Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

manchmal selbst Hand anlegte zur großen Verwunde-
rung des Japaners, der in der Jinriksha saß. Aber
aussteigen -- daran dachte er nicht. Er hatte ja Zeit,
und der Kuli wurde bezahlt; da war alles in schönster
Ordnung!

Man ist geneigt zu glauben, der Buddhismus habe
die Menschen Ostasiens gutherzig gemacht. Denn der
Buddhismus predigt nicht allein Liebe zu den Menschen,
sondern auch zu der unvernünftigen Kreatur. Ausdrück-
lich verbietet er, Tiere zu töten, und thatsächlich soll
es heute noch buddhistische Priester geben, die nicht
einmal einen Mosquito, diesen schrecklichsten Schrecken
der heißen Sommernächte, töten. So hütet sich der
Japaner wohl, zum Mörder an jungen Hunden oder
Katzen zu werden, die man doch bei uns unbedenklich
in das Wasser wirft, wenn sie etwa überzählig sind.
Aber er kann sie doch nicht alle aufziehen! Es laufen
ohnedies auf den Straßen von Tokyo schon so viele
Hunde umher, daß von Zeit zu Zeit Kuli ausgeschickt
werden, um mit ihnen aufzuräumen. Wie befreit man
sich von ihnen? Man setzt sie aus und überliefert sie
dadurch ruhigen Gewissens einem langsamen, qualvollen
Tod; denn man tötet sie ja nicht und hat damit dem
Gesetz bis zum letzten Buchstaben Genüge gethan. Ich
kam einmal auf einem Spaziergang mit einer deutschen
Dame an einigen solcher Tierchen vorbei, welche jämmer-
lich winselten. Sie dauerten uns; die Dame nahm ihr
Taschentuch und wickelte sie hinein und wir nahmen sie
mit nach meiner Wohnung. Hier übergab ich sie meinem
Koch mit der Weisung, sie sofort zu ertränken. Nach
einiger Zeit kam ich auf den Hof, da sah ich sie vor der
Wohnung des Koches umherkollern. Als ich diesen zur
Rede stellte, gab er mir zur Antwort, er wolle sie nicht

manchmal ſelbſt Hand anlegte zur großen Verwunde-
rung des Japaners, der in der Jinrikſha ſaß. Aber
ausſteigen — daran dachte er nicht. Er hatte ja Zeit,
und der Kuli wurde bezahlt; da war alles in ſchönſter
Ordnung!

