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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Ferner kann es die Vernunft nicht begreifen, wie
die Gottheit und Menschheit in Christo vereinigt seyn kön-
nen. Aber sie findet nichts widersprechendes darin, wenn
sie sich nur vor falschen Vorstellungen von dieser Verei-
nigung hütet. Die Offenbahrung sagt nicht: die Gott-
heit Christi ist seine Menschheit, oder umgekehrt, oder
eins ist in das andere verwandelt worden. Das wäre
ein Widerspruch, denn das Endliche kann nicht unend-
lich, und das Unendliche nicht endlich werden. Sie
lehret nur dieses: Beyde, die Gottheit und Menschheit,
sind in Christo, sie sind in ihm aufs innigste verbunden.
Die Art dieser Verbindung ist das unbegreifliche. Des-
wegen redet die Schrift davon durch Bilder. z. Ex.
Coloss. 1, 19. Col. 2, 9. Daß das unmöglich sey, kann
niemand beweisen. Wir finden so gar entfernte Aehn-
lichkeiten davon in der Natur. So ist die Seele, ein
geistliches Wesen, mit dem Leibe, einer groben Materie,
verbunden. So sagen wir auch: die Seele wohnt in
dem Leibe. -- Jch gestehe es Jhnen offenherzig, sagte
der Graf, daß ich, auch wenn ich gerne wollte, nichts
dagegen würde erinnern können. Jch kanns mir nicht
erklären, aber ich sehe keinen Widerspruch, und die
Sache hat zu große Autorität, als daß ich sie wegen ihrer
Unbegreiflichkeit läugnen dürfte.

Nun wollte ich ihm noch zeigen, daß die Lehre,
Christus ist zugleich Gott und Mensch, eine sehr wohl-
thätige Lehre sey. Laßt uns annehmen, sagte ich, er
sey allein Gott. So konnte er nicht leiden und sterben,
und folglich, da dieß nach der Weisheit Gottes, die
wir nicht fragen dürfen, warum? das einzige Mittel
unsrer Erlösung war, uns nicht erlösen. Alles, was
er als bloßer Gott hätte thun können, das konnten wir
nicht berechtigt seyn, als für uns gethan anzusehen.
Nun aber, da er zugleich wahrer Mensch ist, nun war

Leiden


Ferner kann es die Vernunft nicht begreifen, wie
die Gottheit und Menſchheit in Chriſto vereinigt ſeyn koͤn-
nen. Aber ſie findet nichts widerſprechendes darin, wenn
ſie ſich nur vor falſchen Vorſtellungen von dieſer Verei-
nigung huͤtet. Die Offenbahrung ſagt nicht: die Gott-
heit Chriſti iſt ſeine Menſchheit, oder umgekehrt, oder
eins iſt in das andere verwandelt worden. Das waͤre
ein Widerſpruch, denn das Endliche kann nicht unend-
lich, und das Unendliche nicht endlich werden. Sie
lehret nur dieſes: Beyde, die Gottheit und Menſchheit,
ſind in Chriſto, ſie ſind in ihm aufs innigſte verbunden.
Die Art dieſer Verbindung iſt das unbegreifliche. Des-
wegen redet die Schrift davon durch Bilder. z. Ex.
Coloſſ. 1, 19. Col. 2, 9. Daß das unmoͤglich ſey, kann
niemand beweiſen. Wir finden ſo gar entfernte Aehn-
lichkeiten davon in der Natur. So iſt die Seele, ein
geiſtliches Weſen, mit dem Leibe, einer groben Materie,
verbunden. So ſagen wir auch: die Seele wohnt in
dem Leibe. — Jch geſtehe es Jhnen offenherzig, ſagte
der Graf, daß ich, auch wenn ich gerne wollte, nichts
dagegen wuͤrde erinnern koͤnnen. Jch kanns mir nicht
erklaͤren, aber ich ſehe keinen Widerſpruch, und die
Sache hat zu große Autoritaͤt, als daß ich ſie wegen ihrer
Unbegreiflichkeit laͤugnen duͤrfte.

Nun wollte ich ihm noch zeigen, daß die Lehre,
Chriſtus iſt zugleich Gott und Menſch, eine ſehr wohl-
thaͤtige Lehre ſey. Laßt uns annehmen, ſagte ich, er
ſey allein Gott. So konnte er nicht leiden und ſterben,
und folglich, da dieß nach der Weisheit Gottes, die
wir nicht fragen duͤrfen, warum? das einzige Mittel
unſrer Erloͤſung war, uns nicht erloͤſen. Alles, was
er als bloßer Gott haͤtte thun koͤnnen, das konnten wir
nicht berechtigt ſeyn, als fuͤr uns gethan anzuſehen.
Nun aber, da er zugleich wahrer Menſch iſt, nun war

Leiden
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[164/0176] Ferner kann es die Vernunft nicht begreifen, wie die Gottheit und Menſchheit in Chriſto vereinigt ſeyn koͤn- nen. Aber ſie findet nichts widerſprechendes darin, wenn ſie ſich nur vor falſchen Vorſtellungen von dieſer Verei- nigung huͤtet. Die Offenbahrung ſagt nicht: die Gott- heit Chriſti iſt ſeine Menſchheit, oder umgekehrt, oder eins iſt in das andere verwandelt worden. Das waͤre ein Widerſpruch, denn das Endliche kann nicht unend- lich, und das Unendliche nicht endlich werden. Sie lehret nur dieſes: Beyde, die Gottheit und Menſchheit, ſind in Chriſto, ſie ſind in ihm aufs innigſte verbunden. Die Art dieſer Verbindung iſt das unbegreifliche. Des- wegen redet die Schrift davon durch Bilder. z. Ex. Coloſſ. 1, 19. Col. 2, 9. Daß das unmoͤglich ſey, kann niemand beweiſen. Wir finden ſo gar entfernte Aehn- lichkeiten davon in der Natur. So iſt die Seele, ein geiſtliches Weſen, mit dem Leibe, einer groben Materie, verbunden. So ſagen wir auch: die Seele wohnt in dem Leibe. — Jch geſtehe es Jhnen offenherzig, ſagte der Graf, daß ich, auch wenn ich gerne wollte, nichts dagegen wuͤrde erinnern koͤnnen. Jch kanns mir nicht erklaͤren, aber ich ſehe keinen Widerſpruch, und die Sache hat zu große Autoritaͤt, als daß ich ſie wegen ihrer Unbegreiflichkeit laͤugnen duͤrfte. Nun wollte ich ihm noch zeigen, daß die Lehre, Chriſtus iſt zugleich Gott und Menſch, eine ſehr wohl- thaͤtige Lehre ſey. Laßt uns annehmen, ſagte ich, er ſey allein Gott. So konnte er nicht leiden und ſterben, und folglich, da dieß nach der Weisheit Gottes, die wir nicht fragen duͤrfen, warum? das einzige Mittel unſrer Erloͤſung war, uns nicht erloͤſen. Alles, was er als bloßer Gott haͤtte thun koͤnnen, das konnten wir nicht berechtigt ſeyn, als fuͤr uns gethan anzuſehen. Nun aber, da er zugleich wahrer Menſch iſt, nun war Leiden

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/176>, abgerufen am 24.11.2024.