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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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weniger Jahre verderben. Im Bauernstand aber steckt
die physische Kraft des Volkes, und die Regierung wird
gut thun, alle Mittel anzuwenden, um diesen Stand
vor dem Ruin zu bewahren 1).

Der Richterstand zeichnet sich durch große Unbestech-
lichkeit aus. Das Beamtentum ist im allgemeinen zu-
verlässig. Es setzt sich fast ausschließlich aus Gliedern
ehemaliger Samuraifamilien zusammen, die eben doch
gemäß ihrer jahrhundertelangen Erziehung der Kern
und die Seele des Volkes und so auch die treibende
Kraft des modernen Japans sind. Mit dem Beginn
der Restauration aus ihren alten Dienstverhältnissen
als Gefolgsleute der Daimyo entlassen und gewisser-
maßen als Bettler auf die Straße geworfen, haben sie
sich bewundernswert in die neuen Verhältnisse hinein-
gefunden; und wenn es früher im Sprichwort von ihnen
hieß: "Die Seele des Samurai ist sein Schwert", so
haben sie heute das Schwert mit der Feder oder viel-
mehr, da man in Japan nicht mit Federn schreibt, mit
dem Pinsel vertauscht und sind ebenso wackere Beamte
und Gelehrten geworden, wie sie früher Krieger gewesen
sind. Nur allmählich ziehen sich auch die Söhne der
andern Kasten in Beamtenstellungen nach.

Als ein Mangel muß es bezeichnet werden, daß
der amerikanische Usus der Stellenbesetzung noch in
weitem Umfange besteht. Die Restauration wurde haupt-
sächlich durch die Fürsten und Soldaten der Provinzen
Satsuma und Choshu durchgesetzt, und seitdem betrachten
diese beiden hochbegabten Clans die Verwaltung des
neuen Reichs als ein Gebiet, auf welches sie die erste

1) Vergl. L. Lönholm "Japans moderne Civilisation", ein
Büchlein, welches in gedrängter Kürze eine treffliche Übersicht über
Japans äußere Kulturfortschritte giebt.

weniger Jahre verderben. Im Bauernſtand aber ſteckt
die phyſiſche Kraft des Volkes, und die Regierung wird
gut thun, alle Mittel anzuwenden, um dieſen Stand
vor dem Ruin zu bewahren 1).

Der Richterſtand zeichnet ſich durch große Unbeſtech-
lichkeit aus. Das Beamtentum iſt im allgemeinen zu-
verläſſig. Es ſetzt ſich faſt ausſchließlich aus Gliedern
ehemaliger Samuraifamilien zuſammen, die eben doch
gemäß ihrer jahrhundertelangen Erziehung der Kern
und die Seele des Volkes und ſo auch die treibende
Kraft des modernen Japans ſind. Mit dem Beginn
der Reſtauration aus ihren alten Dienſtverhältniſſen
als Gefolgsleute der Daimyo entlaſſen und gewiſſer-
maßen als Bettler auf die Straße geworfen, haben ſie
ſich bewundernswert in die neuen Verhältniſſe hinein-
gefunden; und wenn es früher im Sprichwort von ihnen
hieß: „Die Seele des Samurai iſt ſein Schwert“, ſo
haben ſie heute das Schwert mit der Feder oder viel-
mehr, da man in Japan nicht mit Federn ſchreibt, mit
dem Pinſel vertauſcht und ſind ebenſo wackere Beamte
und Gelehrten geworden, wie ſie früher Krieger geweſen
ſind. Nur allmählich ziehen ſich auch die Söhne der
andern Kaſten in Beamtenſtellungen nach.

Als ein Mangel muß es bezeichnet werden, daß
der amerikaniſche Uſus der Stellenbeſetzung noch in
weitem Umfange beſteht. Die Reſtauration wurde haupt-
ſächlich durch die Fürſten und Soldaten der Provinzen
Satſuma und Choſhu durchgeſetzt, und ſeitdem betrachten
dieſe beiden hochbegabten Clans die Verwaltung des
neuen Reichs als ein Gebiet, auf welches ſie die erſte

1) Vergl. L. Lönholm „Japans moderne Civiliſation“, ein
Büchlein, welches in gedrängter Kürze eine treffliche Überſicht über
Japans äußere Kulturfortſchritte giebt.
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[175/0189] weniger Jahre verderben. Im Bauernſtand aber ſteckt die phyſiſche Kraft des Volkes, und die Regierung wird gut thun, alle Mittel anzuwenden, um dieſen Stand vor dem Ruin zu bewahren 1). Der Richterſtand zeichnet ſich durch große Unbeſtech- lichkeit aus. Das Beamtentum iſt im allgemeinen zu- verläſſig. Es ſetzt ſich faſt ausſchließlich aus Gliedern ehemaliger Samuraifamilien zuſammen, die eben doch gemäß ihrer jahrhundertelangen Erziehung der Kern und die Seele des Volkes und ſo auch die treibende Kraft des modernen Japans ſind. Mit dem Beginn der Reſtauration aus ihren alten Dienſtverhältniſſen als Gefolgsleute der Daimyo entlaſſen und gewiſſer- maßen als Bettler auf die Straße geworfen, haben ſie ſich bewundernswert in die neuen Verhältniſſe hinein- gefunden; und wenn es früher im Sprichwort von ihnen hieß: „Die Seele des Samurai iſt ſein Schwert“, ſo haben ſie heute das Schwert mit der Feder oder viel- mehr, da man in Japan nicht mit Federn ſchreibt, mit dem Pinſel vertauſcht und ſind ebenſo wackere Beamte und Gelehrten geworden, wie ſie früher Krieger geweſen ſind. Nur allmählich ziehen ſich auch die Söhne der andern Kaſten in Beamtenſtellungen nach. Als ein Mangel muß es bezeichnet werden, daß der amerikaniſche Uſus der Stellenbeſetzung noch in weitem Umfange beſteht. Die Reſtauration wurde haupt- ſächlich durch die Fürſten und Soldaten der Provinzen Satſuma und Choſhu durchgeſetzt, und ſeitdem betrachten dieſe beiden hochbegabten Clans die Verwaltung des neuen Reichs als ein Gebiet, auf welches ſie die erſte 1) Vergl. L. Lönholm „Japans moderne Civiliſation“, ein Büchlein, welches in gedrängter Kürze eine treffliche Überſicht über Japans äußere Kulturfortſchritte giebt.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/189>, abgerufen am 22.11.2024.