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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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daraus kein Hehl. Nicht lange nachdem die Gesandten
Berlin verlassen hatten, fragte man bei Prof. Gneist
daselbst an, was er von einer etwaigen Annahme
des Christentums durch Japan halte, (wobei man sich
allerdings lediglich von politischen Utilitätsgründen
leiten ließ). Gneist gab darauf die einzig richtige
Antwort, daß sich dasselbe nicht wie eine Staats
verfassung einfach in ein anderes Land hinüber pflanzen
lasse, und auf diese Antwort hin legte man den aben-
teuerlichen Gedanken einstweilen beiseite.

Im Jahre 1873 kehrte Iwakuras Gesandtschaft
zurück, und nun begann eine gründliche Reformation
des Staatswesens nach europäischen Mustern, welche
naturgemäß auch dem Christentum zu gute kam. Schon
in demselben Jahre, sogar noch einige Monate vor
Iwakuras Heimkehr, wurden die Strafgesetze gegen die
Christen von den öffentlichen Anschlagbrettern entfernt.
Im gleichen Jahre ließ man den chinesischen Kalender
fallen und setzte den gregorianischen an seine Stelle,
und drei Jahre später (1876) hob man die Gesetze
gegen das Christentum auch formell auf und führte
den Sonntag als Ruhetag für die Beamtenschaft, die
Schulen und das Militär ein.

Daß sich solche Umwälzungen nicht ohne Wider-
spruch und Kampf vollzogen, versteht sich von selbst.
Der Geist Altjapans, vorzüglich durch den Samurai-
stand vertreten, leistete heftigen, aber vergeblichen
Widerstand. Rasch nacheinander brachen Aufstände
aus, die aber blutig niedergeschlagen wurden. Der
letzte war der von Kagoshima unter der Führung des
gewaltigen Saigo, des populärsten Helden im modernen
Japan, der im Jahre 1868 das neue Reich mit Blut
und Eisen zusammengeschmiedet hatte und jetzt den

daraus kein Hehl. Nicht lange nachdem die Geſandten
Berlin verlaſſen hatten, fragte man bei Prof. Gneiſt
daſelbſt an, was er von einer etwaigen Annahme
des Chriſtentums durch Japan halte, (wobei man ſich
allerdings lediglich von politiſchen Utilitätsgründen
leiten ließ). Gneiſt gab darauf die einzig richtige
Antwort, daß ſich dasſelbe nicht wie eine Staats
verfaſſung einfach in ein anderes Land hinüber pflanzen
laſſe, und auf dieſe Antwort hin legte man den aben-
teuerlichen Gedanken einſtweilen beiſeite.

Im Jahre 1873 kehrte Iwakuras Geſandtſchaft
zurück, und nun begann eine gründliche Reformation
des Staatsweſens nach europäiſchen Muſtern, welche
naturgemäß auch dem Chriſtentum zu gute kam. Schon
in demſelben Jahre, ſogar noch einige Monate vor
Iwakuras Heimkehr, wurden die Strafgeſetze gegen die
Chriſten von den öffentlichen Anſchlagbrettern entfernt.
Im gleichen Jahre ließ man den chineſiſchen Kalender
fallen und ſetzte den gregorianiſchen an ſeine Stelle,
und drei Jahre ſpäter (1876) hob man die Geſetze
gegen das Chriſtentum auch formell auf und führte
den Sonntag als Ruhetag für die Beamtenſchaft, die
Schulen und das Militär ein.

Daß ſich ſolche Umwälzungen nicht ohne Wider-
ſpruch und Kampf vollzogen, verſteht ſich von ſelbſt.
Der Geiſt Altjapans, vorzüglich durch den Samurai-
ſtand vertreten, leiſtete heftigen, aber vergeblichen
Widerſtand. Raſch nacheinander brachen Aufſtände
aus, die aber blutig niedergeſchlagen wurden. Der
letzte war der von Kagoſhima unter der Führung des
gewaltigen Saigo, des populärſten Helden im modernen
Japan, der im Jahre 1868 das neue Reich mit Blut
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[269/0283] daraus kein Hehl. Nicht lange nachdem die Geſandten Berlin verlaſſen hatten, fragte man bei Prof. Gneiſt daſelbſt an, was er von einer etwaigen Annahme des Chriſtentums durch Japan halte, (wobei man ſich allerdings lediglich von politiſchen Utilitätsgründen leiten ließ). Gneiſt gab darauf die einzig richtige Antwort, daß ſich dasſelbe nicht wie eine Staats verfaſſung einfach in ein anderes Land hinüber pflanzen laſſe, und auf dieſe Antwort hin legte man den aben- teuerlichen Gedanken einſtweilen beiſeite. Im Jahre 1873 kehrte Iwakuras Geſandtſchaft zurück, und nun begann eine gründliche Reformation des Staatsweſens nach europäiſchen Muſtern, welche naturgemäß auch dem Chriſtentum zu gute kam. Schon in demſelben Jahre, ſogar noch einige Monate vor Iwakuras Heimkehr, wurden die Strafgeſetze gegen die Chriſten von den öffentlichen Anſchlagbrettern entfernt. Im gleichen Jahre ließ man den chineſiſchen Kalender fallen und ſetzte den gregorianiſchen an ſeine Stelle, und drei Jahre ſpäter (1876) hob man die Geſetze gegen das Chriſtentum auch formell auf und führte den Sonntag als Ruhetag für die Beamtenſchaft, die Schulen und das Militär ein. Daß ſich ſolche Umwälzungen nicht ohne Wider- ſpruch und Kampf vollzogen, verſteht ſich von ſelbſt. Der Geiſt Altjapans, vorzüglich durch den Samurai- ſtand vertreten, leiſtete heftigen, aber vergeblichen Widerſtand. Raſch nacheinander brachen Aufſtände aus, die aber blutig niedergeſchlagen wurden. Der letzte war der von Kagoſhima unter der Führung des gewaltigen Saigo, des populärſten Helden im modernen Japan, der im Jahre 1868 das neue Reich mit Blut und Eiſen zuſammengeſchmiedet hatte und jetzt den

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/283>, abgerufen am 24.11.2024.