Auf Yezo, der nördlichsten der vier großen ja- panischen Inseln, wohnen die "haarigen" Aino. Sie nähren sich hauptsächlich von Jagd und Fischerei und kennzeichnen sich schon dadurch als ein auf niedriger Kulturstufe stehendes Volk. Sie sind kleine, gedrungene, kräftig gebaute Leute von harmloser, guter Gemütsart. Der Mann mit seinem dichten, wallenden Haupt- und Barthaar, welches nie mit dem Schermesser in Berührung gekommen ist, macht den Eindruck eines Patriarchen. Aber der strotzende Schmutz seiner Behausung, seiner Kleidung und seines wasserscheuen Körpers, seine ganze tierische Lebensweise, seine ungezügelte Gier nach Brannt- wein und seine unverkennbare geistige Beschränktheit, die sich allen Bildungsversuchen bis jetzt mit Erfolg widersetzt hat, stehen mit seinem ehrwürdigen Aussehen wenig im Einklang. Von den Ainofrauen darf man nicht als von dem schönen Geschlechte reden. Sie sind Muster von Häßlichkeit, und das Tättowieren ihrer Oberlippe, welches ihnen von Ferne das Ansehen giebt, als trügen sie flotte Schnurrbärtchen, trägt zu ihrer Verschönerung wenig bei. Die Aino sind eifrige Bären- jäger; und während von den Bewohnern der südjapa- nischen Liukiu-Inseln, welche sich von Kiuschiu aus halb- mondförmig auf Formosa hin erstrecken, berichtet wird, daß sie die jungen Schweine wie ihre eigenen Kinder
VI. Nationales und politiſches Leben.
Auf Yezo, der nördlichſten der vier großen ja- paniſchen Inſeln, wohnen die „haarigen“ Aino. Sie nähren ſich hauptſächlich von Jagd und Fiſcherei und kennzeichnen ſich ſchon dadurch als ein auf niedriger Kulturſtufe ſtehendes Volk. Sie ſind kleine, gedrungene, kräftig gebaute Leute von harmloſer, guter Gemütsart. Der Mann mit ſeinem dichten, wallenden Haupt- und Barthaar, welches nie mit dem Schermeſſer in Berührung gekommen iſt, macht den Eindruck eines Patriarchen. Aber der ſtrotzende Schmutz ſeiner Behauſung, ſeiner Kleidung und ſeines waſſerſcheuen Körpers, ſeine ganze tieriſche Lebensweiſe, ſeine ungezügelte Gier nach Brannt- wein und ſeine unverkennbare geiſtige Beſchränktheit, die ſich allen Bildungsverſuchen bis jetzt mit Erfolg widerſetzt hat, ſtehen mit ſeinem ehrwürdigen Ausſehen wenig im Einklang. Von den Ainofrauen darf man nicht als von dem ſchönen Geſchlechte reden. Sie ſind Muſter von Häßlichkeit, und das Tättowieren ihrer Oberlippe, welches ihnen von Ferne das Anſehen giebt, als trügen ſie flotte Schnurrbärtchen, trägt zu ihrer Verſchönerung wenig bei. Die Aino ſind eifrige Bären- jäger; und während von den Bewohnern der ſüdjapa- niſchen Liukiu-Inſeln, welche ſich von Kiuſchiu aus halb- mondförmig auf Formoſa hin erſtrecken, berichtet wird, daß ſie die jungen Schweine wie ihre eigenen Kinder
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VI. Nationales und politiſches Leben.
Auf Yezo, der nördlichſten der vier großen ja-
paniſchen Inſeln, wohnen die „haarigen“ Aino. Sie
nähren ſich hauptſächlich von Jagd und Fiſcherei und
kennzeichnen ſich ſchon dadurch als ein auf niedriger
Kulturſtufe ſtehendes Volk. Sie ſind kleine, gedrungene,
kräftig gebaute Leute von harmloſer, guter Gemütsart.
Der Mann mit ſeinem dichten, wallenden Haupt- und
Barthaar, welches nie mit dem Schermeſſer in Berührung
gekommen iſt, macht den Eindruck eines Patriarchen.
Aber der ſtrotzende Schmutz ſeiner Behauſung, ſeiner
Kleidung und ſeines waſſerſcheuen Körpers, ſeine ganze
tieriſche Lebensweiſe, ſeine ungezügelte Gier nach Brannt-
wein und ſeine unverkennbare geiſtige Beſchränktheit,
die ſich allen Bildungsverſuchen bis jetzt mit Erfolg
widerſetzt hat, ſtehen mit ſeinem ehrwürdigen Ausſehen
wenig im Einklang. Von den Ainofrauen darf man
nicht als von dem ſchönen Geſchlechte reden. Sie ſind
Muſter von Häßlichkeit, und das Tättowieren ihrer
Oberlippe, welches ihnen von Ferne das Anſehen giebt,
als trügen ſie flotte Schnurrbärtchen, trägt zu ihrer
Verſchönerung wenig bei. Die Aino ſind eifrige Bären-
jäger; und während von den Bewohnern der ſüdjapa-
niſchen Liukiu-Inſeln, welche ſich von Kiuſchiu aus halb-
mondförmig auf Formoſa hin erſtrecken, berichtet wird,
daß ſie die jungen Schweine wie ihre eigenen Kinder
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. [156]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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