gegeben, über welche sie im ganzen etwa zweiundeine- halbe Stunde lang sprachen. Der jüngere, ein Bursche von zwanzig und einigen Jahren, sah sich durch meine Anwesenheit veranlaßt, recht ausfällig zu werden. "Da bekurt man überall die Fremden", meinte er. "Da heißt es geehrter Herr Barbar hinten und geehrter Herr Barbar vorn. Da macht man die tiefsten Ver- beugungen vor den Herren aus dem Westen. Aber wahrlich, freie Bürger von Großjapan haben das nicht nötig! Ist nicht Großjapan die größte Nation der Welt?" Ich gestehe es gern, mir war nicht wohl dabei zu Mute. Die Bauern aber empfanden solche Reden als eine große Unhöflichkeit gegen mich, schüttelten miß- billigend die Köpfe und sahen mich dann freundlich lächelnd an. Der Doktor aber, der mich als seinen Gast betrachtete, war über solche Roheit tief ergrimmt, und der genossene Sake that noch ein Übriges, sein Blut in Wallung zu bringen. Die Versammlung nahte sich zum Ende, da sprang er auf und fing mit den beiden Soshi Händel an, da sie des Kaisers geheiligte Person angegriffen hätten. Ich hatte die Vorträge genau verfolgt und wußte, daß das nicht der Fall war. Dem Doktor aber war es nur um einen Vorwand zu thun, und was er wollte, gelang ihm: Überraschend schnell sah ich eng verschlungen ein paar Gestalten am Boden sich wälzen und aufeinander losschlagen -- das erste und einzige Mal, daß ich in Japan eine solche Skandalscene sah. Jetzt ward es mir unheimlich. Das Abenteuerliche der ganzen Situation -- ein christlicher Missionar an der Seite eines buddhistischen Priesters unter dem Schutze eines angetrunkenen Quacksalbers in einem Bauerndorf im Innern Japans in einer von Soshi berufenen politischen Versammlung! -- kam mir
gegeben, über welche ſie im ganzen etwa zweiundeine- halbe Stunde lang ſprachen. Der jüngere, ein Burſche von zwanzig und einigen Jahren, ſah ſich durch meine Anweſenheit veranlaßt, recht ausfällig zu werden. „Da bekurt man überall die Fremden“, meinte er. „Da heißt es geehrter Herr Barbar hinten und geehrter Herr Barbar vorn. Da macht man die tiefſten Ver- beugungen vor den Herren aus dem Weſten. Aber wahrlich, freie Bürger von Großjapan haben das nicht nötig! Iſt nicht Großjapan die größte Nation der Welt?“ Ich geſtehe es gern, mir war nicht wohl dabei zu Mute. Die Bauern aber empfanden ſolche Reden als eine große Unhöflichkeit gegen mich, ſchüttelten miß- billigend die Köpfe und ſahen mich dann freundlich lächelnd an. Der Doktor aber, der mich als ſeinen Gaſt betrachtete, war über ſolche Roheit tief ergrimmt, und der genoſſene Saké that noch ein Übriges, ſein Blut in Wallung zu bringen. Die Verſammlung nahte ſich zum Ende, da ſprang er auf und fing mit den beiden Soſhi Händel an, da ſie des Kaiſers geheiligte Perſon angegriffen hätten. Ich hatte die Vorträge genau verfolgt und wußte, daß das nicht der Fall war. Dem Doktor aber war es nur um einen Vorwand zu thun, und was er wollte, gelang ihm: Überraſchend ſchnell ſah ich eng verſchlungen ein paar Geſtalten am Boden ſich wälzen und aufeinander losſchlagen — das erſte und einzige Mal, daß ich in Japan eine ſolche Skandalſcene ſah. Jetzt ward es mir unheimlich. Das Abenteuerliche der ganzen Situation — ein chriſtlicher Miſſionar an der Seite eines buddhiſtiſchen Prieſters unter dem Schutze eines angetrunkenen Quackſalbers in einem Bauerndorf im Innern Japans in einer von Soſhi berufenen politiſchen Verſammlung! — kam mir
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gegeben, über welche ſie im ganzen etwa zweiundeine-
halbe Stunde lang ſprachen. Der jüngere, ein Burſche
von zwanzig und einigen Jahren, ſah ſich durch meine
Anweſenheit veranlaßt, recht ausfällig zu werden. „Da
bekurt man überall die Fremden“, meinte er. „Da
heißt es geehrter Herr Barbar hinten und geehrter
Herr Barbar vorn. Da macht man die tiefſten Ver-
beugungen vor den Herren aus dem Weſten. Aber
wahrlich, freie Bürger von Großjapan haben das nicht
nötig! Iſt nicht Großjapan die größte Nation der
Welt?“ Ich geſtehe es gern, mir war nicht wohl dabei
zu Mute. Die Bauern aber empfanden ſolche Reden
als eine große Unhöflichkeit gegen mich, ſchüttelten miß-
billigend die Köpfe und ſahen mich dann freundlich
lächelnd an. Der Doktor aber, der mich als ſeinen
Gaſt betrachtete, war über ſolche Roheit tief ergrimmt,
und der genoſſene Saké that noch ein Übriges, ſein
Blut in Wallung zu bringen. Die Verſammlung nahte
ſich zum Ende, da ſprang er auf und fing mit den
beiden Soſhi Händel an, da ſie des Kaiſers geheiligte
Perſon angegriffen hätten. Ich hatte die Vorträge
genau verfolgt und wußte, daß das nicht der Fall war.
Dem Doktor aber war es nur um einen Vorwand zu
thun, und was er wollte, gelang ihm: Überraſchend
ſchnell ſah ich eng verſchlungen ein paar Geſtalten am
Boden ſich wälzen und aufeinander losſchlagen — das
erſte und einzige Mal, daß ich in Japan eine ſolche
Skandalſcene ſah. Jetzt ward es mir unheimlich. Das
Abenteuerliche der ganzen Situation — ein chriſtlicher
Miſſionar an der Seite eines buddhiſtiſchen Prieſters
unter dem Schutze eines angetrunkenen Quackſalbers in
einem Bauerndorf im Innern Japans in einer von
Soſhi berufenen politiſchen Verſammlung! — kam mir
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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