Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.ähnliche Fragen nach sich ziehen, und unsre Vernunft ist nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir sehen wenigstens, setzte ich hinzu, die Geheimnisse der Religion sind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit. Weisheit aber, zumahl so wohltätige, so beruhigende, muß die Vernunft demüthig verehren. -- Der Graf hatte in diesen Tagen die Leidensge- Jesu
aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit. Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende, muß die Vernunft demuͤthig verehren. — Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge- Jeſu
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0178" n="166"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt<lb/> nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir<lb/> ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der<lb/> Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit.<lb/> Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende,<lb/> muß die Vernunft demuͤthig verehren. —</p><lb/> <p>Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge-<lb/> ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche-<lb/> henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte<lb/> mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den<lb/> Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian,<lb/> antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus<lb/> dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren<lb/> Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und<lb/> bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade<lb/> ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian,<lb/> beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener<lb/> in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer<lb/> Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des<lb/> Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent-<lb/> liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß<lb/> des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher<lb/> gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey-<lb/> den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die<lb/> Jahrbuͤcher,nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen,<lb/> daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon<lb/> die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach<lb/> geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe<lb/> Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre<lb/> Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß<lb/> Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn-<lb/> nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn<lb/> ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge-<lb/> gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am Todestage<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jeſu</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0178]
aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt
nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir
ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der
Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit.
Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende,
muß die Vernunft demuͤthig verehren. —
Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge-
ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche-
henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte
mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den
Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian,
antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus
dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren
Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und
bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade
ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian,
beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener
in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer
Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des
Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent-
liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß
des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher
gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey-
den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die
Jahrbuͤcher,nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen,
daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon
die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach
geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe
Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre
Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß
Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn-
nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn
ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge-
gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am Todestage
Jeſu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |