ähnliche Fragen nach sich ziehen, und unsre Vernunft ist nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir sehen wenigstens, setzte ich hinzu, die Geheimnisse der Religion sind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit. Weisheit aber, zumahl so wohltätige, so beruhigende, muß die Vernunft demüthig verehren. --
Der Graf hatte in diesen Tagen die Leidensge- schichte Jesu gelesen, und die bey dem Tode Jesu gesche- henen Wunder sehr merkwürdig gefunden. Er fragte mich, ob nicht auch andere Geschichtschreiber außer den Evangelisten derselben gedächten. Phlegon Trallian, antwortete ich ihm, ein griechischer Geschichtschreiber aus dem ersten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren Sonnenfinsterniß und zugleich von einem Erdbeben, und bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade so als Matthäus. Tertullian und ein gewisser Lucian, beydes alte christliche Schriftsteller, berufen sich, jener in einer Apologie des Christenthums, und dieser in einer Geschichte der Wärtyrer, auf die in dem Archive des Reichs aufbehaltenen Jahrbücher, die diese außerordent- liche Verfinsterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher gehörig angesehen: aber die Zuversicht, mit der die bey- den zuletzt erwähnten Verfasser verlangen, daß man die Jahrbücher,nachschlagen solle, scheint gewiß zu beweisen, daß sie überzeugt gewesen sind, die Begebenheit, wovon die Rede ist, sey in denselben angemerkt. Jch sprach gestern mit jemand, setzte der Graf hinzu, über diese Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß sie wahre Wunder gewesen wären, indem diese Finsterniß und dieß Erdbeben gar wohl natürliche Ursachen hätte haben kön- nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch seyn sollte, man immer noch fragen könnte, wie es denn zuge- gangen sey, daß diese Erscheinungen gerade am Todestage
Jesu
aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit. Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende, muß die Vernunft demuͤthig verehren. —
Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge- ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche- henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian, antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian, beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent- liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey- den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die Jahrbuͤcher,nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen, daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn- nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge- gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am Todestage
Jeſu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="166"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt<lb/>
nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir<lb/>ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der<lb/>
Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit.<lb/>
Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende,<lb/>
muß die Vernunft demuͤthig verehren. —</p><lb/><p>Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge-<lb/>ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche-<lb/>
henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte<lb/>
mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den<lb/>
Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian,<lb/>
antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus<lb/>
dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren<lb/>
Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und<lb/>
bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade<lb/>ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian,<lb/>
beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener<lb/>
in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer<lb/>
Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des<lb/>
Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent-<lb/>
liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß<lb/>
des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher<lb/>
gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey-<lb/>
den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die<lb/>
Jahrbuͤcher,nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen,<lb/>
daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon<lb/>
die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach<lb/>
geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe<lb/>
Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre<lb/>
Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß<lb/>
Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn-<lb/>
nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn<lb/>ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge-<lb/>
gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am Todestage<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jeſu</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[166/0178]
aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt
nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir
ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der
Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit.
Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende,
muß die Vernunft demuͤthig verehren. —
Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge-
ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche-
henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte
mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den
Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian,
antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus
dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren
Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und
bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade
ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian,
beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener
in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer
Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des
Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent-
liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß
des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher
gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey-
den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die
Jahrbuͤcher,nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen,
daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon
die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach
geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe
Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre
Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß
Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn-
nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn
ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge-
gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am Todestage
Jeſu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/178>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.