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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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schändung, für Blutschande und Sodomiterei, für Tötung
fremder Tiere und Behexung, also für Sünden, die mit
leiblicher Befleckung enge Berührung haben. Die feineren,
aber nicht minder verderblichen Sünden bleiben uner-
wähnt. Als ein wahrhaft klassisches Beispiel japa-
nischer Höflichkeit darf es bezeichnet werden, daß in
dem dabei verlesenen Gebet dem Volke diese Sünden
nicht geradehin auf den Kopf zugesagt werden, sondern
daß von ihnen als von "wohl nur durch Achtlosigkeit
begangenen Sünden" geredet wird 1). Außer dem "O
harai"
sind es noch einige wenige Feste, die in den
Tempeln nach einer kaiserlichen Verordnung modernen
Datums zu feiern sind 2). Doch handelt es sich dabei
mehr um eine bureaukratische Einrichtung als um popu-
läre Religion.

Ich habe mich auf Mitake vergeblich bemüht her-
auszubringen, wer die Gottheit ist, die man dort ver-
ehrt. Der Shintoismus hat eine Unmenge von Göttern.
Das Kojiki spricht von achthundert Myriaden d. h. von
acht Millionen, und da sind die bösen Götter noch nicht
einmal dabei; und seit den Zeiten des Kojiki ist die
Zahl noch größer geworden. Man denkt sich eben den
Himmel in derselben Weise bevölkert wie die Erde.
Die gewöhnlichen Götter, die selbst nur Diener der
höheren sind, sind für die religiöse Verehrung belanglos.
Die in Mitake verehrte Gottheit ist als eine mit der
Landwirtschaft befaßte Naturgottheit gedacht, aber in

1) Man vergleiche dazu auch die von A. B. Mitford ("Tales
of Old Japan"
) mitgeteilten buddhistischen Predigten, wo der
Prediger auch in vollendeter Höflichkeit, aber mit feiner Ironie
sagt: "Ich will damit nicht gesagt haben, daß es solche schlechte
Leute auch hier unter euch giebt; aber dennoch findet man viele
derselben z. B. in den Winkelgassen von China und Indien".
2) Vergl. Spinner: "Moderner Shintoismus" Z. M. R. V, 1 ff.

ſchändung, für Blutſchande und Sodomiterei, für Tötung
fremder Tiere und Behexung, alſo für Sünden, die mit
leiblicher Befleckung enge Berührung haben. Die feineren,
aber nicht minder verderblichen Sünden bleiben uner-
wähnt. Als ein wahrhaft klaſſiſches Beiſpiel japa-
niſcher Höflichkeit darf es bezeichnet werden, daß in
dem dabei verleſenen Gebet dem Volke dieſe Sünden
nicht geradehin auf den Kopf zugeſagt werden, ſondern
daß von ihnen als von „wohl nur durch Achtloſigkeit
begangenen Sünden“ geredet wird 1). Außer dem „O
harai“
ſind es noch einige wenige Feſte, die in den
Tempeln nach einer kaiſerlichen Verordnung modernen
Datums zu feiern ſind 2). Doch handelt es ſich dabei
mehr um eine bureaukratiſche Einrichtung als um popu-
läre Religion.

Ich habe mich auf Mitake vergeblich bemüht her-
auszubringen, wer die Gottheit iſt, die man dort ver-
ehrt. Der Shintoismus hat eine Unmenge von Göttern.
Das Kojiki ſpricht von achthundert Myriaden d. h. von
acht Millionen, und da ſind die böſen Götter noch nicht
einmal dabei; und ſeit den Zeiten des Kojiki iſt die
Zahl noch größer geworden. Man denkt ſich eben den
Himmel in derſelben Weiſe bevölkert wie die Erde.
Die gewöhnlichen Götter, die ſelbſt nur Diener der
höheren ſind, ſind für die religiöſe Verehrung belanglos.
Die in Mitake verehrte Gottheit iſt als eine mit der
Landwirtſchaft befaßte Naturgottheit gedacht, aber in

1) Man vergleiche dazu auch die von A. B. Mitford („Tales
of Old Japan“
) mitgeteilten buddhiſtiſchen Predigten, wo der
Prediger auch in vollendeter Höflichkeit, aber mit feiner Ironie
ſagt: „Ich will damit nicht geſagt haben, daß es ſolche ſchlechte
Leute auch hier unter euch giebt; aber dennoch findet man viele
derſelben z. B. in den Winkelgaſſen von China und Indien“.
2) Vergl. Spinner: „Moderner Shintoismus“ Z. M. R. V, 1 ff.
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[210/0224] ſchändung, für Blutſchande und Sodomiterei, für Tötung fremder Tiere und Behexung, alſo für Sünden, die mit leiblicher Befleckung enge Berührung haben. Die feineren, aber nicht minder verderblichen Sünden bleiben uner- wähnt. Als ein wahrhaft klaſſiſches Beiſpiel japa- niſcher Höflichkeit darf es bezeichnet werden, daß in dem dabei verleſenen Gebet dem Volke dieſe Sünden nicht geradehin auf den Kopf zugeſagt werden, ſondern daß von ihnen als von „wohl nur durch Achtloſigkeit begangenen Sünden“ geredet wird 1). Außer dem „O harai“ ſind es noch einige wenige Feſte, die in den Tempeln nach einer kaiſerlichen Verordnung modernen Datums zu feiern ſind 2). Doch handelt es ſich dabei mehr um eine bureaukratiſche Einrichtung als um popu- läre Religion. Ich habe mich auf Mitake vergeblich bemüht her- auszubringen, wer die Gottheit iſt, die man dort ver- ehrt. Der Shintoismus hat eine Unmenge von Göttern. Das Kojiki ſpricht von achthundert Myriaden d. h. von acht Millionen, und da ſind die böſen Götter noch nicht einmal dabei; und ſeit den Zeiten des Kojiki iſt die Zahl noch größer geworden. Man denkt ſich eben den Himmel in derſelben Weiſe bevölkert wie die Erde. Die gewöhnlichen Götter, die ſelbſt nur Diener der höheren ſind, ſind für die religiöſe Verehrung belanglos. Die in Mitake verehrte Gottheit iſt als eine mit der Landwirtſchaft befaßte Naturgottheit gedacht, aber in 1) Man vergleiche dazu auch die von A. B. Mitford („Tales of Old Japan“) mitgeteilten buddhiſtiſchen Predigten, wo der Prediger auch in vollendeter Höflichkeit, aber mit feiner Ironie ſagt: „Ich will damit nicht geſagt haben, daß es ſolche ſchlechte Leute auch hier unter euch giebt; aber dennoch findet man viele derſelben z. B. in den Winkelgaſſen von China und Indien“. 2) Vergl. Spinner: „Moderner Shintoismus“ Z. M. R. V, 1 ff.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/224>, abgerufen am 23.11.2024.