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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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die Verfassung die langersehnte Religionsfreiheit ver-
bürgt wurde, die böse Zeit für dasselbe begann. Mit
einem Male glaubte man entdeckt zu haben, daß durch
den christlichen Geist die Besonderheit und Eigentüm-
lichkeit des japanischen Charakters und damit die Grund-
lage der nationalen Selbständigkeit untergraben werde.
Der Patriotismus, und damit die größte japanische
Macht, wandte sich gegen das Christentum, sowie er
zuvor für dasselbe gewesen war. Ihm verbündeten
sich aber alle übrigen Geistesmächte; voraus die Bildung,
welche das Christentum als vernunftwidrig bekämpfte,
ferner der Buddhismus, welcher sich mit einem Male
als Träger des altjapanischen Geistes aufzuspielen wußte,
und endlich auch noch der Shintoismus, welchem in der
starken Betonung des Patriotismus noch einmal eine
Blütezeit anzubrechen schien. In der That erfüllte der
Kampf die alten erstarrten Religionen mit neuem Leben,
so daß sie in dieser Periode eine größere Bedeutung
gewannen, als sie in den letzten Jahrzehnten besaßen.
1890 erschien ein kaiserlicher Erlaß, welcher die mora-
lische Erziehung der Jugend wieder ganz auf die kon-
fuzianische Grundlage Altjapans stellte. Eine Flut von
christenfeindlicher Litteratur überströmte das Land. Bud-
dhistische Zeitschriften schossen wie Pilze aus der Erde
auf. Den Höhepunkt erreichte die litterarische Polemik
1893 in einer Schrift ("Kollision zwischen Religion und
Sittlichkeit") des Professors der Philosophie Inouye
Tetsujiro, der früher als Lektor am Orientalischen Seminar
zu Berlin thätig gewesen war. Inouye behauptete, das
Christentum habe in Europa keinen wirklichen Einfluß
außer bei Weibern und Kindern und Schustern und
Schneidern; gebildete Leute seien darüber hinaus; die
theologischen Fakultäten seien veraltete Anhängsel an
den Universitäten, ihre Professoren seien gute Gelehrte,

die Verfaſſung die langerſehnte Religionsfreiheit ver-
bürgt wurde, die böſe Zeit für dasſelbe begann. Mit
einem Male glaubte man entdeckt zu haben, daß durch
den chriſtlichen Geiſt die Beſonderheit und Eigentüm-
lichkeit des japaniſchen Charakters und damit die Grund-
lage der nationalen Selbſtändigkeit untergraben werde.
Der Patriotismus, und damit die größte japaniſche
Macht, wandte ſich gegen das Chriſtentum, ſowie er
zuvor für dasſelbe geweſen war. Ihm verbündeten
ſich aber alle übrigen Geiſtesmächte; voraus die Bildung,
welche das Chriſtentum als vernunftwidrig bekämpfte,
ferner der Buddhismus, welcher ſich mit einem Male
als Träger des altjapaniſchen Geiſtes aufzuſpielen wußte,
und endlich auch noch der Shintoismus, welchem in der
ſtarken Betonung des Patriotismus noch einmal eine
Blütezeit anzubrechen ſchien. In der That erfüllte der
Kampf die alten erſtarrten Religionen mit neuem Leben,
ſo daß ſie in dieſer Periode eine größere Bedeutung
gewannen, als ſie in den letzten Jahrzehnten beſaßen.
1890 erſchien ein kaiſerlicher Erlaß, welcher die mora-
liſche Erziehung der Jugend wieder ganz auf die kon-
fuzianiſche Grundlage Altjapans ſtellte. Eine Flut von
chriſtenfeindlicher Litteratur überſtrömte das Land. Bud-
dhiſtiſche Zeitſchriften ſchoſſen wie Pilze aus der Erde
auf. Den Höhepunkt erreichte die litterariſche Polemik
1893 in einer Schrift („Kolliſion zwiſchen Religion und
Sittlichkeit“) des Profeſſors der Philoſophie Inouye
Tetſujiro, der früher als Lektor am Orientaliſchen Seminar
zu Berlin thätig geweſen war. Inouye behauptete, das
Chriſtentum habe in Europa keinen wirklichen Einfluß
außer bei Weibern und Kindern und Schuſtern und
Schneidern; gebildete Leute ſeien darüber hinaus; die
theologiſchen Fakultäten ſeien veraltete Anhängſel an
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[292/0306] die Verfaſſung die langerſehnte Religionsfreiheit ver- bürgt wurde, die böſe Zeit für dasſelbe begann. Mit einem Male glaubte man entdeckt zu haben, daß durch den chriſtlichen Geiſt die Beſonderheit und Eigentüm- lichkeit des japaniſchen Charakters und damit die Grund- lage der nationalen Selbſtändigkeit untergraben werde. Der Patriotismus, und damit die größte japaniſche Macht, wandte ſich gegen das Chriſtentum, ſowie er zuvor für dasſelbe geweſen war. Ihm verbündeten ſich aber alle übrigen Geiſtesmächte; voraus die Bildung, welche das Chriſtentum als vernunftwidrig bekämpfte, ferner der Buddhismus, welcher ſich mit einem Male als Träger des altjapaniſchen Geiſtes aufzuſpielen wußte, und endlich auch noch der Shintoismus, welchem in der ſtarken Betonung des Patriotismus noch einmal eine Blütezeit anzubrechen ſchien. In der That erfüllte der Kampf die alten erſtarrten Religionen mit neuem Leben, ſo daß ſie in dieſer Periode eine größere Bedeutung gewannen, als ſie in den letzten Jahrzehnten beſaßen. 1890 erſchien ein kaiſerlicher Erlaß, welcher die mora- liſche Erziehung der Jugend wieder ganz auf die kon- fuzianiſche Grundlage Altjapans ſtellte. Eine Flut von chriſtenfeindlicher Litteratur überſtrömte das Land. Bud- dhiſtiſche Zeitſchriften ſchoſſen wie Pilze aus der Erde auf. Den Höhepunkt erreichte die litterariſche Polemik 1893 in einer Schrift („Kolliſion zwiſchen Religion und Sittlichkeit“) des Profeſſors der Philoſophie Inouye Tetſujiro, der früher als Lektor am Orientaliſchen Seminar zu Berlin thätig geweſen war. Inouye behauptete, das Chriſtentum habe in Europa keinen wirklichen Einfluß außer bei Weibern und Kindern und Schuſtern und Schneidern; gebildete Leute ſeien darüber hinaus; die theologiſchen Fakultäten ſeien veraltete Anhängſel an den Univerſitäten, ihre Profeſſoren ſeien gute Gelehrte,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/306>, abgerufen am 22.11.2024.