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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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ben wollen. Aus diesem Gesichtspuncte wollen wir sie
heute betrachten. Es ist zwar nicht nöthig, daß ich mich
auf eine umständliche Beurtheilung Jhrer Hypothese
einlasse; denn daß kein künftiges Leben sey, kann doch
niemand aus derselben beweisen. Jch will es aber den-
noch thun, damit Sie mich nicht in Verdacht haben mö-
gen, daß ich Sie überraschen wolle.

Er war sehr aufmerksam, und folgte mir bey
der Untersuchung, die ich nun anstellte, Schritt vor
Schritt. Jch an meiner Seite warnte ihn, so oft ich
an einen Satz kam, der seiner Meynung besonders ge-
fährlich war, und forderte ihn auf sich zu vertheidigen,
weil er nun in Gefahr sey, überwunden zu werden.

Zuerst setzte ich folgende logicalische Regeln über
die philosophische Hypothese ins Licht, und legte sie zum
Grunde. -- Eine philosophische Hypothese ist ein Satz,
den ich annehme, um andere Sätze, Erscheinungen u.
s. w. daraus zu erklären. Ein solcher Satz braucht keine
erwiesene oder ausgemachte Wahrheit zu seyn, wenn er nur
nicht in sich selbst oder andern gewiß erkannten Wahr-
heiten widersprechend, und hinreichend ist, die unbekann-
ten Dinge zu erklären, zu deren Erklärung er angenom-
men wird. Deswegen ist die Hypothese um so viel besser,
je leichter und ungezwungener dasjenige, das man gerne
durch sie erklären will, durch sie erklärt werden kann:
aber sie ist um so viel schlechter, je weniger sie dazu
brauchbar ist. Muß ich neue Hypothesen zu Hülfe ru-
fen, um das, was durch jene unerklärbar bleibt, zu er-
klären, so wird sie immer unwahrscheinlicher und ver-
dächtiger, je mehr solcher Hülfshypothesen nöthig sind.
Wenn ich z. Ex. zeigen will, wie es zugeht, daß Tag
und Nacht, daß die wärmern und kältern Jahrszeiten
mit einander abwechseln, so kann ich es auf diese Art

anfan-



ben wollen. Aus dieſem Geſichtspuncte wollen wir ſie
heute betrachten. Es iſt zwar nicht noͤthig, daß ich mich
auf eine umſtaͤndliche Beurtheilung Jhrer Hypotheſe
einlaſſe; denn daß kein kuͤnftiges Leben ſey, kann doch
niemand aus derſelben beweiſen. Jch will es aber den-
noch thun, damit Sie mich nicht in Verdacht haben moͤ-
gen, daß ich Sie uͤberraſchen wolle.

Er war ſehr aufmerkſam, und folgte mir bey
der Unterſuchung, die ich nun anſtellte, Schritt vor
Schritt. Jch an meiner Seite warnte ihn, ſo oft ich
an einen Satz kam, der ſeiner Meynung beſonders ge-
faͤhrlich war, und forderte ihn auf ſich zu vertheidigen,
weil er nun in Gefahr ſey, uͤberwunden zu werden.

Zuerſt ſetzte ich folgende logicaliſche Regeln uͤber
die philoſophiſche Hypotheſe ins Licht, und legte ſie zum
Grunde. — Eine philoſophiſche Hypotheſe iſt ein Satz,
den ich annehme, um andere Saͤtze, Erſcheinungen u.
ſ. w. daraus zu erklaͤren. Ein ſolcher Satz braucht keine
erwieſene oder ausgemachte Wahrheit zu ſeyn, wenn er nur
nicht in ſich ſelbſt oder andern gewiß erkannten Wahr-
heiten widerſprechend, und hinreichend iſt, die unbekann-
ten Dinge zu erklaͤren, zu deren Erklaͤrung er angenom-
men wird. Deswegen iſt die Hypotheſe um ſo viel beſſer,
je leichter und ungezwungener dasjenige, das man gerne
durch ſie erklaͤren will, durch ſie erklaͤrt werden kann:
aber ſie iſt um ſo viel ſchlechter, je weniger ſie dazu
brauchbar iſt. Muß ich neue Hypotheſen zu Huͤlfe ru-
fen, um das, was durch jene unerklaͤrbar bleibt, zu er-
klaͤren, ſo wird ſie immer unwahrſcheinlicher und ver-
daͤchtiger, je mehr ſolcher Huͤlfshypotheſen noͤthig ſind.
Wenn ich z. Ex. zeigen will, wie es zugeht, daß Tag
und Nacht, daß die waͤrmern und kaͤltern Jahrszeiten
mit einander abwechſeln, ſo kann ich es auf dieſe Art

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[13/0025] ben wollen. Aus dieſem Geſichtspuncte wollen wir ſie heute betrachten. Es iſt zwar nicht noͤthig, daß ich mich auf eine umſtaͤndliche Beurtheilung Jhrer Hypotheſe einlaſſe; denn daß kein kuͤnftiges Leben ſey, kann doch niemand aus derſelben beweiſen. Jch will es aber den- noch thun, damit Sie mich nicht in Verdacht haben moͤ- gen, daß ich Sie uͤberraſchen wolle. Er war ſehr aufmerkſam, und folgte mir bey der Unterſuchung, die ich nun anſtellte, Schritt vor Schritt. Jch an meiner Seite warnte ihn, ſo oft ich an einen Satz kam, der ſeiner Meynung beſonders ge- faͤhrlich war, und forderte ihn auf ſich zu vertheidigen, weil er nun in Gefahr ſey, uͤberwunden zu werden. Zuerſt ſetzte ich folgende logicaliſche Regeln uͤber die philoſophiſche Hypotheſe ins Licht, und legte ſie zum Grunde. — Eine philoſophiſche Hypotheſe iſt ein Satz, den ich annehme, um andere Saͤtze, Erſcheinungen u. ſ. w. daraus zu erklaͤren. Ein ſolcher Satz braucht keine erwieſene oder ausgemachte Wahrheit zu ſeyn, wenn er nur nicht in ſich ſelbſt oder andern gewiß erkannten Wahr- heiten widerſprechend, und hinreichend iſt, die unbekann- ten Dinge zu erklaͤren, zu deren Erklaͤrung er angenom- men wird. Deswegen iſt die Hypotheſe um ſo viel beſſer, je leichter und ungezwungener dasjenige, das man gerne durch ſie erklaͤren will, durch ſie erklaͤrt werden kann: aber ſie iſt um ſo viel ſchlechter, je weniger ſie dazu brauchbar iſt. Muß ich neue Hypotheſen zu Huͤlfe ru- fen, um das, was durch jene unerklaͤrbar bleibt, zu er- klaͤren, ſo wird ſie immer unwahrſcheinlicher und ver- daͤchtiger, je mehr ſolcher Huͤlfshypotheſen noͤthig ſind. Wenn ich z. Ex. zeigen will, wie es zugeht, daß Tag und Nacht, daß die waͤrmern und kaͤltern Jahrszeiten mit einander abwechſeln, ſo kann ich es auf dieſe Art anfan-

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/25>, abgerufen am 24.11.2024.