Die menschliche Erkenntniß ist ungewiß; Sie wollen sich nicht gerne eine neue Jllusion machen. Für den Satz, der Mensch hat eine Seele, ist Beweis da. Für den, er ist eine Maschine, ist keiner. Wo Beweis ist, da ist kein Ungewißheit mehr, da ist keine Jllusion zu befürchten. Und wäre eine zu befürchten, so wollte ich mich doch lieber von einer Lehre hintergehen lassen, die mir so vortheilhaft werden könne, als von einer andern, durch die ich schon in das tiefste Elend gestürzt wäre.
Das alles fühlen Sie, und ich bin gewiß, Sie werden es auch nicht leugnen. So müssen Sie also auch zugestehen, daß Sie nur Ausflüchte machen, wenn Sie von der Ungewißheit der menschlichen Erkenntniß, von der Möglichkeit einer neuer Jllusion u.s.w. reden. Sol- che Ausflüchte zu machen müssen Sie doch Jhre gehei- men Ursachen haben. Die will ich zu ergründen suchen.
Es ist nicht anders, unglücklicher Herr Graf, Jhre Meynung, daß der Mensch nur eine Maschine sey, ist in Jhrem Herzen zu tief eingewurzelt. Sie lieben sie, Sie befürchten etwas zu verlieren, das Jhnen ange- nehm ist, wenn Sie sie fahren lassen. Deswegen halten Sie sie bey allem Widerspruch Jhrer gesunden Vernunft so fest. Das will ich Jhnen aus der Geschichte Jhres eigenen Herzens beweisen.
Wann haben Sie angefangen leichtsinnig zu han- deln, den Trieben des Ehrgeizes zu folgen und den Reizen der Wollust nachzugehen? Ganz gewiß in Jhrer frühen Jugend, ehe Sie noch auf den Gedanken verfie- len, der Mensch sey eine seelenlose Maschine. Das Ge- fühl, das Gott von der Sittlichkeit der Handlungen auch in Jhre Seele gelegt hatte, verursachte Jhnen zuweilen Unzufriedenheit mit sich selbst. Die suchten Sie zu un-
terdrücken.
Die menſchliche Erkenntniß iſt ungewiß; Sie wollen ſich nicht gerne eine neue Jlluſion machen. Fuͤr den Satz, der Menſch hat eine Seele, iſt Beweis da. Fuͤr den, er iſt eine Maſchine, iſt keiner. Wo Beweis iſt, da iſt kein Ungewißheit mehr, da iſt keine Jlluſion zu befuͤrchten. Und waͤre eine zu befuͤrchten, ſo wollte ich mich doch lieber von einer Lehre hintergehen laſſen, die mir ſo vortheilhaft werden koͤnne, als von einer andern, durch die ich ſchon in das tiefſte Elend geſtuͤrzt waͤre.
Das alles fuͤhlen Sie, und ich bin gewiß, Sie werden es auch nicht leugnen. So muͤſſen Sie alſo auch zugeſtehen, daß Sie nur Ausfluͤchte machen, wenn Sie von der Ungewißheit der menſchlichen Erkenntniß, von der Moͤglichkeit einer neuer Jlluſion u.ſ.w. reden. Sol- che Ausfluͤchte zu machen muͤſſen Sie doch Jhre gehei- men Urſachen haben. Die will ich zu ergruͤnden ſuchen.
Es iſt nicht anders, ungluͤcklicher Herr Graf, Jhre Meynung, daß der Menſch nur eine Maſchine ſey, iſt in Jhrem Herzen zu tief eingewurzelt. Sie lieben ſie, Sie befuͤrchten etwas zu verlieren, das Jhnen ange- nehm iſt, wenn Sie ſie fahren laſſen. Deswegen halten Sie ſie bey allem Widerſpruch Jhrer geſunden Vernunft ſo feſt. Das will ich Jhnen aus der Geſchichte Jhres eigenen Herzens beweiſen.
Wann haben Sie angefangen leichtſinnig zu han- deln, den Trieben des Ehrgeizes zu folgen und den Reizen der Wolluſt nachzugehen? Ganz gewiß in Jhrer fruͤhen Jugend, ehe Sie noch auf den Gedanken verfie- len, der Menſch ſey eine ſeelenloſe Maſchine. Das Ge- fuͤhl, das Gott von der Sittlichkeit der Handlungen auch in Jhre Seele gelegt hatte, verurſachte Jhnen zuweilen Unzufriedenheit mit ſich ſelbſt. Die ſuchten Sie zu un-
terdruͤcken.
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Die menſchliche Erkenntniß iſt ungewiß; Sie
wollen ſich nicht gerne eine neue Jlluſion machen. Fuͤr
den Satz, der Menſch hat eine Seele, iſt Beweis da.
Fuͤr den, er iſt eine Maſchine, iſt keiner. Wo Beweis
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zu befuͤrchten. Und waͤre eine zu befuͤrchten, ſo wollte
ich mich doch lieber von einer Lehre hintergehen laſſen,
die mir ſo vortheilhaft werden koͤnne, als von einer andern,
durch die ich ſchon in das tiefſte Elend geſtuͤrzt waͤre.
Das alles fuͤhlen Sie, und ich bin gewiß, Sie
werden es auch nicht leugnen. So muͤſſen Sie alſo auch
zugeſtehen, daß Sie nur Ausfluͤchte machen, wenn Sie
von der Ungewißheit der menſchlichen Erkenntniß, von
der Moͤglichkeit einer neuer Jlluſion u.ſ.w. reden. Sol-
che Ausfluͤchte zu machen muͤſſen Sie doch Jhre gehei-
men Urſachen haben. Die will ich zu ergruͤnden ſuchen.
Es iſt nicht anders, ungluͤcklicher Herr Graf,
Jhre Meynung, daß der Menſch nur eine Maſchine ſey,
iſt in Jhrem Herzen zu tief eingewurzelt. Sie lieben
ſie, Sie befuͤrchten etwas zu verlieren, das Jhnen ange-
nehm iſt, wenn Sie ſie fahren laſſen. Deswegen halten
Sie ſie bey allem Widerſpruch Jhrer geſunden Vernunft
ſo feſt. Das will ich Jhnen aus der Geſchichte Jhres
eigenen Herzens beweiſen.
Wann haben Sie angefangen leichtſinnig zu han-
deln, den Trieben des Ehrgeizes zu folgen und den
Reizen der Wolluſt nachzugehen? Ganz gewiß in Jhrer
fruͤhen Jugend, ehe Sie noch auf den Gedanken verfie-
len, der Menſch ſey eine ſeelenloſe Maſchine. Das Ge-
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in Jhre Seele gelegt hatte, verurſachte Jhnen zuweilen
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/39>, abgerufen am 16.02.2025.
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