Gegenwärtige nicht durch die Betrachtung des Zukünfti- gen verbittern. Selbst in Lebensgefahren habe ich mich immer vor der Aussicht in die Zukunft gehütet. Jch bin einigemahl tödtlich krank gewesen, ich bin mit großer Ver- wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber nie ist es mir eingefallen nur einen Schritt über das Leben hinauszudenken.
Jch bat ihn nun sorgfältig nachzudenken, ob noch in seinen Gesinnungen etwas vorhanden sey, das Gott mis- fällig seyn und noch gebessert werden könne. Jch sey zwar über seine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wünschte daß er so rein vom moralischen Uebel und so Gott gefällig, als es unter seinen Umständen möglich wäre, in die Ewigkeit eintreten möchte. Um desto besser würde auch dort sogleich sein Zustand werden. Jch versichere Sie, antwortete er mir, daß es mein einziges und liebstes Geschäfft ist, dieß zu untersuchen. Jch beurtheile mich mit der größesten Ge- nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf darü- ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Gesin- nungen keinen größern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber ich habe gefunden, daß ich nicht nöthig habe darüber unru- hig und mistrauisch gegen mich zu seyn, da ichs mir bewußt bin, daß ich nichts in der Welt so lebhaft oder lebhafter em- pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung gestehe ich gern ein, daß sie vor Gott und meinem Gewissen, auch vor den Menschen, wegen der schlechten Bewegungsgründe, des Leichtsinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen- nutzens, die mich dabey geleitet haben, sehr verwerflich ist. Jn wie weit sie im Ganzen und stückweise betrachtet po- litisch schlecht gewesen ist, das unterstehe ich mich nicht zu beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich vermuhten, daß ich in meinen politischen Grundsätzen, wie in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch überlasse willig die Entscheidung dieser Frage den Nachle-
benden,
Gegenwaͤrtige nicht durch die Betrachtung des Zukuͤnfti- gen verbittern. Selbſt in Lebensgefahren habe ich mich immer vor der Auſſicht in die Zukunft gehuͤtet. Jch bin einigemahl toͤdtlich krank geweſen, ich bin mit großer Ver- wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber nie iſt es mir eingefallen nur einen Schritt uͤber das Leben hinauszudenken.
Jch bat ihn nun ſorgfaͤltig nachzudenken, ob noch in ſeinen Geſinnungen etwas vorhanden ſey, das Gott mis- faͤllig ſeyn und noch gebeſſert werden koͤnne. Jch ſey zwar uͤber ſeine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wuͤnſchte daß er ſo rein vom moraliſchen Uebel und ſo Gott gefaͤllig, als es unter ſeinen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, in die Ewigkeit eintreten moͤchte. Um deſto beſſer wuͤrde auch dort ſogleich ſein Zuſtand werden. Jch verſichere Sie, antwortete er mir, daß es mein einziges und liebſtes Geſchaͤfft iſt, dieß zu unterſuchen. Jch beurtheile mich mit der groͤßeſten Ge- nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daruͤ- ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Geſin- nungen keinen groͤßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber ich habe gefunden, daß ich nicht noͤthig habe daruͤber unru- hig und mistrauiſch gegen mich zu ſeyn, da ichs mir bewußt bin, daß ich nichts in der Welt ſo lebhaft oder lebhafter em- pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung geſtehe ich gern ein, daß ſie vor Gott und meinem Gewiſſen, auch vor den Menſchen, wegen der ſchlechten Bewegungsgruͤnde, des Leichtſinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen- nutzens, die mich dabey geleitet haben, ſehr verwerflich iſt. Jn wie weit ſie im Ganzen und ſtuͤckweiſe betrachtet po- litiſch ſchlecht geweſen iſt, das unterſtehe ich mich nicht zu beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich vermuhten, daß ich in meinen politiſchen Grundſaͤtzen, wie in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch uͤberlaſſe willig die Entſcheidung dieſer Frage den Nachle-
benden,
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Gegenwaͤrtige nicht durch die Betrachtung des Zukuͤnfti-
gen verbittern. Selbſt in Lebensgefahren habe ich mich
immer vor der Auſſicht in die Zukunft gehuͤtet. Jch bin
einigemahl toͤdtlich krank geweſen, ich bin mit großer Ver-
wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey
einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber
nie iſt es mir eingefallen nur einen Schritt uͤber das Leben
hinauszudenken.
Jch bat ihn nun ſorgfaͤltig nachzudenken, ob noch
in ſeinen Geſinnungen etwas vorhanden ſey, das Gott mis-
faͤllig ſeyn und noch gebeſſert werden koͤnne. Jch ſey zwar
uͤber ſeine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wuͤnſchte daß
er ſo rein vom moraliſchen Uebel und ſo Gott gefaͤllig, als
es unter ſeinen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, in die Ewigkeit
eintreten moͤchte. Um deſto beſſer wuͤrde auch dort ſogleich
ſein Zuſtand werden. Jch verſichere Sie, antwortete er
mir, daß es mein einziges und liebſtes Geſchaͤfft iſt, dieß
zu unterſuchen. Jch beurtheile mich mit der groͤßeſten Ge-
nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daruͤ-
ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Geſin-
nungen keinen groͤßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber
ich habe gefunden, daß ich nicht noͤthig habe daruͤber unru-
hig und mistrauiſch gegen mich zu ſeyn, da ichs mir bewußt
bin, daß ich nichts in der Welt ſo lebhaft oder lebhafter em-
pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung geſtehe ich gern ein,
daß ſie vor Gott und meinem Gewiſſen, auch vor den
Menſchen, wegen der ſchlechten Bewegungsgruͤnde, des
Leichtſinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen-
nutzens, die mich dabey geleitet haben, ſehr verwerflich
iſt. Jn wie weit ſie im Ganzen und ſtuͤckweiſe betrachtet po-
litiſch ſchlecht geweſen iſt, das unterſtehe ich mich nicht zu
beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich
vermuhten, daß ich in meinen politiſchen Grundſaͤtzen, wie
in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/270>, abgerufen am 28.07.2024.
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