, der in ſeinem Vaterlande eine
bedeutende Stellung einnehme. Als er nun in den
Schulſaal eintrat, erhoben ſich alle und machten eine
tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung. Der Beſucher aber,
der den Brauch des Landes nicht kannte, beachtete dieſe
Begrüßung nicht und begann ſofort eine Anſprache über
die Vorzüge der chriſtlichen Religion. Der eine Akt der
„Ungezogenheit“ aber erſchien den Schülern als der
reinſte Hohn auf die Vorzüge der chriſtlichen Religion,
und der ganze Vortrag ging — wie einer der Hörer
ſpäter verſicherte — eindruckslos über die Köpfe hinweg.
Wenn mich ein friſch angekommener Europäer in meinen
japaniſchen Gottesdienſt begleitete, ſo mußte es einen
ſonderbaren Eindruck auf ihn machen, zu ſehen, wie
meine Predigt begann und ſchloß mit einer tiefen Ver-
beugung gegen meine Zuhörer, welche von dieſen auf
das höflichſte erwidert wurde. Hätte ich mich aber
über dieſen allgemeinen Brauch hinweggeſetzt, ſo hätte
ich bald vor leeren Bänken predigen dürfen.
Einſt hatten wir Beſuch von einem theologiſchen
Landsmann, welcher auf einer Reiſe um die Welt auch
Japan berührte. Ich führte ihn auch in das Gymna-
ſium. Wir kamen in die Prima, wo gerade ein deutſcher
Profeſſor im Anſchluß an ein Schillerſches Drama
Litteraturunterricht erteilte. Der gewandte Kavalier,
der ſeine Salonprobe ſchon oftmals vor Fürſten glänzend
beſtanden hatte, hatte wohl keine Ahnung, daß ſeine
Reputation als Weltmann vor einem Haufen ſchlecht-
gekämmter japaniſcher Jünglinge elend in Brüche gehen
ſollte. Kaum hatte ich ihn dem Lehrer vorgeſtellt, ſo
begann er denſelben zu fragen: „Nun, verſtehen Ihre
Schüler denn auch, was ſie leſen? Sind ſie denn auch
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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