wollte es nicht wissen, daß er Trost in der Erwartung suche, daß er nach dem Tode nicht mehr seyn werde, die Thränen stunden ihm in den Augen, aber nachgeben wollte er nicht.
Jch redete ihm noch einmahl so zärtlich und nach- drücklich zu, als es mir möglich war, und beschwor ihn die letzten Wochen seines Lebens doch nicht fruchtlos für die Ewigkeit verstreichen zu lassen, sondern sein möglich- stes zu thun, um noch gute Hoffnung für dieselbe zu erlangen. Er sah mich starr an, schlug darauf die Au- gen nieder, und sagte: Sie müssen einen großen Fond von Güte, Menschenliebe, Ueberzeugung und Amtstreue haben, daß sie für mich so besorgt sind, und nicht unge- halten auf mich werden, daß ich Jhnen nicht näher kom- me. Jch versicherte ihn, ich würde bis auf den letzten Tag seines Lebens nicht ablassen ihn zu ermahnen und zu bit- ten, und ich hoffe gewiß Gott würde meine Bemühun- gen bey ihm segnen. Jch besorge, setzte ich hinzu, Herr Graf, es ist die unseelige Neigung, die so viel zu Jhrem Unglück beygetragen hat, es ist der Ehrgeiz, es ist die Begierde Recht zu behalten, die Sie gegen die Wahrheit so ungerecht macht. Wie ist es möglich, daß Sie eine Neigung noch lieben können, die Sie in ein solch Elend gestürzt hat? O, sagte er, die ist schon vor- bey. Jch bin sehr klein in meinen eignen Augen. Und wie kann ich auch hier ehrgeizig seyn? Die Leidenschaft, antwortete ich, wütet noch ganz gewiß in ihrer Seele. Jhr ist nur die Gelegenheit zu ihren vorigen Ausbrüchen genommen. Aber gegen die Wahrheit kann sie sich noch immer empören, wenn Sie es ihr verstatten wollen. Hü- ten sie sich davor: die verachtete Wahrheit rächt sich!
Weil mir itzt viel daran gelegen seyn mußte, sein Herz menschlichen und warmen Empfindungen zu
eröffnen,
B 4
wollte es nicht wiſſen, daß er Troſt in der Erwartung ſuche, daß er nach dem Tode nicht mehr ſeyn werde, die Thraͤnen ſtunden ihm in den Augen, aber nachgeben wollte er nicht.
Jch redete ihm noch einmahl ſo zaͤrtlich und nach- druͤcklich zu, als es mir moͤglich war, und beſchwor ihn die letzten Wochen ſeines Lebens doch nicht fruchtlos fuͤr die Ewigkeit verſtreichen zu laſſen, ſondern ſein moͤglich- ſtes zu thun, um noch gute Hoffnung fuͤr dieſelbe zu erlangen. Er ſah mich ſtarr an, ſchlug darauf die Au- gen nieder, und ſagte: Sie muͤſſen einen großen Fond von Guͤte, Menſchenliebe, Ueberzeugung und Amtstreue haben, daß ſie fuͤr mich ſo beſorgt ſind, und nicht unge- halten auf mich werden, daß ich Jhnen nicht naͤher kom- me. Jch verſicherte ihn, ich wuͤrde bis auf den letzten Tag ſeines Lebens nicht ablaſſen ihn zu ermahnen und zu bit- ten, und ich hoffe gewiß Gott wuͤrde meine Bemuͤhun- gen bey ihm ſegnen. Jch beſorge, ſetzte ich hinzu, Herr Graf, es iſt die unſeelige Neigung, die ſo viel zu Jhrem Ungluͤck beygetragen hat, es iſt der Ehrgeiz, es iſt die Begierde Recht zu behalten, die Sie gegen die Wahrheit ſo ungerecht macht. Wie iſt es moͤglich, daß Sie eine Neigung noch lieben koͤnnen, die Sie in ein ſolch Elend geſtuͤrzt hat? O, ſagte er, die iſt ſchon vor- bey. Jch bin ſehr klein in meinen eignen Augen. Und wie kann ich auch hier ehrgeizig ſeyn? Die Leidenſchaft, antwortete ich, wuͤtet noch ganz gewiß in ihrer Seele. Jhr iſt nur die Gelegenheit zu ihren vorigen Ausbruͤchen genommen. Aber gegen die Wahrheit kann ſie ſich noch immer empoͤren, wenn Sie es ihr verſtatten wollen. Huͤ- ten ſie ſich davor: die verachtete Wahrheit raͤcht ſich!
Weil mir itzt viel daran gelegen ſeyn mußte, ſein Herz menſchlichen und warmen Empfindungen zu
eroͤffnen,
B 4
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wollte es nicht wiſſen, daß er Troſt in der Erwartung
ſuche, daß er nach dem Tode nicht mehr ſeyn werde,
die Thraͤnen ſtunden ihm in den Augen, aber nachgeben
wollte er nicht.
Jch redete ihm noch einmahl ſo zaͤrtlich und nach-
druͤcklich zu, als es mir moͤglich war, und beſchwor ihn
die letzten Wochen ſeines Lebens doch nicht fruchtlos fuͤr
die Ewigkeit verſtreichen zu laſſen, ſondern ſein moͤglich-
ſtes zu thun, um noch gute Hoffnung fuͤr dieſelbe zu
erlangen. Er ſah mich ſtarr an, ſchlug darauf die Au-
gen nieder, und ſagte: Sie muͤſſen einen großen Fond
von Guͤte, Menſchenliebe, Ueberzeugung und Amtstreue
haben, daß ſie fuͤr mich ſo beſorgt ſind, und nicht unge-
halten auf mich werden, daß ich Jhnen nicht naͤher kom-
me. Jch verſicherte ihn, ich wuͤrde bis auf den letzten Tag
ſeines Lebens nicht ablaſſen ihn zu ermahnen und zu bit-
ten, und ich hoffe gewiß Gott wuͤrde meine Bemuͤhun-
gen bey ihm ſegnen. Jch beſorge, ſetzte ich hinzu,
Herr Graf, es iſt die unſeelige Neigung, die ſo viel zu
Jhrem Ungluͤck beygetragen hat, es iſt der Ehrgeiz, es
iſt die Begierde Recht zu behalten, die Sie gegen die
Wahrheit ſo ungerecht macht. Wie iſt es moͤglich, daß
Sie eine Neigung noch lieben koͤnnen, die Sie in ein
ſolch Elend geſtuͤrzt hat? O, ſagte er, die iſt ſchon vor-
bey. Jch bin ſehr klein in meinen eignen Augen. Und
wie kann ich auch hier ehrgeizig ſeyn? Die Leidenſchaft,
antwortete ich, wuͤtet noch ganz gewiß in ihrer Seele.
Jhr iſt nur die Gelegenheit zu ihren vorigen Ausbruͤchen
genommen. Aber gegen die Wahrheit kann ſie ſich noch
immer empoͤren, wenn Sie es ihr verſtatten wollen. Huͤ-
ten ſie ſich davor: die verachtete Wahrheit raͤcht ſich!
Weil mir itzt viel daran gelegen ſeyn mußte,
ſein Herz menſchlichen und warmen Empfindungen zu
eroͤffnen,
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/35>, abgerufen am 16.02.2025.
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