Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

zuwachsen. Die europäischen Ratgeber bei der japanischen
Regierung versichern, daß es in der Verwaltung viel
sauberer und reinlicher zugehe als beispielsweise in den
Vereinigten Staaten Amerikas und in den romanischen
Staaten Europas, von dem kranken Mann am Goldenen
Horn nicht zu reden.

Die Finanzwirtschaft 1) braucht das Tageslicht nicht
zu scheuen. Zwar giebt es auch hier Minister, welche
im Amte reich geworden sind. Aber direkte Verun-
treuungen und systematische Ausbeutung können der
Regierung nicht entfernt vorgeworfen werden. Die
Finanzverwaltung ist äußerst sparsam, und wenn auch
die neue Zeit mit ihren großen Anforderungen besonders
von seiten des Militarismus große Opfer erfordert, so
sind die Beamten dabei die letzten, die sich zurückstellen.
Das Beispiel, welches der Kaiser auf den Rat seiner
Minister vor einigen Jahren gab, indem er die von dem
Parlament zum Bau von Kriegsschiffen verweigerten
Mittel dadurch beschaffte, daß er bis zur Deckung der
Kosten ein Zehntel sämtlicher Beamtengehälter, von
seiner eigenen Civilliste beginnend, bis hinab zu den
Polizeidienern, abziehen ließ, dürfte in der Geschichte
der Neuzeit einzig dastehen. Am meisten durch Steuern
belastet ist der Grund und Boden. Das ist um so mehr
zu bedauern, als der Bauernstand in keineswegs glän-
zenden Verhältnissen lebt. Der Zinsfuß ist außer-
ordentlich hoch. Unter zehn bis fünfzehn Prozent be-
kommt der Bauer kein Darlehen. Kleine Schulden
wachsen daher sehr rasch an, und die Folge ist, daß durch
eine einzige Mißernte Hunderte von bäuerlichen Existen-
zen trotz der kärglichsten Genügsamkeit im Verlaufe

1) Vergl. Rathgens gediegene Arbeit: Japans Volkswirt-
schaft und Staatshaushalt.

zuwachſen. Die europäiſchen Ratgeber bei der japaniſchen
Regierung verſichern, daß es in der Verwaltung viel
ſauberer und reinlicher zugehe als beiſpielsweiſe in den
Vereinigten Staaten Amerikas und in den romaniſchen
Staaten Europas, von dem kranken Mann am Goldenen
Horn nicht zu reden.

Die Finanzwirtſchaft 1) braucht das Tageslicht nicht
zu ſcheuen. Zwar giebt es auch hier Miniſter, welche
im Amte reich geworden ſind. Aber direkte Verun-
treuungen und ſyſtematiſche Ausbeutung können der
Regierung nicht entfernt vorgeworfen werden. Die
Finanzverwaltung iſt äußerſt ſparſam, und wenn auch
die neue Zeit mit ihren großen Anforderungen beſonders
von ſeiten des Militarismus große Opfer erfordert, ſo
ſind die Beamten dabei die letzten, die ſich zurückſtellen.
Das Beiſpiel, welches der Kaiſer auf den Rat ſeiner
Miniſter vor einigen Jahren gab, indem er die von dem
Parlament zum Bau von Kriegsſchiffen verweigerten
Mittel dadurch beſchaffte, daß er bis zur Deckung der
Koſten ein Zehntel ſämtlicher Beamtengehälter, von
ſeiner eigenen Civilliſte beginnend, bis hinab zu den
Polizeidienern, abziehen ließ, dürfte in der Geſchichte
der Neuzeit einzig daſtehen. Am meiſten durch Steuern
belaſtet iſt der Grund und Boden. Das iſt um ſo mehr
zu bedauern, als der Bauernſtand in keineswegs glän-
zenden Verhältniſſen lebt. Der Zinsfuß iſt außer-
ordentlich hoch. Unter zehn bis fünfzehn Prozent be-
kommt der Bauer kein Darlehen. Kleine Schulden
wachſen daher ſehr raſch an, und die Folge iſt, daß durch
eine einzige Mißernte Hunderte von bäuerlichen Exiſten-
zen trotz der kärglichſten Genügſamkeit im Verlaufe