Man iſt geneigt zu glauben, der Buddhismus habe
die Menſchen Oſtaſiens gutherzig gemacht. Denn der
Buddhismus predigt nicht allein Liebe zu den Menſchen,
ſondern auch zu der unvernünftigen Kreatur. Ausdrück-
lich verbietet er, Tiere zu töten, und thatſächlich ſoll
es heute noch buddhiſtiſche Prieſter geben, die nicht
einmal einen Mosquito, dieſen ſchrecklichſten Schrecken
der heißen Sommernächte, töten. So hütet ſich der
Japaner wohl, zum Mörder an jungen Hunden oder
Katzen zu werden, die man doch bei uns unbedenklich
in das Waſſer wirft, wenn ſie etwa überzählig ſind.
Aber er kann ſie doch nicht alle aufziehen! Es laufen
ohnedies auf den Straßen von Tokyo ſchon ſo viele
Hunde umher, daß von Zeit zu Zeit Kuli ausgeſchickt
werden, um mit ihnen aufzuräumen. Wie befreit man
ſich von ihnen? Man ſetzt ſie aus und überliefert ſie
dadurch ruhigen Gewiſſens einem langſamen, qualvollen
Tod; denn man tötet ſie ja nicht und hat damit dem
Geſetz bis zum letzten Buchſtaben Genüge gethan. Ich
kam einmal auf einem Spaziergang mit einer deutſchen
Dame an einigen ſolcher Tierchen vorbei, welche jämmer-
lich winſelten. Sie dauerten uns; die Dame nahm ihr
Taſchentuch und wickelte ſie hinein und wir nahmen ſie
mit nach meiner Wohnung. Hier übergab ich ſie meinem
Koch mit der Weiſung, ſie ſofort zu ertränken. Nach
einiger Zeit kam ich auf den Hof, da ſah ich ſie vor der
Wohnung des Koches umherkollern. Als ich dieſen zur
Rede ſtellte, gab er mir zur Antwort, er wolle ſie nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="124"/>
manchmal &#x017F;elb&#x017F;t Hand anlegte zur großen Verwunde-<lb/>
rung des Japaners, der in der Jinrik&#x017F;ha &#x017F;aß. Aber<lb/>
aus&#x017F;teigen &#x2014; daran dachte er nicht. Er hatte ja Zeit,<lb/>
und der Kuli wurde bezahlt; da war alles in &#x017F;chön&#x017F;ter<lb/>
Ordnung!</p><lb/>
        <p>Man i&#x017F;t geneigt zu glauben, der Buddhismus habe<lb/>
die Men&#x017F;chen O&#x017F;ta&#x017F;iens gutherzig gemacht. Denn der<lb/>
Buddhismus predigt nicht allein Liebe zu den Men&#x017F;chen,<lb/>
&#x017F;ondern auch zu der unvernünftigen Kreatur. Ausdrück-<lb/>
lich verbietet er, Tiere zu töten, und that&#x017F;ächlich &#x017F;oll<lb/>
es heute noch buddhi&#x017F;ti&#x017F;che Prie&#x017F;ter geben, die nicht<lb/>
einmal einen Mosquito, die&#x017F;en &#x017F;chrecklich&#x017F;ten Schrecken<lb/>
der heißen Sommernächte, töten. So hütet &#x017F;ich der<lb/>
Japaner wohl, zum Mörder an jungen Hunden oder<lb/>
Katzen zu werden, die man doch bei uns unbedenklich<lb/>
in das Wa&#x017F;&#x017F;er wirft, wenn &#x017F;ie etwa überzählig &#x017F;ind.<lb/>
Aber er kann &#x017F;ie doch nicht alle aufziehen! Es laufen<lb/>
ohnedies auf den Straßen von Tokyo &#x017F;chon &#x017F;o viele<lb/>
Hunde umher, daß von Zeit zu Zeit Kuli ausge&#x017F;chickt<lb/>
werden, um mit ihnen aufzuräumen. Wie befreit man<lb/>
&#x017F;ich von ihnen? Man &#x017F;etzt &#x017F;ie aus und überliefert &#x017F;ie<lb/>
dadurch ruhigen Gewi&#x017F;&#x017F;ens einem lang&#x017F;amen, qualvollen<lb/>
Tod; denn man tötet &#x017F;ie ja nicht und hat damit dem<lb/>
Ge&#x017F;etz bis zum letzten Buch&#x017F;taben Genüge gethan. Ich<lb/>
kam einmal auf einem Spaziergang mit einer deut&#x017F;chen<lb/>
Dame an einigen &#x017F;olcher Tierchen vorbei, welche jämmer-<lb/>
lich win&#x017F;elten. Sie dauerten uns; die Dame nahm ihr<lb/>
Ta&#x017F;chentuch und wickelte &#x017F;ie hinein und wir nahmen &#x017F;ie<lb/>
mit nach meiner Wohnung. Hier übergab ich &#x017F;ie meinem<lb/>
Koch mit der Wei&#x017F;ung, &#x017F;ie &#x017F;ofort zu ertränken. Nach<lb/>
einiger Zeit kam ich auf den Hof, da &#x017F;ah ich &#x017F;ie vor der<lb/>
Wohnung des Koches umherkollern. Als ich die&#x017F;en zur<lb/>
Rede &#x017F;tellte, gab er mir zur Antwort, er wolle &#x017F;ie nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0138] manchmal ſelbſt Hand anlegte zur großen Verwunde- rung des Japaners, der in der Jinrikſha ſaß. Aber ausſteigen — daran dachte er nicht. Er hatte ja Zeit, und der Kuli wurde bezahlt; da war alles in ſchönſter Ordnung! Man iſt geneigt zu glauben, der Buddhismus habe die Menſchen Oſtaſiens gutherzig gemacht. Denn der Buddhismus predigt nicht allein Liebe zu den Menſchen, ſondern auch zu der unvernünftigen Kreatur. Ausdrück- lich verbietet er, Tiere zu töten, und thatſächlich ſoll es heute noch buddhiſtiſche Prieſter geben, die nicht einmal einen Mosquito, dieſen ſchrecklichſten Schrecken der heißen Sommernächte, töten. So hütet ſich der Japaner wohl, zum Mörder an jungen Hunden oder Katzen zu werden, die man doch bei uns unbedenklich in das Waſſer wirft, wenn ſie etwa überzählig ſind. Aber er kann ſie doch nicht alle aufziehen! Es laufen ohnedies auf den Straßen von Tokyo ſchon ſo viele Hunde umher, daß von Zeit zu Zeit Kuli ausgeſchickt werden, um mit ihnen aufzuräumen. Wie befreit man ſich von ihnen? Man ſetzt ſie aus und überliefert ſie dadurch ruhigen Gewiſſens einem langſamen, qualvollen Tod; denn man tötet ſie ja nicht und hat damit dem Geſetz bis zum letzten Buchſtaben Genüge gethan. Ich kam einmal auf einem Spaziergang mit einer deutſchen Dame an einigen ſolcher Tierchen vorbei, welche jämmer- lich winſelten. Sie dauerten uns; die Dame nahm ihr Taſchentuch und wickelte ſie hinein und wir nahmen ſie mit nach meiner Wohnung. Hier übergab ich ſie meinem Koch mit der Weiſung, ſie ſofort zu ertränken. Nach einiger Zeit kam ich auf den Hof, da ſah ich ſie vor der Wohnung des Koches umherkollern. Als ich dieſen zur Rede ſtellte, gab er mir zur Antwort, er wolle ſie nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/138
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/138>, abgerufen am 24.11.2024.