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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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nicht zu sagen nie, erhalten die Kinder Schläge. Und
doch ist die Ungezogenheit dort keine größere, ja mich
will es bedünken, als sei sie geringer als bei uns. Als
wirksameres Erziehungsmittel denn die Rute betrachtet
man die Einwirkung auf des Kindes Herz.

Schon mit der Muttermilch saugt das Kind die
eine große Lehre des Konfuzius ein, welche sich in ihrer
Fassung merkwürdig mit dem Mosesgebot berührt: "Du
sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!" Auch
das "ko" (gewöhnlicher "koko") des Konfuzius ist nicht
eine Liebe, dabei das Kind sich auf gleiche Stufe mit
seinen Eltern erhoben weiß, um darnach vielleicht frech
den Eltern über den Kopf zu wachsen; es ist vielmehr
mit der Liebe, besonders dem Vater gegenüber, ein gut
Stück Ehrfurcht und daher auch Furcht verbunden. Die
Übertragung von "koko" mit "kindlicher Pietät" (filial
piety
) dürfte daher der Sache vollkommen entsprechen.
Der Geist der Liebe wird infolgedessen sofort auch zu
einem Geist der Zucht, der das Kind vom unrechten
Wege abhält und es zum Guten leitet. Es ist der in-
stinktive Trieb, den Eltern zu gefallen und ihnen allen
Schmerz zu ersparen, was die Kinder gut sein läßt.
Die in der Liebe gewurzelte Scheu vor den Eltern ist
sowohl die theoretische Grundlage des ethischen Systems
als auch die praktische Richtschnur des sittlichen Han-
delns, in demselben Sinne, wie es in der Ethik des
Christentums die in der Liebe zu Gott gewurzelte Got-
tesfurcht ist. Es sind keine ewigen und unwandelbaren
Gesetze, wie die zehn Gebote oder die Sittenlehre der
Bergpredigt, vielmehr sind es Einzelmahnungen im An-
schluß an Einzelfälle. Und wenn in diesem kasualen
Charakter die absolute Unzulänglichkeit des ganzen
Systems gegeben ist, so liegt doch hier auch seine Stärke;

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nicht zu ſagen nie, erhalten die Kinder Schläge. Und
doch iſt die Ungezogenheit dort keine größere, ja mich
will es bedünken, als ſei ſie geringer als bei uns. Als
wirkſameres Erziehungsmittel denn die Rute betrachtet
man die Einwirkung auf des Kindes Herz.

Schon mit der Muttermilch ſaugt das Kind die
eine große Lehre des Konfuzius ein, welche ſich in ihrer
Faſſung merkwürdig mit dem Moſesgebot berührt: „Du
ſollſt deinen Vater und deine Mutter ehren!“ Auch
das „kō“ (gewöhnlicher „kōkō“) des Konfuzius iſt nicht
eine Liebe, dabei das Kind ſich auf gleiche Stufe mit
ſeinen Eltern erhoben weiß, um darnach vielleicht frech
den Eltern über den Kopf zu wachſen; es iſt vielmehr
mit der Liebe, beſonders dem Vater gegenüber, ein gut
Stück Ehrfurcht und daher auch Furcht verbunden. Die
Übertragung von „kōkō“ mit „kindlicher Pietät“ (filial
piety
) dürfte daher der Sache vollkommen entſprechen.
Der Geiſt der Liebe wird infolgedeſſen ſofort auch zu
einem Geiſt der Zucht, der das Kind vom unrechten
Wege abhält und es zum Guten leitet. Es iſt der in-
ſtinktive Trieb, den Eltern zu gefallen und ihnen allen
Schmerz zu erſparen, was die Kinder gut ſein läßt.
Die in der Liebe gewurzelte Scheu vor den Eltern iſt
ſowohl die theoretiſche Grundlage des ethiſchen Syſtems
als auch die praktiſche Richtſchnur des ſittlichen Han-
delns, in demſelben Sinne, wie es in der Ethik des
Chriſtentums die in der Liebe zu Gott gewurzelte Got-
tesfurcht iſt. Es ſind keine ewigen und unwandelbaren
Geſetze, wie die zehn Gebote oder die Sittenlehre der
Bergpredigt, vielmehr ſind es Einzelmahnungen im An-
ſchluß an Einzelfälle. Und wenn in dieſem kaſualen
Charakter die abſolute Unzulänglichkeit des ganzen
Syſtems gegeben iſt, ſo liegt doch hier auch ſeine Stärke;

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[147/0161] nicht zu ſagen nie, erhalten die Kinder Schläge. Und doch iſt die Ungezogenheit dort keine größere, ja mich will es bedünken, als ſei ſie geringer als bei uns. Als wirkſameres Erziehungsmittel denn die Rute betrachtet man die Einwirkung auf des Kindes Herz. Schon mit der Muttermilch ſaugt das Kind die eine große Lehre des Konfuzius ein, welche ſich in ihrer Faſſung merkwürdig mit dem Moſesgebot berührt: „Du ſollſt deinen Vater und deine Mutter ehren!“ Auch das „kō“ (gewöhnlicher „kōkō“) des Konfuzius iſt nicht eine Liebe, dabei das Kind ſich auf gleiche Stufe mit ſeinen Eltern erhoben weiß, um darnach vielleicht frech den Eltern über den Kopf zu wachſen; es iſt vielmehr mit der Liebe, beſonders dem Vater gegenüber, ein gut Stück Ehrfurcht und daher auch Furcht verbunden. Die Übertragung von „kōkō“ mit „kindlicher Pietät“ (filial piety) dürfte daher der Sache vollkommen entſprechen. Der Geiſt der Liebe wird infolgedeſſen ſofort auch zu einem Geiſt der Zucht, der das Kind vom unrechten Wege abhält und es zum Guten leitet. Es iſt der in- ſtinktive Trieb, den Eltern zu gefallen und ihnen allen Schmerz zu erſparen, was die Kinder gut ſein läßt. Die in der Liebe gewurzelte Scheu vor den Eltern iſt ſowohl die theoretiſche Grundlage des ethiſchen Syſtems als auch die praktiſche Richtſchnur des ſittlichen Han- delns, in demſelben Sinne, wie es in der Ethik des Chriſtentums die in der Liebe zu Gott gewurzelte Got- tesfurcht iſt. Es ſind keine ewigen und unwandelbaren Geſetze, wie die zehn Gebote oder die Sittenlehre der Bergpredigt, vielmehr ſind es Einzelmahnungen im An- ſchluß an Einzelfälle. Und wenn in dieſem kaſualen Charakter die abſolute Unzulänglichkeit des ganzen Syſtems gegeben iſt, ſo liegt doch hier auch ſeine Stärke; 10*

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/161>, abgerufen am 09.11.2024.