1) Vergl. Rathgens gediegene Arbeit: Japans Volkswirt-
ſchaft und Staatshaushalt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="174"/>
zuwach&#x017F;en. Die europäi&#x017F;chen Ratgeber bei der japani&#x017F;chen<lb/>
Regierung ver&#x017F;ichern, daß es in der Verwaltung viel<lb/>
&#x017F;auberer und reinlicher zugehe als bei&#x017F;pielswei&#x017F;e in den<lb/>
Vereinigten Staaten Amerikas und in den romani&#x017F;chen<lb/>
Staaten Europas, von dem kranken Mann am Goldenen<lb/>
Horn nicht zu reden.</p><lb/>
        <p>Die Finanzwirt&#x017F;chaft <note place="foot" n="1)">Vergl. Rathgens gediegene Arbeit: Japans Volkswirt-<lb/>
&#x017F;chaft und Staatshaushalt.</note> braucht das Tageslicht nicht<lb/>
zu &#x017F;cheuen. Zwar giebt es auch hier Mini&#x017F;ter, welche<lb/>
im Amte reich geworden &#x017F;ind. Aber direkte Verun-<lb/>
treuungen und &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Ausbeutung können der<lb/>
Regierung nicht entfernt vorgeworfen werden. Die<lb/>
Finanzverwaltung i&#x017F;t äußer&#x017F;t &#x017F;par&#x017F;am, und wenn auch<lb/>
die neue Zeit mit ihren großen Anforderungen be&#x017F;onders<lb/>
von &#x017F;eiten des Militarismus große Opfer erfordert, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind die Beamten dabei die letzten, die &#x017F;ich zurück&#x017F;tellen.<lb/>
Das Bei&#x017F;piel, welches der Kai&#x017F;er auf den Rat &#x017F;einer<lb/>
Mini&#x017F;ter vor einigen Jahren gab, indem er die von dem<lb/>
Parlament zum Bau von Kriegs&#x017F;chiffen verweigerten<lb/>
Mittel dadurch be&#x017F;chaffte, daß er bis zur Deckung der<lb/>
Ko&#x017F;ten ein Zehntel &#x017F;ämtlicher Beamtengehälter, von<lb/>
&#x017F;einer eigenen Civilli&#x017F;te beginnend, bis hinab zu den<lb/>
Polizeidienern, abziehen ließ, dürfte in der Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Neuzeit einzig da&#x017F;tehen. Am mei&#x017F;ten durch Steuern<lb/>
bela&#x017F;tet i&#x017F;t der Grund und Boden. Das i&#x017F;t um &#x017F;o mehr<lb/>
zu bedauern, als der Bauern&#x017F;tand in keineswegs glän-<lb/>
zenden Verhältni&#x017F;&#x017F;en lebt. Der Zinsfuß i&#x017F;t außer-<lb/>
ordentlich hoch. Unter zehn bis fünfzehn Prozent be-<lb/>
kommt der Bauer kein Darlehen. Kleine Schulden<lb/>
wach&#x017F;en daher &#x017F;ehr ra&#x017F;ch an, und die Folge i&#x017F;t, daß durch<lb/>
eine einzige Mißernte Hunderte von bäuerlichen Exi&#x017F;ten-<lb/>
zen trotz der kärglich&#x017F;ten Genüg&#x017F;amkeit im Verlaufe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0188] zuwachſen. Die europäiſchen Ratgeber bei der japaniſchen Regierung verſichern, daß es in der Verwaltung viel ſauberer und reinlicher zugehe als beiſpielsweiſe in den Vereinigten Staaten Amerikas und in den romaniſchen Staaten Europas, von dem kranken Mann am Goldenen Horn nicht zu reden. Die Finanzwirtſchaft 1) braucht das Tageslicht nicht zu ſcheuen. Zwar giebt es auch hier Miniſter, welche im Amte reich geworden ſind. Aber direkte Verun- treuungen und ſyſtematiſche Ausbeutung können der Regierung nicht entfernt vorgeworfen werden. Die Finanzverwaltung iſt äußerſt ſparſam, und wenn auch die neue Zeit mit ihren großen Anforderungen beſonders von ſeiten des Militarismus große Opfer erfordert, ſo ſind die Beamten dabei die letzten, die ſich zurückſtellen. Das Beiſpiel, welches der Kaiſer auf den Rat ſeiner Miniſter vor einigen Jahren gab, indem er die von dem Parlament zum Bau von Kriegsſchiffen verweigerten Mittel dadurch beſchaffte, daß er bis zur Deckung der Koſten ein Zehntel ſämtlicher Beamtengehälter, von ſeiner eigenen Civilliſte beginnend, bis hinab zu den Polizeidienern, abziehen ließ, dürfte in der Geſchichte der Neuzeit einzig daſtehen. Am meiſten durch Steuern belaſtet iſt der Grund und Boden. Das iſt um ſo mehr zu bedauern, als der Bauernſtand in keineswegs glän- zenden Verhältniſſen lebt. Der Zinsfuß iſt außer- ordentlich hoch. Unter zehn bis fünfzehn Prozent be- kommt der Bauer kein Darlehen. Kleine Schulden wachſen daher ſehr raſch an, und die Folge iſt, daß durch eine einzige Mißernte Hunderte von bäuerlichen Exiſten- zen trotz der kärglichſten Genügſamkeit im Verlaufe 1) Vergl. Rathgens gediegene Arbeit: Japans Volkswirt- ſchaft und Staatshaushalt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/188
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/188>, abgerufen am 28.11.2024.