Jch hatte dem Grafen Gellerts und Cramers geistliche Lieder mitgebracht, und bat ihn zuweilen eins davon zu lesen. Vielleicht würde er dadurch Anlaß zur andächtigen Richtung des Herzens auf Gott finden. Er antwortete mir: er sey nie ein Liebhaber der Poesie gewe- sen, er habe immer den simplen ungeschmückten Vortrag vorgezogen. Doch wolle er die Bücher bey sich behalten, und einen Versuch machen, ob er sich dadurch erbauen könnte. Jch erinnerte ihn, daß sich geistliche Lieder vornemlich durch ihre Simplicität von andern Poesien unterschieden. u. s. w.
Ein und zwanzigste Unterredung, den 4ten April.
Der Graf Struensee war von der Wahrheit des Chri- stenthums völlig überzeugt. Jch mußte also nun meine Bemühungen bey ihm darauf richten, zu unter- suchen, wie weit seine Gesinnungen bisher durch die Kraft der Wahrheit gebessert wären, und dann mußte ich mich bemühen die Mängel, die ich finden würde, durch Anwendung der Mittel, die das Evangelium dar- beut, zu heben.
Jch bat ihn also, er möchte mir, als in der Ge- genwart Gottes, sagen, ob er nun die Lehre Jesu mit Ueberzeugung glaube. Er antwortete mir: Jch habe sonst immer, wie Sie wissen, geglaubt, daß das Chri- stenthum ohne alle Beweise sey, und bloß auf die Auto- rität der Geistlichen angenommen werden müsse. Nun sehe ich ein, was für Gründe es für sich hat, glaube sie auch hinlänglich zu kennen, und ihre Kraft genug zu empfinden, als daß ich befürchten sollte, auch in dem Falle, wenn ich noch lange Zeit zu leben hätte, mich jemals wieder durch die Lust zur Sünde oder durch solche
nichts-
Jch hatte dem Grafen Gellerts und Cramers geiſtliche Lieder mitgebracht, und bat ihn zuweilen eins davon zu leſen. Vielleicht wuͤrde er dadurch Anlaß zur andaͤchtigen Richtung des Herzens auf Gott finden. Er antwortete mir: er ſey nie ein Liebhaber der Poeſie gewe- ſen, er habe immer den ſimplen ungeſchmuͤckten Vortrag vorgezogen. Doch wolle er die Buͤcher bey ſich behalten, und einen Verſuch machen, ob er ſich dadurch erbauen koͤnnte. Jch erinnerte ihn, daß ſich geiſtliche Lieder vornemlich durch ihre Simplicitaͤt von andern Poeſien unterſchieden. u. ſ. w.
Ein und zwanzigſte Unterredung, den 4ten April.
Der Graf Struenſee war von der Wahrheit des Chri- ſtenthums voͤllig uͤberzeugt. Jch mußte alſo nun meine Bemuͤhungen bey ihm darauf richten, zu unter- ſuchen, wie weit ſeine Geſinnungen bisher durch die Kraft der Wahrheit gebeſſert waͤren, und dann mußte ich mich bemuͤhen die Maͤngel, die ich finden wuͤrde, durch Anwendung der Mittel, die das Evangelium dar- beut, zu heben.
Jch bat ihn alſo, er moͤchte mir, als in der Ge- genwart Gottes, ſagen, ob er nun die Lehre Jeſu mit Ueberzeugung glaube. Er antwortete mir: Jch habe ſonſt immer, wie Sie wiſſen, geglaubt, daß das Chri- ſtenthum ohne alle Beweiſe ſey, und bloß auf die Auto- ritaͤt der Geiſtlichen angenommen werden muͤſſe. Nun ſehe ich ein, was fuͤr Gruͤnde es fuͤr ſich hat, glaube ſie auch hinlaͤnglich zu kennen, und ihre Kraft genug zu empfinden, als daß ich befuͤrchten ſollte, auch in dem Falle, wenn ich noch lange Zeit zu leben haͤtte, mich jemals wieder durch die Luſt zur Suͤnde oder durch ſolche
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Jch hatte dem Grafen Gellerts und Cramers
geiſtliche Lieder mitgebracht, und bat ihn zuweilen eins
davon zu leſen. Vielleicht wuͤrde er dadurch Anlaß zur
andaͤchtigen Richtung des Herzens auf Gott finden. Er
antwortete mir: er ſey nie ein Liebhaber der Poeſie gewe-
ſen, er habe immer den ſimplen ungeſchmuͤckten Vortrag
vorgezogen. Doch wolle er die Buͤcher bey ſich behalten,
und einen Verſuch machen, ob er ſich dadurch erbauen
koͤnnte. Jch erinnerte ihn, daß ſich geiſtliche Lieder
vornemlich durch ihre Simplicitaͤt von andern Poeſien
unterſchieden. u. ſ. w.
Ein und zwanzigſte Unterredung, den
4ten April.
Der Graf Struenſee war von der Wahrheit des Chri-
ſtenthums voͤllig uͤberzeugt. Jch mußte alſo nun
meine Bemuͤhungen bey ihm darauf richten, zu unter-
ſuchen, wie weit ſeine Geſinnungen bisher durch die
Kraft der Wahrheit gebeſſert waͤren, und dann mußte
ich mich bemuͤhen die Maͤngel, die ich finden wuͤrde,
durch Anwendung der Mittel, die das Evangelium dar-
beut, zu heben.
Jch bat ihn alſo, er moͤchte mir, als in der Ge-
genwart Gottes, ſagen, ob er nun die Lehre Jeſu mit
Ueberzeugung glaube. Er antwortete mir: Jch habe
ſonſt immer, wie Sie wiſſen, geglaubt, daß das Chri-
ſtenthum ohne alle Beweiſe ſey, und bloß auf die Auto-
ritaͤt der Geiſtlichen angenommen werden muͤſſe. Nun
ſehe ich ein, was fuͤr Gruͤnde es fuͤr ſich hat, glaube ſie
auch hinlaͤnglich zu kennen, und ihre Kraft genug zu
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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