Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.sehr auf mein Herz. Wenn ich die Geschichte Jesu lese, so weine ich oft vor Empfindung. Jch gedenke auch schon mit Hoffnung an meinen Tod. Jch habe mich mit den fürchterlichen Umständen desselben bekannt gemacht. Jch weiß nicht, wie mir zu Muthe seyn wird, wenn die Stunde kommt. Jtzt bin ich nicht unruhig darüber, und finde nichts mehr, das mich an das Leben binde. Jch will die Hoffnung der Vergebung meiner Verge- hungen getrost auf Christum gründen. Und Jhnen, wehrtester Freund, danke ich von Herzen, daß Sie mich so weit gebracht haben. Jch umarmte ihn, ver- mahnte ihn Gott dafür zu danken, und wir beteten mit einander. -- Jch wollte ihn nun verlassen, aber er wünschte, Wir waren einig darin, daß die bloße Vernunft Jch
ſehr auf mein Herz. Wenn ich die Geſchichte Jeſu leſe, ſo weine ich oft vor Empfindung. Jch gedenke auch ſchon mit Hoffnung an meinen Tod. Jch habe mich mit den fuͤrchterlichen Umſtaͤnden deſſelben bekannt gemacht. Jch weiß nicht, wie mir zu Muthe ſeyn wird, wenn die Stunde kommt. Jtzt bin ich nicht unruhig daruͤber, und finde nichts mehr, das mich an das Leben binde. Jch will die Hoffnung der Vergebung meiner Verge- hungen getroſt auf Chriſtum gruͤnden. Und Jhnen, wehrteſter Freund, danke ich von Herzen, daß Sie mich ſo weit gebracht haben. Jch umarmte ihn, ver- mahnte ihn Gott dafuͤr zu danken, und wir beteten mit einander. — Jch wollte ihn nun verlaſſen, aber er wuͤnſchte, Wir waren einig darin, daß die bloße Vernunft Jch
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ſehr auf mein Herz. Wenn ich die Geſchichte Jeſu leſe,
ſo weine ich oft vor Empfindung. Jch gedenke auch
ſchon mit Hoffnung an meinen Tod. Jch habe mich mit
den fuͤrchterlichen Umſtaͤnden deſſelben bekannt gemacht.
Jch weiß nicht, wie mir zu Muthe ſeyn wird, wenn die
Stunde kommt. Jtzt bin ich nicht unruhig daruͤber,
und finde nichts mehr, das mich an das Leben binde.
Jch will die Hoffnung der Vergebung meiner Verge-
hungen getroſt auf Chriſtum gruͤnden. Und Jhnen,
wehrteſter Freund, danke ich von Herzen, daß Sie
mich ſo weit gebracht haben. Jch umarmte ihn, ver-
mahnte ihn Gott dafuͤr zu danken, und wir beteten mit
einander. —
Jch wollte ihn nun verlaſſen, aber er wuͤnſchte,
daß ich noch eine halbe Stunde bey ihm bleiben moͤchte.
Folgendes iſt das merkwuͤrdigſte von dem, was wir noch
mit einander redeten.
Wir waren einig darin, daß die bloße Vernunft
die Lehre von der Verſoͤhnung nicht haͤtte erfinden koͤnnen.
Auch die feurigſte Einbildungskraft, ſetzte ich hinzu,
wuͤrde es nicht haben wagen koͤnnen, ſich vorzuſtellen,
Gott habe ſeinen Sohn fuͤr die Suͤnder dahingegeben.
Schon dieß macht es vermuthlich, daß dieſe Lehre einen
hoͤhern Urſprung hat. Und geſetzt, ein Menſch haͤtte
ſich das einfallen laſſen, und nun ſeinen Gedanken an-
dern mitgetheilt, was meynen Sie, wuͤrde er den Bey-
fall und Glauben gefunden haben, den die Apoſtel doch
wuͤrklich fanden? Nein, antwortete er, man wuͤrde
dieſen Gedanken fuͤr den ausſchweifendeſten gehalten
haben, den jemals ein Menſch gehabt haͤtte, er wuͤrde
mit ſeinem Erfinder wieder verlohren gegangen und
vergeſſen worden ſeyn.
Jch
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