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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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will, sondern als ein Freund, der willens ist, mit Jh-
nen darüber nachzudenken, und Jhnen Raht zu geben,
wie Sie Gottes Misfallen von sich abwenden können.
Unsre nächsten Unteredungen, lieber Herr Graf, werden
also nothwendig für Sie sehr traurig werden müssen. Jch
weiß, Jhr Herz ist schon verwundet: ich muß die Wun-
den desselben noch zu vergrößern suchen. Jch bitte Gott
darum, daß er meine Absicht befördre, Sie unaussprech-
lich betrübt zu machen. Desto begieriger werden Sie
dann nach Trost werden, desto zuversichtlicher den einzi-
gen wahren annehmen, den ich Jhnen darbieten kann,
und ihn auch desto beruhigender finden. -- Jch sehe
Sie itzt als einen Kranken an, der entweder ohne Ret-
tung sterben, oder sich einer sehr schmerzhaften Operation
von der Hand des Arztes unterwerfen muß. Handelt
der Kranke vernünftig, wenn er den Tod wählt, um den
Schmerzen zu entgehen? Handelt er vernünftig, wenn
er unter der Operation ungeduldig, und auf den Arzt,
der es doch gut mit ihm meynet, ob er ihm gleich Schmer-
zen verursacht, ungehalten wird? -- Er war hiebey sehr
gerührt, und versprach mir mit Darreichung der Hand,
daß er sich ganz und willig meiner Leitung überlassen wolle.

Nach einigem Stillschweigen von beyden Seiten,
und mitten unter seinen Thränen, sah er mich mit einer
Miene an, die zugleich Aengstlichkeit und Zutrauen ver-
rieth, und sagte: Wenn nur meine Thränen aus der
rechten Quelle fließen! Jch vermuhte, Herr Graf, ant-
wortete ich, worüber Sie weinen. Gewiß, über das
Unglück, worin Sie Jhre Freunde gestürzt haben. Dieß
ist Jhre empfindliche Seite. Sie darf nur leicht berührt
werden, so schmerzt es. Prüfen Sie sich, ist es bloße
persönliche Freundschaft, Erinnerung der ehemaligen ge-
meinschaftlich genossenen Vergnügungen, Betrübniß die
Gelegenheit zu ihrer Fortsetzung verlohren zu haben,

oder



will, ſondern als ein Freund, der willens iſt, mit Jh-
nen daruͤber nachzudenken, und Jhnen Raht zu geben,
wie Sie Gottes Misfallen von ſich abwenden koͤnnen.
Unſre naͤchſten Unteredungen, lieber Herr Graf, werden
alſo nothwendig fuͤr Sie ſehr traurig werden muͤſſen. Jch
weiß, Jhr Herz iſt ſchon verwundet: ich muß die Wun-
den deſſelben noch zu vergroͤßern ſuchen. Jch bitte Gott
darum, daß er meine Abſicht befoͤrdre, Sie unausſprech-
lich betruͤbt zu machen. Deſto begieriger werden Sie
dann nach Troſt werden, deſto zuverſichtlicher den einzi-
gen wahren annehmen, den ich Jhnen darbieten kann,
und ihn auch deſto beruhigender finden. — Jch ſehe
Sie itzt als einen Kranken an, der entweder ohne Ret-
tung ſterben, oder ſich einer ſehr ſchmerzhaften Operation
von der Hand des Arztes unterwerfen muß. Handelt
der Kranke vernuͤnftig, wenn er den Tod waͤhlt, um den
Schmerzen zu entgehen? Handelt er vernuͤnftig, wenn
er unter der Operation ungeduldig, und auf den Arzt,
der es doch gut mit ihm meynet, ob er ihm gleich Schmer-
zen verurſacht, ungehalten wird? — Er war hiebey ſehr
geruͤhrt, und verſprach mir mit Darreichung der Hand,
daß er ſich ganz und willig meiner Leitung uͤberlaſſen wolle.

Nach einigem Stillſchweigen von beyden Seiten,
und mitten unter ſeinen Thraͤnen, ſah er mich mit einer
Miene an, die zugleich Aengſtlichkeit und Zutrauen ver-
rieth, und ſagte: Wenn nur meine Thraͤnen aus der
rechten Quelle fließen! Jch vermuhte, Herr Graf, ant-
wortete ich, woruͤber Sie weinen. Gewiß, uͤber das
Ungluͤck, worin Sie Jhre Freunde geſtuͤrzt haben. Dieß
iſt Jhre empfindliche Seite. Sie darf nur leicht beruͤhrt
werden, ſo ſchmerzt es. Pruͤfen Sie ſich, iſt es bloße
perſoͤnliche Freundſchaft, Erinnerung der ehemaligen ge-
meinſchaftlich genoſſenen Vergnuͤgungen, Betruͤbniß die
Gelegenheit zu ihrer Fortſetzung verlohren zu haben,

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[46/0058] will, ſondern als ein Freund, der willens iſt, mit Jh- nen daruͤber nachzudenken, und Jhnen Raht zu geben, wie Sie Gottes Misfallen von ſich abwenden koͤnnen. Unſre naͤchſten Unteredungen, lieber Herr Graf, werden alſo nothwendig fuͤr Sie ſehr traurig werden muͤſſen. Jch weiß, Jhr Herz iſt ſchon verwundet: ich muß die Wun- den deſſelben noch zu vergroͤßern ſuchen. Jch bitte Gott darum, daß er meine Abſicht befoͤrdre, Sie unausſprech- lich betruͤbt zu machen. Deſto begieriger werden Sie dann nach Troſt werden, deſto zuverſichtlicher den einzi- gen wahren annehmen, den ich Jhnen darbieten kann, und ihn auch deſto beruhigender finden. — Jch ſehe Sie itzt als einen Kranken an, der entweder ohne Ret- tung ſterben, oder ſich einer ſehr ſchmerzhaften Operation von der Hand des Arztes unterwerfen muß. Handelt der Kranke vernuͤnftig, wenn er den Tod waͤhlt, um den Schmerzen zu entgehen? Handelt er vernuͤnftig, wenn er unter der Operation ungeduldig, und auf den Arzt, der es doch gut mit ihm meynet, ob er ihm gleich Schmer- zen verurſacht, ungehalten wird? — Er war hiebey ſehr geruͤhrt, und verſprach mir mit Darreichung der Hand, daß er ſich ganz und willig meiner Leitung uͤberlaſſen wolle. Nach einigem Stillſchweigen von beyden Seiten, und mitten unter ſeinen Thraͤnen, ſah er mich mit einer Miene an, die zugleich Aengſtlichkeit und Zutrauen ver- rieth, und ſagte: Wenn nur meine Thraͤnen aus der rechten Quelle fließen! Jch vermuhte, Herr Graf, ant- wortete ich, woruͤber Sie weinen. Gewiß, uͤber das Ungluͤck, worin Sie Jhre Freunde geſtuͤrzt haben. Dieß iſt Jhre empfindliche Seite. Sie darf nur leicht beruͤhrt werden, ſo ſchmerzt es. Pruͤfen Sie ſich, iſt es bloße perſoͤnliche Freundſchaft, Erinnerung der ehemaligen ge- meinſchaftlich genoſſenen Vergnuͤgungen, Betruͤbniß die Gelegenheit zu ihrer Fortſetzung verlohren zu haben, oder

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/58>, abgerufen am 27.11.2024.