hohl; was aber hohl ist -- und wäre es im übrigen selbst aus edlem Stoff, was ich von dem Japaner immerhin behaupte -- schwimmt auf der Oberfläche. Wie sein Geistesleben, so leidet auch sein Gefühlsleben an einem Mangel an Tiefe, an einer gewissen Ober- flächlichkeit.
Zwar lassen sich manche Anzeichen von scheinbarer Gefühllosigkeit geschichtlich erklären. Wenn sie die größten körperlichen Schmerzen aushalten, ohne eine Miene zu verziehen, so ist das zweifellos zurückzuführen auf eine Gewöhnung von alters her. Hat doch die Feigheit immer als eine verachtungswürdige Schwäche gegolten. Stoischer Gleichmut wurde von jeher von ihnen gepriesen, und während die Ruhe, mit welcher Sokrates den Giftbecher trank, als etwas Selbstverständ- liches angesehen wird, besteht ein Hauptanstoß, welchen man an der Person Jesu nimmt, darin, daß er sich in Gethsemane menschlich weich und schwach gezeigt habe. Wenn sie Geld und Vermögen in einem Umfang ver- lieren, daß es manchen Abendländer an den Rand der Verzweiflung bringen würde, und wenn sie solche Ver- luste mit stoischem Gleichmut hinnehmen, so findet das seine Erklärung in der vorerwähnten Nichtachtung ma- terieller Schätze. Und wenn sie ohne Furcht und Grauen dem Tode entgegen sehen, so ist auch dafür ein Grund vorhanden in ihrem Skeptizismus, der weder an Hölle noch an Fegfeuer glaubt. Wenn sie aber auch bei dem Tode ihrer Lieben augenscheinlich keine Trauer zeigen, wenn mein Diener mit lachendem Gesicht, strahlend in mein Zimmer tritt, um mir den Tod seiner Mutter anzuzeigen und um zwei Tage Urlaub zur Beerdigung zu bitten, so stehen wir hier um so mehr vor einem Rätsel, als die Familienangehörigen im Leben ungemein
hohl; was aber hohl iſt — und wäre es im übrigen ſelbſt aus edlem Stoff, was ich von dem Japaner immerhin behaupte — ſchwimmt auf der Oberfläche. Wie ſein Geiſtesleben, ſo leidet auch ſein Gefühlsleben an einem Mangel an Tiefe, an einer gewiſſen Ober- flächlichkeit.
Zwar laſſen ſich manche Anzeichen von ſcheinbarer Gefühlloſigkeit geſchichtlich erklären. Wenn ſie die größten körperlichen Schmerzen aushalten, ohne eine Miene zu verziehen, ſo iſt das zweifellos zurückzuführen auf eine Gewöhnung von alters her. Hat doch die Feigheit immer als eine verachtungswürdige Schwäche gegolten. Stoiſcher Gleichmut wurde von jeher von ihnen geprieſen, und während die Ruhe, mit welcher Sokrates den Giftbecher trank, als etwas Selbſtverſtänd- liches angeſehen wird, beſteht ein Hauptanſtoß, welchen man an der Perſon Jeſu nimmt, darin, daß er ſich in Gethſemane menſchlich weich und ſchwach gezeigt habe. Wenn ſie Geld und Vermögen in einem Umfang ver- lieren, daß es manchen Abendländer an den Rand der Verzweiflung bringen würde, und wenn ſie ſolche Ver- luſte mit ſtoiſchem Gleichmut hinnehmen, ſo findet das ſeine Erklärung in der vorerwähnten Nichtachtung ma- terieller Schätze. Und wenn ſie ohne Furcht und Grauen dem Tode entgegen ſehen, ſo iſt auch dafür ein Grund vorhanden in ihrem Skeptizismus, der weder an Hölle noch an Fegfeuer glaubt. Wenn ſie aber auch bei dem Tode ihrer Lieben augenſcheinlich keine Trauer zeigen, wenn mein Diener mit lachendem Geſicht, ſtrahlend in mein Zimmer tritt, um mir den Tod ſeiner Mutter anzuzeigen und um zwei Tage Urlaub zur Beerdigung zu bitten, ſo ſtehen wir hier um ſo mehr vor einem Rätſel, als die Familienangehörigen im Leben ungemein
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hohl; was aber hohl iſt — und wäre es im übrigen
ſelbſt aus edlem Stoff, was ich von dem Japaner
immerhin behaupte — ſchwimmt auf der Oberfläche.
Wie ſein Geiſtesleben, ſo leidet auch ſein Gefühlsleben
an einem Mangel an Tiefe, an einer gewiſſen Ober-
flächlichkeit.
Zwar laſſen ſich manche Anzeichen von ſcheinbarer
Gefühlloſigkeit geſchichtlich erklären. Wenn ſie die
größten körperlichen Schmerzen aushalten, ohne eine
Miene zu verziehen, ſo iſt das zweifellos zurückzuführen
auf eine Gewöhnung von alters her. Hat doch die
Feigheit immer als eine verachtungswürdige Schwäche
gegolten. Stoiſcher Gleichmut wurde von jeher von
ihnen geprieſen, und während die Ruhe, mit welcher
Sokrates den Giftbecher trank, als etwas Selbſtverſtänd-
liches angeſehen wird, beſteht ein Hauptanſtoß, welchen
man an der Perſon Jeſu nimmt, darin, daß er ſich in
Gethſemane menſchlich weich und ſchwach gezeigt habe.
Wenn ſie Geld und Vermögen in einem Umfang ver-
lieren, daß es manchen Abendländer an den Rand der
Verzweiflung bringen würde, und wenn ſie ſolche Ver-
luſte mit ſtoiſchem Gleichmut hinnehmen, ſo findet das
ſeine Erklärung in der vorerwähnten Nichtachtung ma-
terieller Schätze. Und wenn ſie ohne Furcht und Grauen
dem Tode entgegen ſehen, ſo iſt auch dafür ein Grund
vorhanden in ihrem Skeptizismus, der weder an Hölle
noch an Fegfeuer glaubt. Wenn ſie aber auch bei dem
Tode ihrer Lieben augenſcheinlich keine Trauer zeigen,
wenn mein Diener mit lachendem Geſicht, ſtrahlend in
mein Zimmer tritt, um mir den Tod ſeiner Mutter
anzuzeigen und um zwei Tage Urlaub zur Beerdigung
zu bitten, ſo ſtehen wir hier um ſo mehr vor einem
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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