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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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sich in seinen politischen Erwartungen getäuscht sah.
Die Vertragsverhandlungen, welche die Gleichberechti-
gung Japans mit den Westmächten zur Unterlage hatten,
zerschlugen sich kurz vor dem Abschluß (1889), und die
Erbitterung darüber, sich als unkultivierte Nation be-
handelt zu sehen, schlug zu hellen Flammen auf. Man
fühlte sich um so mehr beleidigt, als man meinte, durch
die Proklamation der konstitutionellen Verfassung am
11. Februar 1889 den Anspruch auf den Namen eines
civilisierten Staates erworben zu haben. Die nationale
Enttäuschung machte sich Luft in einem Attentat auf
den Minister des Auswärtigen Okuma (Oktober 1889).
1890 wurde das erste Parlament eröffnet. Die Politik,
ohnedies das Steckenpferd der Japaner, verschlang alle
anderen, im besonderen die religiösen Interessen, und
als bald darauf der Kampf um Parlamentsherrschaft
oder Clansregierung begann, in dessen Verlauf das
Parlament mehrmals aufgelöst wurde und die Regie-
rung des öftern wechselte, kam man aus der politischen
Aufregung nicht mehr heraus.

Dem Fremden gegenüber versteifte man sich mit
Fleiß auf das Original-Japanische. Die europäische
Kleidung, welche immer mehr in Mode gekommen war,
verschwand bei den Frauen wenigstens vollständig, was
zwar vom ästhetischen Standpunkt aus keineswegs zu
beklagen ist. Gegenüber den in den Mädchenschulen der
Missionen mit Unbedacht gepflegten europäischen emanzi-
pierten Manieren besann man sich wieder auf das alt-
japanische Frauenideal. Europäische Zimmereinrich-
tungen, für welche man sich zuvor begeistert hatte, waren
billig wiederzuhaben, und selbst der Japaner, der jahre-
lang im Abendlande studiert hatte, verschmähte den
europäischen Stuhl und setzte sich nach japanischer Sitte
auf den Boden. Der Modernisierungsfanatismus hatte

ſich in ſeinen politiſchen Erwartungen getäuſcht ſah.
Die Vertragsverhandlungen, welche die Gleichberechti-
gung Japans mit den Weſtmächten zur Unterlage hatten,
zerſchlugen ſich kurz vor dem Abſchluß (1889), und die
Erbitterung darüber, ſich als unkultivierte Nation be-
handelt zu ſehen, ſchlug zu hellen Flammen auf. Man
fühlte ſich um ſo mehr beleidigt, als man meinte, durch
die Proklamation der konſtitutionellen Verfaſſung am
11. Februar 1889 den Anſpruch auf den Namen eines
civiliſierten Staates erworben zu haben. Die nationale
Enttäuſchung machte ſich Luft in einem Attentat auf
den Miniſter des Auswärtigen Okuma (Oktober 1889).
1890 wurde das erſte Parlament eröffnet. Die Politik,
ohnedies das Steckenpferd der Japaner, verſchlang alle
anderen, im beſonderen die religiöſen Intereſſen, und
als bald darauf der Kampf um Parlamentsherrſchaft
oder Clansregierung begann, in deſſen Verlauf das
Parlament mehrmals aufgelöſt wurde und die Regie-
rung des öftern wechſelte, kam man aus der politiſchen
Aufregung nicht mehr heraus.

Dem Fremden gegenüber verſteifte man ſich mit
Fleiß auf das Original-Japaniſche. Die europäiſche
Kleidung, welche immer mehr in Mode gekommen war,
verſchwand bei den Frauen wenigſtens vollſtändig, was
zwar vom äſthetiſchen Standpunkt aus keineswegs zu
beklagen iſt. Gegenüber den in den Mädchenſchulen der
Miſſionen mit Unbedacht gepflegten europäiſchen emanzi-
pierten Manieren beſann man ſich wieder auf das alt-
japaniſche Frauenideal. Europäiſche Zimmereinrich-
tungen, für welche man ſich zuvor begeiſtert hatte, waren
billig wiederzuhaben, und ſelbſt der Japaner, der jahre-
lang im Abendlande ſtudiert hatte, verſchmähte den
europäiſchen Stuhl und ſetzte ſich nach japaniſcher Sitte
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[290/0304] ſich in ſeinen politiſchen Erwartungen getäuſcht ſah. Die Vertragsverhandlungen, welche die Gleichberechti- gung Japans mit den Weſtmächten zur Unterlage hatten, zerſchlugen ſich kurz vor dem Abſchluß (1889), und die Erbitterung darüber, ſich als unkultivierte Nation be- handelt zu ſehen, ſchlug zu hellen Flammen auf. Man fühlte ſich um ſo mehr beleidigt, als man meinte, durch die Proklamation der konſtitutionellen Verfaſſung am 11. Februar 1889 den Anſpruch auf den Namen eines civiliſierten Staates erworben zu haben. Die nationale Enttäuſchung machte ſich Luft in einem Attentat auf den Miniſter des Auswärtigen Okuma (Oktober 1889). 1890 wurde das erſte Parlament eröffnet. Die Politik, ohnedies das Steckenpferd der Japaner, verſchlang alle anderen, im beſonderen die religiöſen Intereſſen, und als bald darauf der Kampf um Parlamentsherrſchaft oder Clansregierung begann, in deſſen Verlauf das Parlament mehrmals aufgelöſt wurde und die Regie- rung des öftern wechſelte, kam man aus der politiſchen Aufregung nicht mehr heraus. Dem Fremden gegenüber verſteifte man ſich mit Fleiß auf das Original-Japaniſche. Die europäiſche Kleidung, welche immer mehr in Mode gekommen war, verſchwand bei den Frauen wenigſtens vollſtändig, was zwar vom äſthetiſchen Standpunkt aus keineswegs zu beklagen iſt. Gegenüber den in den Mädchenſchulen der Miſſionen mit Unbedacht gepflegten europäiſchen emanzi- pierten Manieren beſann man ſich wieder auf das alt- japaniſche Frauenideal. Europäiſche Zimmereinrich- tungen, für welche man ſich zuvor begeiſtert hatte, waren billig wiederzuhaben, und ſelbſt der Japaner, der jahre- lang im Abendlande ſtudiert hatte, verſchmähte den europäiſchen Stuhl und ſetzte ſich nach japaniſcher Sitte auf den Boden. Der Moderniſierungsfanatismus hatte

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/304>, abgerufen am 25.11.2024.