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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Zaren Nikolaus im Frühjahr 1891 bezeichnet werden.
Es ist mir noch in lebhafter Erinnerung, wie ich eines
Vormittags von der Schule nach Hause kam und in
meinem Vorzimmer mehrere junge japanische Freunde
fand, die bleich und aufgeregt mich erwartet hatten.
Vor ihnen lag ein Extrablatt, und ehe ich sie nur fragen
konnte, was denn geschehen sei, teilten sie mir in furcht-
barer Erregtheit mit, der russische Thronfolger, der Gast
des Kaisers, sei bei Otsu auf einer Spazierfahrt von
Kioto nach dem Biwasee verwundet worden. "Ein Ver-
rückter hat's gethan", schrieben die Zeitungen "ein Ver-
rückter hat's gethan", sagte auch ich zu einem deutschen
Freund, den ich am Nachmittag traf. Und was erhielt
ich von diesem zur Antwort? "Ich habe heute Mittag
mit meinem Koch über die Sache geredet", sagte er.
"Derselbe meinte: Einen russischen Spion zu töten, der
gekommen sei, das Land auszukundschaften, sei nicht
mehr als recht; er hätte es gerade so gemacht." Später
überzeugte ich mich davon, daß Tausende im Lande so
dachten, und Tausende sahen in dem irregeleiteten Po-
lizisten, der nachher zu lebenslänglicher Zwangsarbeit
verurteilt wurde, unterdessen aber gestorben sein soll,
einen verehrungswürdigen nationalen Märtyrer. Die
That hatte nichts zu thun mit Geschichten zum Teil
recht abenteuerlicher Natur, welche die geschäftige Fama
damals verbreitete; sie war aus politischem Fanatismus
entsprungen. Und dasselbe gilt von dem Mordversuch
auf Li Hung Chang.

Die Hauptschuld an derartigen Vorkommnissen
trägt die Presse. Das Zeitungswesen ist noch sehr
neuen Datums. Die erste Zeitung wurde im Jahre
1872 von einem Engländer in Tokyo herausgegeben.
Heute aber sind es wohl gegen tausend Zeitungen,

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Zaren Nikolaus im Frühjahr 1891 bezeichnet werden.
Es iſt mir noch in lebhafter Erinnerung, wie ich eines
Vormittags von der Schule nach Hauſe kam und in
meinem Vorzimmer mehrere junge japaniſche Freunde
fand, die bleich und aufgeregt mich erwartet hatten.
Vor ihnen lag ein Extrablatt, und ehe ich ſie nur fragen
konnte, was denn geſchehen ſei, teilten ſie mir in furcht-
barer Erregtheit mit, der ruſſiſche Thronfolger, der Gaſt
des Kaiſers, ſei bei Otſu auf einer Spazierfahrt von
Kioto nach dem Biwaſee verwundet worden. „Ein Ver-
rückter hat’s gethan“, ſchrieben die Zeitungen „ein Ver-
rückter hat’s gethan“, ſagte auch ich zu einem deutſchen
Freund, den ich am Nachmittag traf. Und was erhielt
ich von dieſem zur Antwort? „Ich habe heute Mittag
mit meinem Koch über die Sache geredet“, ſagte er.
„Derſelbe meinte: Einen ruſſiſchen Spion zu töten, der
gekommen ſei, das Land auszukundſchaften, ſei nicht
mehr als recht; er hätte es gerade ſo gemacht.“ Später
überzeugte ich mich davon, daß Tauſende im Lande ſo
dachten, und Tauſende ſahen in dem irregeleiteten Po-
liziſten, der nachher zu lebenslänglicher Zwangsarbeit
verurteilt wurde, unterdeſſen aber geſtorben ſein ſoll,
einen verehrungswürdigen nationalen Märtyrer. Die
That hatte nichts zu thun mit Geſchichten zum Teil
recht abenteuerlicher Natur, welche die geſchäftige Fama
damals verbreitete; ſie war aus politiſchem Fanatismus
entſprungen. Und dasſelbe gilt von dem Mordverſuch
auf Li Hung Chang.

Die Hauptſchuld an derartigen Vorkommniſſen
trägt die Preſſe. Das Zeitungsweſen iſt noch ſehr
neuen Datums. Die erſte Zeitung wurde im Jahre
1872 von einem Engländer in Tokyo herausgegeben.
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[161/0175] Zaren Nikolaus im Frühjahr 1891 bezeichnet werden. Es iſt mir noch in lebhafter Erinnerung, wie ich eines Vormittags von der Schule nach Hauſe kam und in meinem Vorzimmer mehrere junge japaniſche Freunde fand, die bleich und aufgeregt mich erwartet hatten. Vor ihnen lag ein Extrablatt, und ehe ich ſie nur fragen konnte, was denn geſchehen ſei, teilten ſie mir in furcht- barer Erregtheit mit, der ruſſiſche Thronfolger, der Gaſt des Kaiſers, ſei bei Otſu auf einer Spazierfahrt von Kioto nach dem Biwaſee verwundet worden. „Ein Ver- rückter hat’s gethan“, ſchrieben die Zeitungen „ein Ver- rückter hat’s gethan“, ſagte auch ich zu einem deutſchen Freund, den ich am Nachmittag traf. Und was erhielt ich von dieſem zur Antwort? „Ich habe heute Mittag mit meinem Koch über die Sache geredet“, ſagte er. „Derſelbe meinte: Einen ruſſiſchen Spion zu töten, der gekommen ſei, das Land auszukundſchaften, ſei nicht mehr als recht; er hätte es gerade ſo gemacht.“ Später überzeugte ich mich davon, daß Tauſende im Lande ſo dachten, und Tauſende ſahen in dem irregeleiteten Po- liziſten, der nachher zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt wurde, unterdeſſen aber geſtorben ſein ſoll, einen verehrungswürdigen nationalen Märtyrer. Die That hatte nichts zu thun mit Geſchichten zum Teil recht abenteuerlicher Natur, welche die geſchäftige Fama damals verbreitete; ſie war aus politiſchem Fanatismus entſprungen. Und dasſelbe gilt von dem Mordverſuch auf Li Hung Chang. Die Hauptſchuld an derartigen Vorkommniſſen trägt die Preſſe. Das Zeitungsweſen iſt noch ſehr neuen Datums. Die erſte Zeitung wurde im Jahre 1872 von einem Engländer in Tokyo herausgegeben. Heute aber ſind es wohl gegen tauſend Zeitungen, 11

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/175>, abgerufen am 22.11.2024.