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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Nerven derartig gestählt, daß er trotz seines prickelnden
Temperaments den Eindruck eines Menschen ohne Nerven
macht. Nervosität ist es nicht, was die heutige un-
ruhige Geschäftigkeit verursacht. Wohl ist in den Jahr-
hunderten zuvor von dieser Geschäftigkeit nichts zu
bemerken. Aber das ist leicht erklärlich. Das Land
war von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen,
die Leute hatten keine Bedürfnisse, jede selbständige
That wurde verhindert: Was blieb da anderes übrig
als ein Leben in Beschaulichkeit? Zu thun gab es auch
beim besten Willen nicht mehr als nötig war, das Leben
zu fristen; und das besorgte bei einiger Nachhilfe der
fruchtbare Boden reichlich genug. Da blieb denn immer
noch das Vernünftigste, was man thun konnte, auf seinen
Strohmatten zu liegen und zu schlafen oder hinauszu-
gehen und in ruhiger Heiterkeit die Natur anzuschwärmen.
Sobald aber die eiserne Faust, die die Volksseele dar-
niederhielt, gewichen war, schnellte die Seele elastisch
empor, um noch ein ganz anderes Angesicht als ein
beschauliches zu offenbaren. Der Wechsel auf allen
Gebieten des Lebens, das Interesse für das Neue in
allen Schichten der Bevölkerung ist zu radikal, als daß
hier nicht die Wahrheit des japanischen Temperaments
liegen sollte. Die äußere Ruhe des Japaners ist noch
eine Nachwirkung der Gewöhnung aus der alten Zeit
des Schlafes, die innere Geschäftigkeit aber im ganzen
öffentlichen Leben ist das Wahre. Die Ruhe der Feudal-
zeit war künstlich, die Bewegung der Jetztzeit ist das
Natürliche. Der Japaner wird nie aufhören, sich der
heiteren Seiten des Lebens zu freuen; nennt man doch
das sanguinische Temperament das genießende! Aber
geschäftig thätig wird er dabei bleiben.

Das sehen wir bestätigt bei einem Blick auf die

Nerven derartig geſtählt, daß er trotz ſeines prickelnden
Temperaments den Eindruck eines Menſchen ohne Nerven
macht. Nervoſität iſt es nicht, was die heutige un-
ruhige Geſchäftigkeit verurſacht. Wohl iſt in den Jahr-
hunderten zuvor von dieſer Geſchäftigkeit nichts zu
bemerken. Aber das iſt leicht erklärlich. Das Land
war von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeſchloſſen,
die Leute hatten keine Bedürfniſſe, jede ſelbſtändige
That wurde verhindert: Was blieb da anderes übrig
als ein Leben in Beſchaulichkeit? Zu thun gab es auch
beim beſten Willen nicht mehr als nötig war, das Leben
zu friſten; und das beſorgte bei einiger Nachhilfe der
fruchtbare Boden reichlich genug. Da blieb denn immer
noch das Vernünftigſte, was man thun konnte, auf ſeinen
Strohmatten zu liegen und zu ſchlafen oder hinauszu-
gehen und in ruhiger Heiterkeit die Natur anzuſchwärmen.
Sobald aber die eiſerne Fauſt, die die Volksſeele dar-
niederhielt, gewichen war, ſchnellte die Seele elaſtiſch
empor, um noch ein ganz anderes Angeſicht als ein
beſchauliches zu offenbaren. Der Wechſel auf allen
Gebieten des Lebens, das Intereſſe für das Neue in
allen Schichten der Bevölkerung iſt zu radikal, als daß
hier nicht die Wahrheit des japaniſchen Temperaments
liegen ſollte. Die äußere Ruhe des Japaners iſt noch
eine Nachwirkung der Gewöhnung aus der alten Zeit
des Schlafes, die innere Geſchäftigkeit aber im ganzen
öffentlichen Leben iſt das Wahre. Die Ruhe der Feudal-
zeit war künſtlich, die Bewegung der Jetztzeit iſt das
Natürliche. Der Japaner wird nie aufhören, ſich der
heiteren Seiten des Lebens zu freuen; nennt man doch
das ſanguiniſche Temperament das genießende! Aber
geſchäftig thätig wird er dabei bleiben.

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[106/0120] Nerven derartig geſtählt, daß er trotz ſeines prickelnden Temperaments den Eindruck eines Menſchen ohne Nerven macht. Nervoſität iſt es nicht, was die heutige un- ruhige Geſchäftigkeit verurſacht. Wohl iſt in den Jahr- hunderten zuvor von dieſer Geſchäftigkeit nichts zu bemerken. Aber das iſt leicht erklärlich. Das Land war von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeſchloſſen, die Leute hatten keine Bedürfniſſe, jede ſelbſtändige That wurde verhindert: Was blieb da anderes übrig als ein Leben in Beſchaulichkeit? Zu thun gab es auch beim beſten Willen nicht mehr als nötig war, das Leben zu friſten; und das beſorgte bei einiger Nachhilfe der fruchtbare Boden reichlich genug. Da blieb denn immer noch das Vernünftigſte, was man thun konnte, auf ſeinen Strohmatten zu liegen und zu ſchlafen oder hinauszu- gehen und in ruhiger Heiterkeit die Natur anzuſchwärmen. Sobald aber die eiſerne Fauſt, die die Volksſeele dar- niederhielt, gewichen war, ſchnellte die Seele elaſtiſch empor, um noch ein ganz anderes Angeſicht als ein beſchauliches zu offenbaren. Der Wechſel auf allen Gebieten des Lebens, das Intereſſe für das Neue in allen Schichten der Bevölkerung iſt zu radikal, als daß hier nicht die Wahrheit des japaniſchen Temperaments liegen ſollte. Die äußere Ruhe des Japaners iſt noch eine Nachwirkung der Gewöhnung aus der alten Zeit des Schlafes, die innere Geſchäftigkeit aber im ganzen öffentlichen Leben iſt das Wahre. Die Ruhe der Feudal- zeit war künſtlich, die Bewegung der Jetztzeit iſt das Natürliche. Der Japaner wird nie aufhören, ſich der heiteren Seiten des Lebens zu freuen; nennt man doch das ſanguiniſche Temperament das genießende! Aber geſchäftig thätig wird er dabei bleiben. Das ſehen wir beſtätigt bei einem Blick auf die

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/120>, abgerufen am 24.11.2024.