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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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antwortete ihm, es könne zwar dieß Gefühl durch Erfah-
rungen von den Folgen der Handlungen, und durch die
Vorstellung einer Beziehung derselben auf uns, gestärkt,
gewisser und empfindlicher gemacht werden. Es sey aber
eher in uns vorhanden, es würke früher, als wir solche
Erfahrungen hätten, und dergleichen Beziehungen auf
uns dächten. Es befände sich in allen Menschen, auch
in den dümmsten und unwissendesten, selbst in kleinen
Kindern, die so weit nicht nachdenken könnten. Wir
hätten ja auch ein Gefühl von der Moralität solcher Hand-
lungen, die wir gar nicht im Stande wären auf uns zu
beziehen. Er würde z. Ex. allezeit den Gehorsam eines
Menschen gegen Gott gut und seinen Ungehorsam böse
fühlen, ob er sich gleich von jenem keinen Nutzen, und
von diesem keinen Schaden für eine Person vorstellen
könnte. "So kann am Ende doch wohl dieß Gefühl
eine Folge der Erziehung seyn?" Auch das nicht! Das
unerzogene Kind hat es schon. Es spricht aus wil-
den Grönländer und aus dem Hottentotten, und das
zwar über gewisse Handlungen entscheidender und richti-
ger, als aus dem Engelländer und Franzosen, bey dem
es durch Erziehung und Lebensart verfälscht worden ist.

Er gab mir nun zu, das moralische Gefühl müsse
uns angebohren seyn, und tief in unsrer Natur liegen.
Es ist uns also von dem Urheber unsrer Natur ins Herz
gelegt, und wir vernehmen in den Urtheilen dieses Ge-
fühls den Willen Gottes von dem Guten und Bösen in
unsern Handlungen.

Jch zeigte ihm hierauf kurz, daß das Urtheil
des Gewissens durch die Folgen der Handlungen bestä-
tigt werde. Denn diese stimmten mit jenem überein.
Z. Ex Gutthätigkeit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Men-
schenliebe würden von dem moralischen Gefühl gebilligt,

und



antwortete ihm, es koͤnne zwar dieß Gefuͤhl durch Erfah-
rungen von den Folgen der Handlungen, und durch die
Vorſtellung einer Beziehung derſelben auf uns, geſtaͤrkt,
gewiſſer und empfindlicher gemacht werden. Es ſey aber
eher in uns vorhanden, es wuͤrke fruͤher, als wir ſolche
Erfahrungen haͤtten, und dergleichen Beziehungen auf
uns daͤchten. Es befaͤnde ſich in allen Menſchen, auch
in den duͤmmſten und unwiſſendeſten, ſelbſt in kleinen
Kindern, die ſo weit nicht nachdenken koͤnnten. Wir
haͤtten ja auch ein Gefuͤhl von der Moralitaͤt ſolcher Hand-
lungen, die wir gar nicht im Stande waͤren auf uns zu
beziehen. Er wuͤrde z. Ex. allezeit den Gehorſam eines
Menſchen gegen Gott gut und ſeinen Ungehorſam boͤſe
fuͤhlen, ob er ſich gleich von jenem keinen Nutzen, und
von dieſem keinen Schaden fuͤr eine Perſon vorſtellen
koͤnnte. “So kann am Ende doch wohl dieß Gefuͤhl
eine Folge der Erziehung ſeyn?„ Auch das nicht! Das
unerzogene Kind hat es ſchon. Es ſpricht aus wil-
den Groͤnlaͤnder und aus dem Hottentotten, und das
zwar uͤber gewiſſe Handlungen entſcheidender und richti-
ger, als aus dem Engellaͤnder und Franzoſen, bey dem
es durch Erziehung und Lebensart verfaͤlſcht worden iſt.

Er gab mir nun zu, das moraliſche Gefuͤhl muͤſſe
uns angebohren ſeyn, und tief in unſrer Natur liegen.
Es iſt uns alſo von dem Urheber unſrer Natur ins Herz
gelegt, und wir vernehmen in den Urtheilen dieſes Ge-
fuͤhls den Willen Gottes von dem Guten und Boͤſen in
unſern Handlungen.

Jch zeigte ihm hierauf kurz, daß das Urtheil
des Gewiſſens durch die Folgen der Handlungen beſtaͤ-
tigt werde. Denn dieſe ſtimmten mit jenem uͤberein.
Z. Ex Gutthaͤtigkeit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Men-
ſchenliebe wuͤrden von dem moraliſchen Gefuͤhl gebilligt,

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[43/0055] antwortete ihm, es koͤnne zwar dieß Gefuͤhl durch Erfah- rungen von den Folgen der Handlungen, und durch die Vorſtellung einer Beziehung derſelben auf uns, geſtaͤrkt, gewiſſer und empfindlicher gemacht werden. Es ſey aber eher in uns vorhanden, es wuͤrke fruͤher, als wir ſolche Erfahrungen haͤtten, und dergleichen Beziehungen auf uns daͤchten. Es befaͤnde ſich in allen Menſchen, auch in den duͤmmſten und unwiſſendeſten, ſelbſt in kleinen Kindern, die ſo weit nicht nachdenken koͤnnten. Wir haͤtten ja auch ein Gefuͤhl von der Moralitaͤt ſolcher Hand- lungen, die wir gar nicht im Stande waͤren auf uns zu beziehen. Er wuͤrde z. Ex. allezeit den Gehorſam eines Menſchen gegen Gott gut und ſeinen Ungehorſam boͤſe fuͤhlen, ob er ſich gleich von jenem keinen Nutzen, und von dieſem keinen Schaden fuͤr eine Perſon vorſtellen koͤnnte. “So kann am Ende doch wohl dieß Gefuͤhl eine Folge der Erziehung ſeyn?„ Auch das nicht! Das unerzogene Kind hat es ſchon. Es ſpricht aus wil- den Groͤnlaͤnder und aus dem Hottentotten, und das zwar uͤber gewiſſe Handlungen entſcheidender und richti- ger, als aus dem Engellaͤnder und Franzoſen, bey dem es durch Erziehung und Lebensart verfaͤlſcht worden iſt. Er gab mir nun zu, das moraliſche Gefuͤhl muͤſſe uns angebohren ſeyn, und tief in unſrer Natur liegen. Es iſt uns alſo von dem Urheber unſrer Natur ins Herz gelegt, und wir vernehmen in den Urtheilen dieſes Ge- fuͤhls den Willen Gottes von dem Guten und Boͤſen in unſern Handlungen. Jch zeigte ihm hierauf kurz, daß das Urtheil des Gewiſſens durch die Folgen der Handlungen beſtaͤ- tigt werde. Denn dieſe ſtimmten mit jenem uͤberein. Z. Ex Gutthaͤtigkeit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Men- ſchenliebe wuͤrden von dem moraliſchen Gefuͤhl gebilligt, und

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/55>, abgerufen am 23.11.2024.