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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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worden. Im Jahre 1889 wurde der damalige Unter-
richtsminister Mori, der starke ausländische Sympathien
hatte und unter anderm den allerdings etwas verrückten
Vorschlag gemacht hatte, die schwere japanische Sprache
durch die englische Weltsprache zu ersetzen, von einem
fanatischen Patrioten ermordet. Mori hatte beim Be-
treten des berühmten Shintotempels Daijingu in der
Provinz Ise die Mahnung nicht beachtet: "Ziehe deine
Schuhe aus; denn der Ort, darauf du stehest, ist heiliges
Land", und in dem Innern des Tempels hatte er mit
seinem Spazierstocke den Vorhang vor dem Aller-
heiligsten zurückgeschlagen. Das war in den Augen
des Volkes eine Mißachtung der geheiligten vater-
ländischen Sitte, die nach der Empfindung patriotischer
Zeloten nur durch Blut gesühnt werden konnte. Um
nicht in die Hände der Polizei zu fallen, entleibte sich
der Mörder unmittelbar nach seiner That. Das Grab
Moris, der trotz einiger Schrullen einer der verdienst-
vollsten japanischen Staatsmänner war, lag vom ersten
Tage an verlassen. Zu der Ruhestätte des Mörders
aber wallfahrteten jährlich Tausende guter Japaner,
bedeckten das Grab mit Blumen, zündeten Weihrauch-
kerzen an, schmückten es mit Preisgedichten und fühlten
sich glücklich, ein paar Krumen geweihter Erde von
demselben mit nach Hause zu nehmen. Der Fanatiker
des Japanertums ist zum Märtyrer des Japanertums,
zum Nationalheiligen geworden.

Der Japaner ist geneigt nicht nur zum politischen
Chauvinismus, sondern zum politischen Fanatismus.
Politische Attentate sind daher keine Seltenheit. Als
solche müssen auch die Mordanfälle auf den chinesischen
Friedensgesandten Li Hung Chang im März 1895 und
auf den damaligen russischen Thronfolger und jetzigen

worden. Im Jahre 1889 wurde der damalige Unter-
richtsminiſter Mori, der ſtarke ausländiſche Sympathien
hatte und unter anderm den allerdings etwas verrückten
Vorſchlag gemacht hatte, die ſchwere japaniſche Sprache
durch die engliſche Weltſprache zu erſetzen, von einem
fanatiſchen Patrioten ermordet. Mori hatte beim Be-
treten des berühmten Shintotempels Daijingū in der
Provinz Iſe die Mahnung nicht beachtet: „Ziehe deine
Schuhe aus; denn der Ort, darauf du ſteheſt, iſt heiliges
Land“, und in dem Innern des Tempels hatte er mit
ſeinem Spazierſtocke den Vorhang vor dem Aller-
heiligſten zurückgeſchlagen. Das war in den Augen
des Volkes eine Mißachtung der geheiligten vater-
ländiſchen Sitte, die nach der Empfindung patriotiſcher
Zeloten nur durch Blut geſühnt werden konnte. Um
nicht in die Hände der Polizei zu fallen, entleibte ſich
der Mörder unmittelbar nach ſeiner That. Das Grab
Moris, der trotz einiger Schrullen einer der verdienſt-
vollſten japaniſchen Staatsmänner war, lag vom erſten
Tage an verlaſſen. Zu der Ruheſtätte des Mörders
aber wallfahrteten jährlich Tauſende guter Japaner,
bedeckten das Grab mit Blumen, zündeten Weihrauch-
kerzen an, ſchmückten es mit Preisgedichten und fühlten
ſich glücklich, ein paar Krumen geweihter Erde von
demſelben mit nach Hauſe zu nehmen. Der Fanatiker
des Japanertums iſt zum Märtyrer des Japanertums,
zum Nationalheiligen geworden.

Der Japaner iſt geneigt nicht nur zum politiſchen
Chauvinismus, ſondern zum politiſchen Fanatismus.
Politiſche Attentate ſind daher keine Seltenheit. Als
ſolche müſſen auch die Mordanfälle auf den chineſiſchen
Friedensgeſandten Li Hung Chang im März 1895 und
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[160/0174] worden. Im Jahre 1889 wurde der damalige Unter- richtsminiſter Mori, der ſtarke ausländiſche Sympathien hatte und unter anderm den allerdings etwas verrückten Vorſchlag gemacht hatte, die ſchwere japaniſche Sprache durch die engliſche Weltſprache zu erſetzen, von einem fanatiſchen Patrioten ermordet. Mori hatte beim Be- treten des berühmten Shintotempels Daijingū in der Provinz Iſe die Mahnung nicht beachtet: „Ziehe deine Schuhe aus; denn der Ort, darauf du ſteheſt, iſt heiliges Land“, und in dem Innern des Tempels hatte er mit ſeinem Spazierſtocke den Vorhang vor dem Aller- heiligſten zurückgeſchlagen. Das war in den Augen des Volkes eine Mißachtung der geheiligten vater- ländiſchen Sitte, die nach der Empfindung patriotiſcher Zeloten nur durch Blut geſühnt werden konnte. Um nicht in die Hände der Polizei zu fallen, entleibte ſich der Mörder unmittelbar nach ſeiner That. Das Grab Moris, der trotz einiger Schrullen einer der verdienſt- vollſten japaniſchen Staatsmänner war, lag vom erſten Tage an verlaſſen. Zu der Ruheſtätte des Mörders aber wallfahrteten jährlich Tauſende guter Japaner, bedeckten das Grab mit Blumen, zündeten Weihrauch- kerzen an, ſchmückten es mit Preisgedichten und fühlten ſich glücklich, ein paar Krumen geweihter Erde von demſelben mit nach Hauſe zu nehmen. Der Fanatiker des Japanertums iſt zum Märtyrer des Japanertums, zum Nationalheiligen geworden. Der Japaner iſt geneigt nicht nur zum politiſchen Chauvinismus, ſondern zum politiſchen Fanatismus. Politiſche Attentate ſind daher keine Seltenheit. Als ſolche müſſen auch die Mordanfälle auf den chineſiſchen Friedensgeſandten Li Hung Chang im März 1895 und auf den damaligen ruſſiſchen Thronfolger und jetzigen

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/174>, abgerufen am 24.11.2024.