Gott hat also neue und der Vernunft unbekannte Wahrheiten durch Jesum bekannt machen wollen, und ihm zugleich aufgetragen die natürliche Religion zu leh- ren. Beydes hat Jesus würklich gethan: also hat er es thun sollen. Nun war eine außerordentliche Beglaubi- gung seiner göttlichen Sendung, nun waren Wunder nöthig, um den Menschen zu zeigen, daß auch die neuen der Vernunft unbegreiflichen Lehren, die Jesus predigte, von Gott kämen. Sie sehen hieraus, eine Religion, deren Stifter Wunder thut, muß ihrer Absicht nach Geheimnisse enthalten.
Ueber dieß sind auch die unbegreiflichen Lehren der christlichen Religion lauter solche Sätze, die uns von der Natur Gottes und von seinem Willen unterrichten, wie der sündige Mensch selig werden soll, und die uns in beyder Absicht mehr sagen, als die Vernunft. So z. Ex. lehrt uns die Vernunft die Einigkeit Gottes. Die Offenbahrung setzt hinzu: in dem einigen göttlichen We- sen sind drey. Die Vernunft sucht vergeblich ein zuver- lässiges Mittel der Versöhnung mit Gott: die Offenbah- rung lehrt, worin dieß Mittel bestehe. Dürfen wir uns denn wohl darüber verwundern, daß diese, indem sie von dem unendlichen, unbegreiflichen Wesen und von seinem der Vernunft verborgenen Rahtschluß redet, uns neue Aussichten eröffnet, deren Ende wir nicht absehen können, oder, welches einerley ist, daß sie uns Geheim- nisse lehrt, und für sie unsern Glauben fordert? Wer sich also durch den Anblick der Geheimnisse von der Reli- gion abschrecken läßt, der beweist dadurch, daß er ihre Absicht und ihren Gegenstand nicht kennt. Er beträgt sich gegen die Religion ganz anders als gegen menschliche Wissenschaften. Denn obgleich diese weit mehr Geheim- nisse haben, als das Christenthum, so verwirft er sie deswegen doch nicht. Sie selbst, und dieß gestund der
Graf
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Gott hat alſo neue und der Vernunft unbekannte Wahrheiten durch Jeſum bekannt machen wollen, und ihm zugleich aufgetragen die natuͤrliche Religion zu leh- ren. Beydes hat Jeſus wuͤrklich gethan: alſo hat er es thun ſollen. Nun war eine außerordentliche Beglaubi- gung ſeiner goͤttlichen Sendung, nun waren Wunder noͤthig, um den Menſchen zu zeigen, daß auch die neuen der Vernunft unbegreiflichen Lehren, die Jeſus predigte, von Gott kaͤmen. Sie ſehen hieraus, eine Religion, deren Stifter Wunder thut, muß ihrer Abſicht nach Geheimniſſe enthalten.
Ueber dieß ſind auch die unbegreiflichen Lehren der chriſtlichen Religion lauter ſolche Saͤtze, die uns von der Natur Gottes und von ſeinem Willen unterrichten, wie der ſuͤndige Menſch ſelig werden ſoll, und die uns in beyder Abſicht mehr ſagen, als die Vernunft. So z. Ex. lehrt uns die Vernunft die Einigkeit Gottes. Die Offenbahrung ſetzt hinzu: in dem einigen goͤttlichen We- ſen ſind drey. Die Vernunft ſucht vergeblich ein zuver- laͤſſiges Mittel der Verſoͤhnung mit Gott: die Offenbah- rung lehrt, worin dieß Mittel beſtehe. Duͤrfen wir uns denn wohl daruͤber verwundern, daß dieſe, indem ſie von dem unendlichen, unbegreiflichen Weſen und von ſeinem der Vernunft verborgenen Rahtſchluß redet, uns neue Auſſichten eroͤffnet, deren Ende wir nicht abſehen koͤnnen, oder, welches einerley iſt, daß ſie uns Geheim- niſſe lehrt, und fuͤr ſie unſern Glauben fordert? Wer ſich alſo durch den Anblick der Geheimniſſe von der Reli- gion abſchrecken laͤßt, der beweiſt dadurch, daß er ihre Abſicht und ihren Gegenſtand nicht kennt. Er betraͤgt ſich gegen die Religion ganz anders als gegen menſchliche Wiſſenſchaften. Denn obgleich dieſe weit mehr Geheim- niſſe haben, als das Chriſtenthum, ſo verwirft er ſie deswegen doch nicht. Sie ſelbſt, und dieß geſtund der
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Gott hat alſo neue und der Vernunft unbekannte
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ihm zugleich aufgetragen die natuͤrliche Religion zu leh-
ren. Beydes hat Jeſus wuͤrklich gethan: alſo hat er es
thun ſollen. Nun war eine außerordentliche Beglaubi-
gung ſeiner goͤttlichen Sendung, nun waren Wunder
noͤthig, um den Menſchen zu zeigen, daß auch die neuen
der Vernunft unbegreiflichen Lehren, die Jeſus predigte,
von Gott kaͤmen. Sie ſehen hieraus, eine Religion,
deren Stifter Wunder thut, muß ihrer Abſicht nach
Geheimniſſe enthalten.
Ueber dieß ſind auch die unbegreiflichen Lehren
der chriſtlichen Religion lauter ſolche Saͤtze, die uns von
der Natur Gottes und von ſeinem Willen unterrichten,
wie der ſuͤndige Menſch ſelig werden ſoll, und die uns
in beyder Abſicht mehr ſagen, als die Vernunft. So
z. Ex. lehrt uns die Vernunft die Einigkeit Gottes. Die
Offenbahrung ſetzt hinzu: in dem einigen goͤttlichen We-
ſen ſind drey. Die Vernunft ſucht vergeblich ein zuver-
laͤſſiges Mittel der Verſoͤhnung mit Gott: die Offenbah-
rung lehrt, worin dieß Mittel beſtehe. Duͤrfen wir uns
denn wohl daruͤber verwundern, daß dieſe, indem ſie
von dem unendlichen, unbegreiflichen Weſen und von
ſeinem der Vernunft verborgenen Rahtſchluß redet, uns
neue Auſſichten eroͤffnet, deren Ende wir nicht abſehen
koͤnnen, oder, welches einerley iſt, daß ſie uns Geheim-
niſſe lehrt, und fuͤr ſie unſern Glauben fordert? Wer
ſich alſo durch den Anblick der Geheimniſſe von der Reli-
gion abſchrecken laͤßt, der beweiſt dadurch, daß er ihre
Abſicht und ihren Gegenſtand nicht kennt. Er betraͤgt
ſich gegen die Religion ganz anders als gegen menſchliche
Wiſſenſchaften. Denn obgleich dieſe weit mehr Geheim-
niſſe haben, als das Chriſtenthum, ſo verwirft er ſie
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/165>, abgerufen am 16.02.2025.
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