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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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hang mit seinem gesamten Geistesleben bestimmen. Nach
dem, was dort (III.) gesagt worden ist, kann für uns
kein Zweifel bestehen. Der Japaner ist gewiß religiös,
so gewiß, als die Religion in dem Geistesleben eines
jeden Volkes einen Bestandteil und zwar einen Haupt-
bestandteil bildet; aber für die Geisteshöhen und -tiefen
der Religion ist er weit weniger empfänglich als der
Arier. Der Japaner ist eine Marthanatur, geschäftig,
geschickt, praktisch, wohl auch etwas äußerlich; aber er
ist nicht sehr viel von einer Marianatur, nicht bemerkens-
wert tief, innerlich, finnig und innig. Die äußere Welt
der greifbaren Wirklichkeit steht ihm über der inneren
Welt der Herzensideale, das praktisch-sittliche Leben
über der Mystik. Das Ziel des Japaners ist nicht,
den Menschen zu sich selbst in Harmonie zu setzen,
sondern das Verhältnis des Menschen zu seinem Neben-
menschen, des Gatten zur Gattin, des Kindes zum
Vater, des Schülers zum Lehrer, des Unterthanen zum
Herrscher, des Freundes zum Freunde genau zu be-
stimmen. Der Japaner ist in hohem Grade eine
ethische, in schwächerem eine religiöse Persönlichkeit.

Es giebt kaum ein zweites Volk, wo sich die Ethik
so sehr von der Religion emanzipiert hätte, und zwar
nicht erst infolge eines langen geschichtlichen Prozesses,
sondern von altersher. Das System des Konfuzius,
welches seit seiner Einführung in den ersten Jahr-
hunderten unserer Zeitrechnung unter Zugrundelegung
der Pietät und Loyalität die gesamten sittlichen Lebens-
verhältnisse der Japaner gestaltet hat, steht der Religion
gänzlich fern; nicht als ob Konfuzius die Religion be-
kämpfte, aber sie ist ihm gleichgültig. Auf der andern
Seite wurden die Religionen, welchen mit Bezug auf
die Sittlichkeit wenig mehr zu thun übrig blieb, fast

hang mit ſeinem geſamten Geiſtesleben beſtimmen. Nach
dem, was dort (III.) geſagt worden iſt, kann für uns
kein Zweifel beſtehen. Der Japaner iſt gewiß religiös,
ſo gewiß, als die Religion in dem Geiſtesleben eines
jeden Volkes einen Beſtandteil und zwar einen Haupt-
beſtandteil bildet; aber für die Geiſteshöhen und -tiefen
der Religion iſt er weit weniger empfänglich als der
Arier. Der Japaner iſt eine Marthanatur, geſchäftig,
geſchickt, praktiſch, wohl auch etwas äußerlich; aber er
iſt nicht ſehr viel von einer Marianatur, nicht bemerkens-
wert tief, innerlich, finnig und innig. Die äußere Welt
der greifbaren Wirklichkeit ſteht ihm über der inneren
Welt der Herzensideale, das praktiſch-ſittliche Leben
über der Myſtik. Das Ziel des Japaners iſt nicht,
den Menſchen zu ſich ſelbſt in Harmonie zu ſetzen,
ſondern das Verhältnis des Menſchen zu ſeinem Neben-
menſchen, des Gatten zur Gattin, des Kindes zum
Vater, des Schülers zum Lehrer, des Unterthanen zum
Herrſcher, des Freundes zum Freunde genau zu be-
ſtimmen. Der Japaner iſt in hohem Grade eine
ethiſche, in ſchwächerem eine religiöſe Perſönlichkeit.

Es giebt kaum ein zweites Volk, wo ſich die Ethik
ſo ſehr von der Religion emanzipiert hätte, und zwar
nicht erſt infolge eines langen geſchichtlichen Prozeſſes,
ſondern von altersher. Das Syſtem des Konfuzius,
welches ſeit ſeiner Einführung in den erſten Jahr-
hunderten unſerer Zeitrechnung unter Zugrundelegung
der Pietät und Loyalität die geſamten ſittlichen Lebens-
verhältniſſe der Japaner geſtaltet hat, ſteht der Religion
gänzlich fern; nicht als ob Konfuzius die Religion be-
kämpfte, aber ſie iſt ihm gleichgültig. Auf der andern
Seite wurden die Religionen, welchen mit Bezug auf
die Sittlichkeit wenig mehr zu thun übrig blieb, faſt

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[187/0201] hang mit ſeinem geſamten Geiſtesleben beſtimmen. Nach dem, was dort (III.) geſagt worden iſt, kann für uns kein Zweifel beſtehen. Der Japaner iſt gewiß religiös, ſo gewiß, als die Religion in dem Geiſtesleben eines jeden Volkes einen Beſtandteil und zwar einen Haupt- beſtandteil bildet; aber für die Geiſteshöhen und -tiefen der Religion iſt er weit weniger empfänglich als der Arier. Der Japaner iſt eine Marthanatur, geſchäftig, geſchickt, praktiſch, wohl auch etwas äußerlich; aber er iſt nicht ſehr viel von einer Marianatur, nicht bemerkens- wert tief, innerlich, finnig und innig. Die äußere Welt der greifbaren Wirklichkeit ſteht ihm über der inneren Welt der Herzensideale, das praktiſch-ſittliche Leben über der Myſtik. Das Ziel des Japaners iſt nicht, den Menſchen zu ſich ſelbſt in Harmonie zu ſetzen, ſondern das Verhältnis des Menſchen zu ſeinem Neben- menſchen, des Gatten zur Gattin, des Kindes zum Vater, des Schülers zum Lehrer, des Unterthanen zum Herrſcher, des Freundes zum Freunde genau zu be- ſtimmen. Der Japaner iſt in hohem Grade eine ethiſche, in ſchwächerem eine religiöſe Perſönlichkeit. Es giebt kaum ein zweites Volk, wo ſich die Ethik ſo ſehr von der Religion emanzipiert hätte, und zwar nicht erſt infolge eines langen geſchichtlichen Prozeſſes, ſondern von altersher. Das Syſtem des Konfuzius, welches ſeit ſeiner Einführung in den erſten Jahr- hunderten unſerer Zeitrechnung unter Zugrundelegung der Pietät und Loyalität die geſamten ſittlichen Lebens- verhältniſſe der Japaner geſtaltet hat, ſteht der Religion gänzlich fern; nicht als ob Konfuzius die Religion be- kämpfte, aber ſie iſt ihm gleichgültig. Auf der andern Seite wurden die Religionen, welchen mit Bezug auf die Sittlichkeit wenig mehr zu thun übrig blieb, faſt

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/201>, abgerufen am 22.11.2024.