Mitgeschöpfe bewußt ist, und nach dem Tode eine herrli- che Verbesserung zu erwarten hat. Wer es nur weiß, daß er von Gott nicht zu würdig denken kann, wer wahre Liebe und Achtung gegen sich selbst hat, der wird wohl nicht zweifelhaft seyn, welche von beyden Hypothesen er anzunehmen habe.
Jch sah es itzt dem Grafen an, daß er über seine Maschine sehr verlegen war. Er gab mir auch zu, daß seine Hypothese gewaltig gegen die meinige zurückstehe. Desto unbegreiflicher war es mir, daß er sich doch we- gerte die seinige aufzugeben. Bey seiner Meynung zu bleiben, sagte er, hätte er diese Gründe. Die mensch- liche Erkenntniß sey überhaupt sehr ungewiß. Es könne wohl seyn, daß er sich bisher eine Jllusion gemacht hätte. Aber er wäre auch immer in Gefahr, wenn er neue Begriffe annähme, sich aufs neue zu betriegen. Ueber dieß habe er unter seinen itzigen Umständen nicht Ruhe und Heiterkeit genug dazu seine bisherigen Grundsätze zu untersuchen; er habe es freylich früher thun sollen, itzt sey es zu spät dazu. Jch antwortete ihm auf diese Gründe folgendes. Die Wahrheit sowohl als der Jrr- thum hätten ihre unfehlbare Merkmahle, woran man sie von einander unterscheiden könnte, zumahl wenn man sie von der moralischen Seite ansähe. Es sey z. Ex. nicht möglich, daß jene den Menschen unglücklich machen könnte, wie dieser es thäte. Ueber dieß hätte er in dem gegenwärtigen Falle Beweise, die seine Vernunft über- zeugten. Und wo solche Beweise wären, da hörte die Ungewißheit auf. Er habe sich freylich bisher illudirt. Das könne er aus den Folgen seiner Grundsätze sehen. Zu welchen Vergehungen habe ihn nicht seine Hypothese verleitet und wie unglücklich ihn dadurch gemacht! Er solle nur untersuchen, zu welcher Tugend und zu welcher Glückseeligkeit ihn die meinige hätte erheben können,
wenn
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Mitgeſchoͤpfe bewußt iſt, und nach dem Tode eine herrli- che Verbeſſerung zu erwarten hat. Wer es nur weiß, daß er von Gott nicht zu wuͤrdig denken kann, wer wahre Liebe und Achtung gegen ſich ſelbſt hat, der wird wohl nicht zweifelhaft ſeyn, welche von beyden Hypotheſen er anzunehmen habe.
Jch ſah es itzt dem Grafen an, daß er uͤber ſeine Maſchine ſehr verlegen war. Er gab mir auch zu, daß ſeine Hypotheſe gewaltig gegen die meinige zuruͤckſtehe. Deſto unbegreiflicher war es mir, daß er ſich doch we- gerte die ſeinige aufzugeben. Bey ſeiner Meynung zu bleiben, ſagte er, haͤtte er dieſe Gruͤnde. Die menſch- liche Erkenntniß ſey uͤberhaupt ſehr ungewiß. Es koͤnne wohl ſeyn, daß er ſich bisher eine Jlluſion gemacht haͤtte. Aber er waͤre auch immer in Gefahr, wenn er neue Begriffe annaͤhme, ſich aufs neue zu betriegen. Ueber dieß habe er unter ſeinen itzigen Umſtaͤnden nicht Ruhe und Heiterkeit genug dazu ſeine bisherigen Grundſaͤtze zu unterſuchen; er habe es freylich fruͤher thun ſollen, itzt ſey es zu ſpaͤt dazu. Jch antwortete ihm auf dieſe Gruͤnde folgendes. Die Wahrheit ſowohl als der Jrr- thum haͤtten ihre unfehlbare Merkmahle, woran man ſie von einander unterſcheiden koͤnnte, zumahl wenn man ſie von der moraliſchen Seite anſaͤhe. Es ſey z. Ex. nicht moͤglich, daß jene den Menſchen ungluͤcklich machen koͤnnte, wie dieſer es thaͤte. Ueber dieß haͤtte er in dem gegenwaͤrtigen Falle Beweiſe, die ſeine Vernunft uͤber- zeugten. Und wo ſolche Beweiſe waͤren, da hoͤrte die Ungewißheit auf. Er habe ſich freylich bisher illudirt. Das koͤnne er aus den Folgen ſeiner Grundſaͤtze ſehen. Zu welchen Vergehungen habe ihn nicht ſeine Hypotheſe verleitet und wie ungluͤcklich ihn dadurch gemacht! Er ſolle nur unterſuchen, zu welcher Tugend und zu welcher Gluͤckſeeligkeit ihn die meinige haͤtte erheben koͤnnen,
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Mitgeſchoͤpfe bewußt iſt, und nach dem Tode eine herrli-
che Verbeſſerung zu erwarten hat. Wer es nur weiß,
daß er von Gott nicht zu wuͤrdig denken kann, wer wahre
Liebe und Achtung gegen ſich ſelbſt hat, der wird wohl
nicht zweifelhaft ſeyn, welche von beyden Hypotheſen er
anzunehmen habe.
Jch ſah es itzt dem Grafen an, daß er uͤber ſeine
Maſchine ſehr verlegen war. Er gab mir auch zu, daß
ſeine Hypotheſe gewaltig gegen die meinige zuruͤckſtehe.
Deſto unbegreiflicher war es mir, daß er ſich doch we-
gerte die ſeinige aufzugeben. Bey ſeiner Meynung zu
bleiben, ſagte er, haͤtte er dieſe Gruͤnde. Die menſch-
liche Erkenntniß ſey uͤberhaupt ſehr ungewiß. Es koͤnne
wohl ſeyn, daß er ſich bisher eine Jlluſion gemacht haͤtte.
Aber er waͤre auch immer in Gefahr, wenn er neue
Begriffe annaͤhme, ſich aufs neue zu betriegen. Ueber
dieß habe er unter ſeinen itzigen Umſtaͤnden nicht Ruhe
und Heiterkeit genug dazu ſeine bisherigen Grundſaͤtze
zu unterſuchen; er habe es freylich fruͤher thun ſollen,
itzt ſey es zu ſpaͤt dazu. Jch antwortete ihm auf dieſe
Gruͤnde folgendes. Die Wahrheit ſowohl als der Jrr-
thum haͤtten ihre unfehlbare Merkmahle, woran man ſie
von einander unterſcheiden koͤnnte, zumahl wenn man
ſie von der moraliſchen Seite anſaͤhe. Es ſey z. Ex. nicht
moͤglich, daß jene den Menſchen ungluͤcklich machen
koͤnnte, wie dieſer es thaͤte. Ueber dieß haͤtte er in dem
gegenwaͤrtigen Falle Beweiſe, die ſeine Vernunft uͤber-
zeugten. Und wo ſolche Beweiſe waͤren, da hoͤrte die
Ungewißheit auf. Er habe ſich freylich bisher illudirt.
Das koͤnne er aus den Folgen ſeiner Grundſaͤtze ſehen.
Zu welchen Vergehungen habe ihn nicht ſeine
Hypotheſe
verleitet und wie ungluͤcklich ihn dadurch gemacht! Er
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Gluͤckſeeligkeit ihn die meinige haͤtte erheben koͤnnen,
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/33>, abgerufen am 16.02.2025.
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