Wie muß ich nicht meine vorige Denkungsart verabscheuen, daß ich immer einer wilden und blinden Leidenschaft folgte! Wie nachdrücklich werde ich itzt dafür bestraft!
Er redete nun noch von verschiedenen Angelegenhei- ten seines Herzens, von seinen Gesinnungen gegen seine El- tern und Geschwister, von seiner Zufriedenheit mit dem Wege, auf welchem ihn Gott zu seiner Bestimmung führte, als sein Defensor ins Zimmer trat, ihn von dem über ihn ge- fällten Urtheile zu benachrichtigen. Herr Graf, sagte er, ich bringe Jhnen eine schlechte Nachricht. Hier zog er die Abschrift des Urtheils aus der Tasche. Das habe ich mir nicht anders vorgestellt, antwortete der Graf, lassen Sie michs nur sehen. Er las es. Jch beobachtete ihn sehr genau, und bemerkte nicht die geringste Veränderung in seinem Ge- sichte. Als er es gelesen hatte, gab ers mir. Es lautete so. -- "Zufolge des dänischen Gesetzes sechsten Buchs, vierten Kapitels, ersten Artikels, wird hiemit für Recht erkannt: Der Graf, Johann Friedrich Struensee soll sich selbst zur wohlverdienten Strafe und andern Gleichgesinn- ten zum Beyspiel und Abscheu, seine Ehre, Leib und Gut verbrochen haben, derselbe seiner gräflichen und aller an- dern ihm verliehenen Würden entsetzt, und sein gräfliches Wapen von dem Scharfrichter zerbrochen werden. So soll auch Johann Friedrich Struensees rechte Hand, und dar- auf sein Kopf ihm lebendig abgehauen, sein Körper gevier- theilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf einen Pfahl gesteckt werden.
Während der Zeit, da ich das Urtheil las und zit- terte, fieng er an ganz ruhig mit seinem Defensor zu reden, und ihn zu fragen, ob alle Puncte der Anklage wider ihn zur Decision gebraucht wären. Der Defensor bejahete es. "Und was wird Brandts Schicksal seyn?" Sein Urtheil ist dem Jhrigen völlig gleichlautend. "Hat denn sein De- fensor gar nichts thun können um ihn zu retten?" Er hat alles gesagt, was er sagen konnte, aber Graf Brandt hat
zu
Wie muß ich nicht meine vorige Denkungsart verabſcheuen, daß ich immer einer wilden und blinden Leidenſchaft folgte! Wie nachdruͤcklich werde ich itzt dafuͤr beſtraft!
Er redete nun noch von verſchiedenen Angelegenhei- ten ſeines Herzens, von ſeinen Geſinnungen gegen ſeine El- tern und Geſchwiſter, von ſeiner Zufriedenheit mit dem Wege, auf welchem ihn Gott zu ſeiner Beſtimmung fuͤhrte, als ſein Defenſor ins Zimmer trat, ihn von dem uͤber ihn ge- faͤllten Urtheile zu benachrichtigen. Herr Graf, ſagte er, ich bringe Jhnen eine ſchlechte Nachricht. Hier zog er die Abſchrift des Urtheils aus der Taſche. Das habe ich mir nicht anders vorgeſtellt, antwortete der Graf, laſſen Sie michs nur ſehen. Er las es. Jch beobachtete ihn ſehr genau, und bemerkte nicht die geringſte Veraͤnderung in ſeinem Ge- ſichte. Als er es geleſen hatte, gab ers mir. Es lautete ſo. — “Zufolge des daͤniſchen Geſetzes ſechsten Buchs, vierten Kapitels, erſten Artikels, wird hiemit fuͤr Recht erkannt: Der Graf, Johann Friedrich Struenſee ſoll ſich ſelbſt zur wohlverdienten Strafe und andern Gleichgeſinn- ten zum Beyſpiel und Abſcheu, ſeine Ehre, Leib und Gut verbrochen haben, derſelbe ſeiner graͤflichen und aller an- dern ihm verliehenen Wuͤrden entſetzt, und ſein graͤfliches Wapen von dem Scharfrichter zerbrochen werden. So ſoll auch Johann Friedrich Struenſees rechte Hand, und dar- auf ſein Kopf ihm lebendig abgehauen, ſein Koͤrper gevier- theilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf einen Pfahl geſteckt werden.
Waͤhrend der Zeit, da ich das Urtheil las und zit- terte, fieng er an ganz ruhig mit ſeinem Defenſor zu reden, und ihn zu fragen, ob alle Puncte der Anklage wider ihn zur Deciſion gebraucht waͤren. Der Defenſor bejahete es. „Und was wird Brandts Schickſal ſeyn?“ Sein Urtheil iſt dem Jhrigen voͤllig gleichlautend. “Hat denn ſein De- fenſor gar nichts thun koͤnnen um ihn zu retten?„ Er hat alles geſagt, was er ſagen konnte, aber Graf Brandt hat
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Wie muß ich nicht meine vorige Denkungsart verabſcheuen,
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Wie nachdruͤcklich werde ich itzt dafuͤr beſtraft!
Er redete nun noch von verſchiedenen Angelegenhei-
ten ſeines Herzens, von ſeinen Geſinnungen gegen ſeine El-
tern und Geſchwiſter, von ſeiner Zufriedenheit mit dem
Wege, auf welchem ihn Gott zu ſeiner Beſtimmung fuͤhrte,
als ſein Defenſor ins Zimmer trat, ihn von dem uͤber ihn ge-
faͤllten Urtheile zu benachrichtigen. Herr Graf, ſagte er,
ich bringe Jhnen eine ſchlechte Nachricht. Hier zog er die
Abſchrift des Urtheils aus der Taſche. Das habe ich mir
nicht anders vorgeſtellt, antwortete der Graf, laſſen Sie
michs nur ſehen. Er las es. Jch beobachtete ihn ſehr genau,
und bemerkte nicht die geringſte Veraͤnderung in ſeinem Ge-
ſichte. Als er es geleſen hatte, gab ers mir. Es lautete
ſo. — “Zufolge des daͤniſchen Geſetzes ſechsten Buchs,
vierten Kapitels, erſten Artikels, wird hiemit fuͤr Recht
erkannt: Der Graf, Johann Friedrich Struenſee ſoll ſich
ſelbſt zur wohlverdienten Strafe und andern Gleichgeſinn-
ten zum Beyſpiel und Abſcheu, ſeine Ehre, Leib und Gut
verbrochen haben, derſelbe ſeiner graͤflichen und aller an-
dern ihm verliehenen Wuͤrden entſetzt, und ſein graͤfliches
Wapen von dem Scharfrichter zerbrochen werden. So ſoll
auch Johann Friedrich Struenſees rechte Hand, und dar-
auf ſein Kopf ihm lebendig abgehauen, ſein Koͤrper gevier-
theilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf
einen Pfahl geſteckt werden.
Waͤhrend der Zeit, da ich das Urtheil las und zit-
terte, fieng er an ganz ruhig mit ſeinem Defenſor zu reden,
und ihn zu fragen, ob alle Puncte der Anklage wider ihn
zur Deciſion gebraucht waͤren. Der Defenſor bejahete es.
„Und was wird Brandts Schickſal ſeyn?“ Sein Urtheil
iſt dem Jhrigen voͤllig gleichlautend. “Hat denn ſein De-
fenſor gar nichts thun koͤnnen um ihn zu retten?„ Er hat
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/264>, abgerufen am 06.07.2024.
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