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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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machen das Gegentheil der Handlung, zu der sie ihn
reizen, nicht unmöglich. Z. Ex. Da steht die Tabatiere.
Jhr Anblick, ein gewisses Gefühl in meiner Nase, kurz
die Empfindung reizt mich eine Prise zu nehmen. Was
werde ich nun thun, Herr Graf? "Sie werden eine
Prise nehmen!" Jch sage Jhnen aber, ich werde keine
nehmen. Die Empfindung giebt mir nur einen Antrieb,
aber sie determinirt mich nicht. Es steht bey mir, das
Gegentheil von dem zu thun, wozu sie mich reizt. --
Sie sehen hieraus, Herr Graf, Jhre Hypothese hat
auch den Fehler, daß sie Hülfshypothesen nöthig hat,
und diese sind zum Unglück eben so unzulänglich, als sie
selbst ist.

Jch hatte vorhin erwähnt, daß auch die Vor-
würfe des Gewissens unerklärbar blieben, wenn man an-
nähme, der Mensch sey eine Maschine. Er erinnerte
sich daran und behauptete, sie ließen sich doch daraus
herleiten, denn sie entstünden aus der Empfindung des
Uebels, das man sich zugezogen hätte. Jch gab ihm zu,
sie entstünden aus der Empfindung dieses Uebels, wenn
er wollte; aber durch einen Schluß, den die Maschine
nicht machen könnte, sondern nur das vernünftige We-
sen, das mit der Maschine verbunden wäre. Er hatte
bey unsrer ersten Unterredung gesagt, er mache sich über
einige seiner Handlungen Vorwürfe. Jch bildete ihm
den Schluß, den er selbst darüber gemacht haben müßte,
und fügte einige practische Anmerkungen hinzu, die auf
seinen Zustand giengen. Dieß schien ihm einleuchtend
zu seyn, und er ward dadurch auf einige Augenblicke in
sich selbst vertieft.

Nachdem er wieder von seinem tiefen Nachden-
ken zurückgekommen war, fuhr ich so fort: Sie wissen,
Herr Graf, daß die copernicanische Hypothese, weil sie

ver-



machen das Gegentheil der Handlung, zu der ſie ihn
reizen, nicht unmoͤglich. Z. Ex. Da ſteht die Tabatiere.
Jhr Anblick, ein gewiſſes Gefuͤhl in meiner Naſe, kurz
die Empfindung reizt mich eine Priſe zu nehmen. Was
werde ich nun thun, Herr Graf? “Sie werden eine
Priſe nehmen!„ Jch ſage Jhnen aber, ich werde keine
nehmen. Die Empfindung giebt mir nur einen Antrieb,
aber ſie determinirt mich nicht. Es ſteht bey mir, das
Gegentheil von dem zu thun, wozu ſie mich reizt. —
Sie ſehen hieraus, Herr Graf, Jhre Hypotheſe hat
auch den Fehler, daß ſie Huͤlfshypotheſen noͤthig hat,
und dieſe ſind zum Ungluͤck eben ſo unzulaͤnglich, als ſie
ſelbſt iſt.

Jch hatte vorhin erwaͤhnt, daß auch die Vor-
wuͤrfe des Gewiſſens unerklaͤrbar blieben, wenn man an-
naͤhme, der Menſch ſey eine Maſchine. Er erinnerte
ſich daran und behauptete, ſie ließen ſich doch daraus
herleiten, denn ſie entſtuͤnden aus der Empfindung des
Uebels, das man ſich zugezogen haͤtte. Jch gab ihm zu,
ſie entſtuͤnden aus der Empfindung dieſes Uebels, wenn
er wollte; aber durch einen Schluß, den die Maſchine
nicht machen koͤnnte, ſondern nur das vernuͤnftige We-
ſen, das mit der Maſchine verbunden waͤre. Er hatte
bey unſrer erſten Unterredung geſagt, er mache ſich uͤber
einige ſeiner Handlungen Vorwuͤrfe. Jch bildete ihm
den Schluß, den er ſelbſt daruͤber gemacht haben muͤßte,
und fuͤgte einige practiſche Anmerkungen hinzu, die auf
ſeinen Zuſtand giengen. Dieß ſchien ihm einleuchtend
zu ſeyn, und er ward dadurch auf einige Augenblicke in
ſich ſelbſt vertieft.

Nachdem er wieder von ſeinem tiefen Nachden-
ken zuruͤckgekommen war, fuhr ich ſo fort: Sie wiſſen,
Herr Graf, daß die copernicaniſche Hypotheſe, weil ſie

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[18/0030] machen das Gegentheil der Handlung, zu der ſie ihn reizen, nicht unmoͤglich. Z. Ex. Da ſteht die Tabatiere. Jhr Anblick, ein gewiſſes Gefuͤhl in meiner Naſe, kurz die Empfindung reizt mich eine Priſe zu nehmen. Was werde ich nun thun, Herr Graf? “Sie werden eine Priſe nehmen!„ Jch ſage Jhnen aber, ich werde keine nehmen. Die Empfindung giebt mir nur einen Antrieb, aber ſie determinirt mich nicht. Es ſteht bey mir, das Gegentheil von dem zu thun, wozu ſie mich reizt. — Sie ſehen hieraus, Herr Graf, Jhre Hypotheſe hat auch den Fehler, daß ſie Huͤlfshypotheſen noͤthig hat, und dieſe ſind zum Ungluͤck eben ſo unzulaͤnglich, als ſie ſelbſt iſt. Jch hatte vorhin erwaͤhnt, daß auch die Vor- wuͤrfe des Gewiſſens unerklaͤrbar blieben, wenn man an- naͤhme, der Menſch ſey eine Maſchine. Er erinnerte ſich daran und behauptete, ſie ließen ſich doch daraus herleiten, denn ſie entſtuͤnden aus der Empfindung des Uebels, das man ſich zugezogen haͤtte. Jch gab ihm zu, ſie entſtuͤnden aus der Empfindung dieſes Uebels, wenn er wollte; aber durch einen Schluß, den die Maſchine nicht machen koͤnnte, ſondern nur das vernuͤnftige We- ſen, das mit der Maſchine verbunden waͤre. Er hatte bey unſrer erſten Unterredung geſagt, er mache ſich uͤber einige ſeiner Handlungen Vorwuͤrfe. Jch bildete ihm den Schluß, den er ſelbſt daruͤber gemacht haben muͤßte, und fuͤgte einige practiſche Anmerkungen hinzu, die auf ſeinen Zuſtand giengen. Dieß ſchien ihm einleuchtend zu ſeyn, und er ward dadurch auf einige Augenblicke in ſich ſelbſt vertieft. Nachdem er wieder von ſeinem tiefen Nachden- ken zuruͤckgekommen war, fuhr ich ſo fort: Sie wiſſen, Herr Graf, daß die copernicaniſche Hypotheſe, weil ſie ver-

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/30>, abgerufen am 21.11.2024.