Jch habe an dem Grafen Struensee ein merk- würdiges Exempel gesehen, wie sehr schwer es ist, sich von falschen Meynungen loszumachen, die man aus Liebe zur Sünde angenommen und lange mit Wohlgefal- len ernährt hat. Er war nun nicht allein von der Falsch- heit seines ehemaligen Grundsatzes, daß auf dieses Leben kein anderes folge, völlig überzeugt; er hatte das Chri- stenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig- keit gegründet ist, nach sorgfältiger Prüfung seiner Be- weise feyerlich angenommen; er haßte seinen vorigen Gedanken, als die Quelle alles seines Unglücks, und hatte keinen Trost und keine Hoffnung als in der Erwar- tung einer bessern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die Jdee, es ist vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und verließ ihn erst ganz einige Tage vor seinem Tode. Jch wünschte, daß sein Beyspiel diejenigen warnen möchte, die so sehr geneigt sind, jede noch so ungereimte Mey- nung mit Freuden anzunehmen, wenn sie nur ihren Lü- sten schmeichelt. Es kömmt mir noch zuweilen in den Sinn, sagte er mit Unwillen und Bekümmerniß, wie, wenn deine alte Jdee von der gänzlichen Aufhören unsrer Existenz nach dem Tode doch noch wahr wäre? Mein Trost dabey ist, daß ich mit Schrecken daran denke, daß ich mir allemahl zugleich dieser Empfindung bewußt bin: es wäre doch ewig Schade, wenn alle meine Wün- sche und Hoffnungen vergeblich seyn sollten! Jch zittre, wenn mir der unseelige Gedanke einfällt, und bewaffne mich sogleich gegen ihn durch die Erinnerung an so viele überzeugende Gründe, die ich nun für das Christenthum und also auch für die Ewigkeit weiß. Jch bin fest ent- schlossen, die Regel, nach der ich mir sonst vorgenom- men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl sterben sollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu bestimmen und zu befolgen. Mein Vorsatz war nemlich dieser, bey der Annäherung des Todes so zu denken: Du hast ja
deine
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Jch habe an dem Grafen Struenſee ein merk- wuͤrdiges Exempel geſehen, wie ſehr ſchwer es iſt, ſich von falſchen Meynungen loszumachen, die man aus Liebe zur Suͤnde angenommen und lange mit Wohlgefal- len ernaͤhrt hat. Er war nun nicht allein von der Falſch- heit ſeines ehemaligen Grundſatzes, daß auf dieſes Leben kein anderes folge, voͤllig uͤberzeugt; er hatte das Chri- ſtenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig- keit gegruͤndet iſt, nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſeiner Be- weiſe feyerlich angenommen; er haßte ſeinen vorigen Gedanken, als die Quelle alles ſeines Ungluͤcks, und hatte keinen Troſt und keine Hoffnung als in der Erwar- tung einer beſſern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die Jdee, es iſt vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und verließ ihn erſt ganz einige Tage vor ſeinem Tode. Jch wuͤnſchte, daß ſein Beyſpiel diejenigen warnen moͤchte, die ſo ſehr geneigt ſind, jede noch ſo ungereimte Mey- nung mit Freuden anzunehmen, wenn ſie nur ihren Luͤ- ſten ſchmeichelt. Es koͤmmt mir noch zuweilen in den Sinn, ſagte er mit Unwillen und Bekuͤmmerniß, wie, wenn deine alte Jdee von der gaͤnzlichen Aufhoͤren unſrer Exiſtenz nach dem Tode doch noch wahr waͤre? Mein Troſt dabey iſt, daß ich mit Schrecken daran denke, daß ich mir allemahl zugleich dieſer Empfindung bewußt bin: es waͤre doch ewig Schade, wenn alle meine Wuͤn- ſche und Hoffnungen vergeblich ſeyn ſollten! Jch zittre, wenn mir der unſeelige Gedanke einfaͤllt, und bewaffne mich ſogleich gegen ihn durch die Erinnerung an ſo viele uͤberzeugende Gruͤnde, die ich nun fuͤr das Chriſtenthum und alſo auch fuͤr die Ewigkeit weiß. Jch bin feſt ent- ſchloſſen, die Regel, nach der ich mir ſonſt vorgenom- men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl ſterben ſollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu beſtimmen und zu befolgen. Mein Vorſatz war nemlich dieſer, bey der Annaͤherung des Todes ſo zu denken: Du haſt ja
deine
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Jch habe an dem Grafen Struenſee ein merk-
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Liebe zur Suͤnde angenommen und lange mit Wohlgefal-
len ernaͤhrt hat. Er war nun nicht allein von der Falſch-
heit ſeines ehemaligen Grundſatzes, daß auf dieſes Leben
kein anderes folge, voͤllig uͤberzeugt; er hatte das Chri-
ſtenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig-
keit gegruͤndet iſt, nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſeiner Be-
weiſe feyerlich angenommen; er haßte ſeinen vorigen
Gedanken, als die Quelle alles ſeines Ungluͤcks, und
hatte keinen Troſt und keine Hoffnung als in der Erwar-
tung einer beſſern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die
Jdee, es iſt vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und
verließ ihn erſt ganz einige Tage vor ſeinem Tode. Jch
wuͤnſchte, daß ſein Beyſpiel diejenigen warnen moͤchte,
die ſo ſehr geneigt ſind, jede noch ſo ungereimte Mey-
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ſten ſchmeichelt. Es koͤmmt mir noch zuweilen in den
Sinn, ſagte er mit Unwillen und Bekuͤmmerniß, wie,
wenn deine alte Jdee von der gaͤnzlichen Aufhoͤren unſrer
Exiſtenz nach dem Tode doch noch wahr waͤre? Mein
Troſt dabey iſt, daß ich mit Schrecken daran denke,
daß ich mir allemahl zugleich dieſer Empfindung bewußt
bin: es waͤre doch ewig Schade, wenn alle meine Wuͤn-
ſche und Hoffnungen vergeblich ſeyn ſollten! Jch zittre,
wenn mir der unſeelige Gedanke einfaͤllt, und bewaffne
mich ſogleich gegen ihn durch die Erinnerung an ſo viele
uͤberzeugende Gruͤnde, die ich nun fuͤr das Chriſtenthum
und alſo auch fuͤr die Ewigkeit weiß. Jch bin feſt ent-
ſchloſſen, die Regel, nach der ich mir ſonſt vorgenom-
men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl ſterben
ſollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu beſtimmen
und zu befolgen. Mein Vorſatz war nemlich dieſer, bey
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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