Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.vernünftiger und bequemer war, die tychonische ver- drängt hat. Die Vernunft erkannte es für ihre Pflicht, diese fahren zu lassen und jene anzunehmen. Sie sind itzt in einem ähnlichen Falle. Sie haben gesehen, ihre bisherige Hypothese ist widersprechend, unbequem und unbrauchbar. Wenn ich Jhnen nun eine andre angeben könnte, die besser wäre, würden Sie sich nicht für ver- bunden halten, sich für sie zu erklären? Diese Hypothese drücke ich so aus: Der Mensch besteht aus zwo Sub- stanzen, Leib und Seele. Erinnern Sie sich daran, ich gebe diesen Satz itzt noch für nichts weiter als für eine Hypothese aus. Jch glaube aber, diese hat alle die Mängel nicht, die Sie an der Jhrigen entdeckt haben, sie hat vielmehr die entgegengesetzten Vortheile. Der Leib, die eine der beyden Substanzen, woraus der Mensch besteht, ist und bleibt eine Maschine. Jn so weit können Sie Jhre alte Meynung beybehalten. Und darüber ist auch gar kein Streit, daß die in dem vor- hergehenden Zustande gegründeten Bewegungen des Lei- bes, und auch gewisse Empfindungen der Seele, aus der Einrichtung dieser Maschine müssen erklärt werden kön- nen. Die Seele hingegen ist von ihrem Urheber mit Verstand und Willen, Vernunft und Freyheit begabt. Denn wir können Begriffe bilden, sie mit einander ver- gleichen, wir sind fähig Zuneigungen und Abneigungen zu haben, und aus zwey entgegengesetzten Fällen einen zu wählen. Also müssen wir zu allen diesen Würkungen Fähigkeiten haben, und diese Fähigkeiten führen die an- geführten Nahmen. So bald Sie diese meine Hypo- these annehmen, so sind die willkührlichen und freyen Handlungen des Menschen nicht mehr unerklärbar. Jch gieng hierauf diejenigen Erscheinungen bey dem Men- schen durch, die sich aus der Maschine nicht herleiten lassen, und zeigte ihm, wie sie aus meinem Satze leicht und natürlich flössen. Er hörte mir aufmerksam zu, gab sich B 2
vernuͤnftiger und bequemer war, die tychoniſche ver- draͤngt hat. Die Vernunft erkannte es fuͤr ihre Pflicht, dieſe fahren zu laſſen und jene anzunehmen. Sie ſind itzt in einem aͤhnlichen Falle. Sie haben geſehen, ihre bisherige Hypotheſe iſt widerſprechend, unbequem und unbrauchbar. Wenn ich Jhnen nun eine andre angeben koͤnnte, die beſſer waͤre, wuͤrden Sie ſich nicht fuͤr ver- bunden halten, ſich fuͤr ſie zu erklaͤren? Dieſe Hypotheſe druͤcke ich ſo aus: Der Menſch beſteht aus zwo Sub- ſtanzen, Leib und Seele. Erinnern Sie ſich daran, ich gebe dieſen Satz itzt noch fuͤr nichts weiter als fuͤr eine Hypotheſe aus. Jch glaube aber, dieſe hat alle die Maͤngel nicht, die Sie an der Jhrigen entdeckt haben, ſie hat vielmehr die entgegengeſetzten Vortheile. Der Leib, die eine der beyden Subſtanzen, woraus der Menſch beſteht, iſt und bleibt eine Maſchine. Jn ſo weit koͤnnen Sie Jhre alte Meynung beybehalten. Und daruͤber iſt auch gar kein Streit, daß die in dem vor- hergehenden Zuſtande gegruͤndeten Bewegungen des Lei- bes, und auch gewiſſe Empfindungen der Seele, aus der Einrichtung dieſer Maſchine muͤſſen erklaͤrt werden koͤn- nen. Die Seele hingegen iſt von ihrem Urheber mit Verſtand und Willen, Vernunft und Freyheit begabt. Denn wir koͤnnen Begriffe bilden, ſie mit einander ver- gleichen, wir ſind faͤhig Zuneigungen und Abneigungen zu haben, und aus zwey entgegengeſetzten Faͤllen einen zu waͤhlen. Alſo muͤſſen wir zu allen dieſen Wuͤrkungen Faͤhigkeiten haben, und dieſe Faͤhigkeiten fuͤhren die an- gefuͤhrten Nahmen. So bald Sie dieſe meine Hypo- theſe annehmen, ſo ſind die willkuͤhrlichen und freyen Handlungen des Menſchen nicht mehr unerklaͤrbar. Jch gieng hierauf diejenigen Erſcheinungen bey dem Men- ſchen durch, die ſich aus der Maſchine nicht herleiten laſſen, und zeigte ihm, wie ſie aus meinem Satze leicht und natuͤrlich floͤſſen. Er hoͤrte mir aufmerkſam zu, gab ſich B 2
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vernuͤnftiger und bequemer war, die tychoniſche ver-
draͤngt hat. Die Vernunft erkannte es fuͤr ihre Pflicht,
dieſe fahren zu laſſen und jene anzunehmen. Sie ſind
itzt in einem aͤhnlichen Falle. Sie haben geſehen, ihre
bisherige Hypotheſe iſt widerſprechend, unbequem und
unbrauchbar. Wenn ich Jhnen nun eine andre angeben
koͤnnte, die beſſer waͤre, wuͤrden Sie ſich nicht fuͤr ver-
bunden halten, ſich fuͤr ſie zu erklaͤren? Dieſe Hypotheſe
druͤcke ich ſo aus: Der Menſch beſteht aus zwo Sub-
ſtanzen, Leib und Seele. Erinnern Sie ſich daran,
ich gebe dieſen Satz itzt noch fuͤr nichts weiter als fuͤr
eine Hypotheſe aus. Jch glaube aber, dieſe hat alle die
Maͤngel nicht, die Sie an der Jhrigen entdeckt haben,
ſie hat vielmehr die entgegengeſetzten Vortheile. Der
Leib, die eine der beyden Subſtanzen, woraus der
Menſch beſteht, iſt und bleibt eine Maſchine. Jn ſo
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daruͤber iſt auch gar kein Streit, daß die in dem vor-
hergehenden Zuſtande gegruͤndeten Bewegungen des Lei-
bes, und auch gewiſſe Empfindungen der Seele, aus der
Einrichtung dieſer Maſchine muͤſſen erklaͤrt werden koͤn-
nen. Die Seele hingegen iſt von ihrem Urheber mit
Verſtand und Willen, Vernunft und Freyheit begabt.
Denn wir koͤnnen Begriffe bilden, ſie mit einander ver-
gleichen, wir ſind faͤhig Zuneigungen und Abneigungen
zu haben, und aus zwey entgegengeſetzten Faͤllen einen
zu waͤhlen. Alſo muͤſſen wir zu allen dieſen Wuͤrkungen
Faͤhigkeiten haben, und dieſe Faͤhigkeiten fuͤhren die an-
gefuͤhrten Nahmen. So bald Sie dieſe meine Hypo-
theſe annehmen, ſo ſind die willkuͤhrlichen und freyen
Handlungen des Menſchen nicht mehr unerklaͤrbar. Jch
gieng hierauf diejenigen Erſcheinungen bey dem Men-
ſchen durch, die ſich aus der Maſchine nicht herleiten
laſſen, und zeigte ihm, wie ſie aus meinem Satze leicht
und natuͤrlich floͤſſen. Er hoͤrte mir aufmerkſam zu, gab
ſich
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