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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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lichen Kraft und Gesundheit. Denn bei der japanischen
Mahlzeit fehlt all das, was wir in erster Linie für
nötig halten; da ist kein Fleisch, kein Brot, keine
Kartoffeln, keine Milch, keine Butter. Warum der
Japaner kein Fleisch, wenigstens kein Rind- und
Schweinefleisch ißt, weiß er selbst nicht mehr zu erklären,
und wenn er bei einem europäischen Mahl in die Lage
kommt, Fleisch zu sich zu nehmen, so thut er es anstands-
los. Ursprünglich aber ist es zurückzuführen auf den
Buddhismus, welcher verbot, Tiere zu töten, und das
um so mehr, als nach seiner Lehre von der Seelen-
wanderung die Seelen der Abgeschiedenen leicht in
Tiere übergegangen sein können. Der Hauptbestandteil
der japanischen Mahlzeit ist der Reis 1), und wie wir
von Morgen-, Mittag- und Abendessen sprechen, so der
Japaner von Morgen-, Mittag- und Abendreis. Neben
dem Reis sind es eine suppenartige Fisch- und Muschel-
brühe, roher und gebratener Fisch, Seetiere und See-
gewächse aller Art, zuweilen auch ein wenig Huhn oder
Wildbret, einige Arten von Gemüse, Schwämme, junge
Bambuswurzeln, eingemachte Rüben, eine Art süßer
Kartoffel, als Dessert Bohnenkuchen und andere Süßig-
keiten und zum Schluß Thee, welche die gewöhnlichen
Speisen bilden. Mitunter trinkt man auch über das
Essen ein Fläschchen Sake, ein aus Reis gebranntes
alkoholisches Getränk von sherryähnlichem scharfem Ge-
schmack, und nach dem Essen raucht man sein Pfeifchen
und zwar Mann und Frau, junge Mädchen und alte
Großmütterchen. Der Kuchen ist sehr schwer, die
Gemüse sind nur halb gar gekocht, die allzu reichlich

1) Der unvermögende Bauer zieht es freilich vor, seinen
Reis um gutes Geld zu verkaufen, um sich mit Weizen und Gerste
(mugi) zu begnügen.

lichen Kraft und Geſundheit. Denn bei der japaniſchen
Mahlzeit fehlt all das, was wir in erſter Linie für
nötig halten; da iſt kein Fleiſch, kein Brot, keine
Kartoffeln, keine Milch, keine Butter. Warum der
Japaner kein Fleiſch, wenigſtens kein Rind- und
Schweinefleiſch ißt, weiß er ſelbſt nicht mehr zu erklären,
und wenn er bei einem europäiſchen Mahl in die Lage
kommt, Fleiſch zu ſich zu nehmen, ſo thut er es anſtands-
los. Urſprünglich aber iſt es zurückzuführen auf den
Buddhismus, welcher verbot, Tiere zu töten, und das
um ſo mehr, als nach ſeiner Lehre von der Seelen-
wanderung die Seelen der Abgeſchiedenen leicht in
Tiere übergegangen ſein können. Der Hauptbeſtandteil
der japaniſchen Mahlzeit iſt der Reis 1), und wie wir
von Morgen-, Mittag- und Abendeſſen ſprechen, ſo der
Japaner von Morgen-, Mittag- und Abendreis. Neben
dem Reis ſind es eine ſuppenartige Fiſch- und Muſchel-
brühe, roher und gebratener Fiſch, Seetiere und See-
gewächſe aller Art, zuweilen auch ein wenig Huhn oder
Wildbret, einige Arten von Gemüſe, Schwämme, junge
Bambuswurzeln, eingemachte Rüben, eine Art ſüßer
Kartoffel, als Deſſert Bohnenkuchen und andere Süßig-
keiten und zum Schluß Thee, welche die gewöhnlichen
Speiſen bilden. Mitunter trinkt man auch über das
Eſſen ein Fläſchchen Saké, ein aus Reis gebranntes
alkoholiſches Getränk von ſherryähnlichem ſcharfem Ge-
ſchmack, und nach dem Eſſen raucht man ſein Pfeifchen
und zwar Mann und Frau, junge Mädchen und alte
Großmütterchen. Der Kuchen iſt ſehr ſchwer, die
Gemüſe ſind nur halb gar gekocht, die allzu reichlich

1) Der unvermögende Bauer zieht es freilich vor, ſeinen
Reis um gutes Geld zu verkaufen, um ſich mit Weizen und Gerſte
(mugi) zu begnügen.
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[16/0030] lichen Kraft und Geſundheit. Denn bei der japaniſchen Mahlzeit fehlt all das, was wir in erſter Linie für nötig halten; da iſt kein Fleiſch, kein Brot, keine Kartoffeln, keine Milch, keine Butter. Warum der Japaner kein Fleiſch, wenigſtens kein Rind- und Schweinefleiſch ißt, weiß er ſelbſt nicht mehr zu erklären, und wenn er bei einem europäiſchen Mahl in die Lage kommt, Fleiſch zu ſich zu nehmen, ſo thut er es anſtands- los. Urſprünglich aber iſt es zurückzuführen auf den Buddhismus, welcher verbot, Tiere zu töten, und das um ſo mehr, als nach ſeiner Lehre von der Seelen- wanderung die Seelen der Abgeſchiedenen leicht in Tiere übergegangen ſein können. Der Hauptbeſtandteil der japaniſchen Mahlzeit iſt der Reis 1), und wie wir von Morgen-, Mittag- und Abendeſſen ſprechen, ſo der Japaner von Morgen-, Mittag- und Abendreis. Neben dem Reis ſind es eine ſuppenartige Fiſch- und Muſchel- brühe, roher und gebratener Fiſch, Seetiere und See- gewächſe aller Art, zuweilen auch ein wenig Huhn oder Wildbret, einige Arten von Gemüſe, Schwämme, junge Bambuswurzeln, eingemachte Rüben, eine Art ſüßer Kartoffel, als Deſſert Bohnenkuchen und andere Süßig- keiten und zum Schluß Thee, welche die gewöhnlichen Speiſen bilden. Mitunter trinkt man auch über das Eſſen ein Fläſchchen Saké, ein aus Reis gebranntes alkoholiſches Getränk von ſherryähnlichem ſcharfem Ge- ſchmack, und nach dem Eſſen raucht man ſein Pfeifchen und zwar Mann und Frau, junge Mädchen und alte Großmütterchen. Der Kuchen iſt ſehr ſchwer, die Gemüſe ſind nur halb gar gekocht, die allzu reichlich 1) Der unvermögende Bauer zieht es freilich vor, ſeinen Reis um gutes Geld zu verkaufen, um ſich mit Weizen und Gerſte (mugi) zu begnügen.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/30>, abgerufen am 27.11.2024.