zu unserm Thun und Lassen aus Gott herzuleiten, und ihn dabey als den Beobachter derselben zu betrachten. Er wies, indem er dieß sagte, auf Jerusalems Buch, und ich dankte in meinem Herzen diesem vortrefflichen Mann, daß er mir schon so weit fortgeholfen hatte.
Jnzwischen bat ich doch den Grafen zu überlegen, wie unmoralisch seine Handlungen selbst nach seinem bis herigen Grundsatze von der Moralität gewesen wären. Jch hatte die Seite entdeckt, wo ihn die Wunden seines Gewissens schmerzten. Bey weitem war es nicht so sehr der Gedanke, ich habe Gott beleidigt, ich habe mich selbst unglücklich gemacht, als dieser, ich habe meine Freunde mit mir ins Verderben gezogen, was ihn be- kümmerte. Diese Empfindung ergriff ich, suchte sie zu unterhalten und zu vermehren, und hoffte, sein Schmerz würde nach und nach allgemeiner werden, und sich auch über seine übrigen Vergehungen ausbreiten. Kaum fieng ich an diese seine empfindliche Seite zu berühren, so vergaß er häufige Thränen, gestand, daß er sich hier sehr sträflich finde, und durchaus nichts zu seiner Ent- schuldigung zu sagen wisse.
Wenn Sie sich denn auch nur, fuhr ich fort, dieß einzige vorzuwerfen hätten, daß Sie die Ursache des Unglücks sind, in welchem sich nun diese Jhre Freunde befinden, so müßte Jhnen schon Jhre Verantwortung vor Gott sehr schwer und unmöglich werden. Jch er- kenne das, antwortete er, aber ich will mich auch vor Gott nicht verantworten, ich hoffe nicht, daß er das von mir fordern wird, ich verlasse mich auf meine Reue und auf seine Güte. Meynen Sie nicht, daß Gott mir meine Vergehungen auf eine philosophische Buße verge- ben wird? " Nach meiner Ueberzeugung kann ich Jh- nen dazu keine Hoffnung machen. Jch kenne nur ein
Mittel
zu unſerm Thun und Laſſen aus Gott herzuleiten, und ihn dabey als den Beobachter derſelben zu betrachten. Er wies, indem er dieß ſagte, auf Jeruſalems Buch, und ich dankte in meinem Herzen dieſem vortrefflichen Mann, daß er mir ſchon ſo weit fortgeholfen hatte.
Jnzwiſchen bat ich doch den Grafen zu uͤberlegen, wie unmoraliſch ſeine Handlungen ſelbſt nach ſeinem bis herigen Grundſatze von der Moralitaͤt geweſen waͤren. Jch hatte die Seite entdeckt, wo ihn die Wunden ſeines Gewiſſens ſchmerzten. Bey weitem war es nicht ſo ſehr der Gedanke, ich habe Gott beleidigt, ich habe mich ſelbſt ungluͤcklich gemacht, als dieſer, ich habe meine Freunde mit mir ins Verderben gezogen, was ihn be- kuͤmmerte. Dieſe Empfindung ergriff ich, ſuchte ſie zu unterhalten und zu vermehren, und hoffte, ſein Schmerz wuͤrde nach und nach allgemeiner werden, und ſich auch uͤber ſeine uͤbrigen Vergehungen ausbreiten. Kaum fieng ich an dieſe ſeine empfindliche Seite zu beruͤhren, ſo vergaß er haͤufige Thraͤnen, geſtand, daß er ſich hier ſehr ſtraͤflich finde, und durchaus nichts zu ſeiner Ent- ſchuldigung zu ſagen wiſſe.
Wenn Sie ſich denn auch nur, fuhr ich fort, dieß einzige vorzuwerfen haͤtten, daß Sie die Urſache des Ungluͤcks ſind, in welchem ſich nun dieſe Jhre Freunde befinden, ſo muͤßte Jhnen ſchon Jhre Verantwortung vor Gott ſehr ſchwer und unmoͤglich werden. Jch er- kenne das, antwortete er, aber ich will mich auch vor Gott nicht verantworten, ich hoffe nicht, daß er das von mir fordern wird, ich verlaſſe mich auf meine Reue und auf ſeine Guͤte. Meynen Sie nicht, daß Gott mir meine Vergehungen auf eine philoſophiſche Buße verge- ben wird? “ Nach meiner Ueberzeugung kann ich Jh- nen dazu keine Hoffnung machen. Jch kenne nur ein
Mittel
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zu unſerm Thun und Laſſen aus Gott herzuleiten, und
ihn dabey als den Beobachter derſelben zu betrachten.
Er wies, indem er dieß ſagte, auf Jeruſalems Buch,
und ich dankte in meinem Herzen dieſem vortrefflichen
Mann, daß er mir ſchon ſo weit fortgeholfen hatte.
Jnzwiſchen bat ich doch den Grafen zu uͤberlegen,
wie unmoraliſch ſeine Handlungen ſelbſt nach ſeinem bis
herigen Grundſatze von der Moralitaͤt geweſen waͤren.
Jch hatte die Seite entdeckt, wo ihn die Wunden ſeines
Gewiſſens ſchmerzten. Bey weitem war es nicht ſo ſehr
der Gedanke, ich habe Gott beleidigt, ich habe mich
ſelbſt ungluͤcklich gemacht, als dieſer, ich habe meine
Freunde mit mir ins Verderben gezogen, was ihn be-
kuͤmmerte. Dieſe Empfindung ergriff ich, ſuchte ſie zu
unterhalten und zu vermehren, und hoffte, ſein Schmerz
wuͤrde nach und nach allgemeiner werden, und ſich auch
uͤber ſeine uͤbrigen Vergehungen ausbreiten. Kaum
fieng ich an dieſe ſeine empfindliche Seite zu beruͤhren,
ſo vergaß er haͤufige Thraͤnen, geſtand, daß er ſich hier
ſehr ſtraͤflich finde, und durchaus nichts zu ſeiner Ent-
ſchuldigung zu ſagen wiſſe.
Wenn Sie ſich denn auch nur, fuhr ich fort,
dieß einzige vorzuwerfen haͤtten, daß Sie die Urſache des
Ungluͤcks ſind, in welchem ſich nun dieſe Jhre Freunde
befinden, ſo muͤßte Jhnen ſchon Jhre Verantwortung
vor Gott ſehr ſchwer und unmoͤglich werden. Jch er-
kenne das, antwortete er, aber ich will mich auch vor
Gott nicht verantworten, ich hoffe nicht, daß er das von
mir fordern wird, ich verlaſſe mich auf meine Reue und
auf ſeine Guͤte. Meynen Sie nicht, daß Gott mir
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/44>, abgerufen am 16.02.2025.
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