Reue und Opfer nur als Ursache und Würkung, oder als Empfindung und Ausdruck oder Erklärung derselben unterschieden. Es kommt also nun darauf an, ob die von der Vernunft vorgeschlagenen Mittel zu ihrer Absicht hinreichend sind, und ob sie in unsrer Gewalt stehen.
Die Reue, fuhr ich fort, ist die Bekümmerniß, die ich über meine Sünden empfinde. Sie sey so auf- richtig und so lebhaft, als es möglich ist, darf ich denn wohl hoffen, daß sie die Strafen, die ich verdient habe, von mir abwenden werde? Wenn ein weltlicher Richter, Herr Graf, es sich zur Regel machte, jedem Verbrecher, der eine ernstliche Reue bezeugte, die verdiente Strafe zu schenken, was würden Sie von ihm halten? "Jch würde denken, er sey ein guter Mann, aber schwach, nicht weise noch gerecht, und nicht geschickt Richter zu seyn." Dürfen wir denn wohl glauben, daß Gott so urtheilen werde? Und hätte er seine guten Ursachen in eizelnen Fällen auf die bloße Reue des Sünders Begna- digung folgen zu lassen, so könnte doch niemand gewiß seyn, daß sein Fall einer von diesen einzelnen seyn werde. -- Auch lehrt uns die Erfahrung, daß Gott in dieser Welt, wenn er die Sünder durch natürliche Folgen ihrer Vergehungen straft, nach der Regel handelt: Die Reue des Sünders soll ihn nicht von der Strafe befreyen. Wer sich durch seine Vergehungen Krankheit, Armuth, Schande, zugezogen hat, der wird durch seine Reue nicht wieder gesund, begütert oder geehrt. Jst es denn wohl wahrscheinlich oder gar erweislich, daß Gott in der künf- tigen Welt nach einer entgegengesetzten Regel urtheilen werde? -- Endlich bessert auch die bloße Reue über be- gangne Sünden nichts. Alles bleibt, wie es war. Der Schade, den die Sünde verursacht hat, bleibt in der Welt, und wird durch die Reue nicht weggenommen. Gott müßte mit Schwachheit gütig seyn, er müßte auf-
hören
Reue und Opfer nur als Urſache und Wuͤrkung, oder als Empfindung und Ausdruck oder Erklaͤrung derſelben unterſchieden. Es kommt alſo nun darauf an, ob die von der Vernunft vorgeſchlagenen Mittel zu ihrer Abſicht hinreichend ſind, und ob ſie in unſrer Gewalt ſtehen.
Die Reue, fuhr ich fort, iſt die Bekuͤmmerniß, die ich uͤber meine Suͤnden empfinde. Sie ſey ſo auf- richtig und ſo lebhaft, als es moͤglich iſt, darf ich denn wohl hoffen, daß ſie die Strafen, die ich verdient habe, von mir abwenden werde? Wenn ein weltlicher Richter, Herr Graf, es ſich zur Regel machte, jedem Verbrecher, der eine ernſtliche Reue bezeugte, die verdiente Strafe zu ſchenken, was wuͤrden Sie von ihm halten? “Jch wuͤrde denken, er ſey ein guter Mann, aber ſchwach, nicht weiſe noch gerecht, und nicht geſchickt Richter zu ſeyn.„ Duͤrfen wir denn wohl glauben, daß Gott ſo urtheilen werde? Und haͤtte er ſeine guten Urſachen in eizelnen Faͤllen auf die bloße Reue des Suͤnders Begna- digung folgen zu laſſen, ſo koͤnnte doch niemand gewiß ſeyn, daß ſein Fall einer von dieſen einzelnen ſeyn werde. — Auch lehrt uns die Erfahrung, daß Gott in dieſer Welt, wenn er die Suͤnder durch natuͤrliche Folgen ihrer Vergehungen ſtraft, nach der Regel handelt: Die Reue des Suͤnders ſoll ihn nicht von der Strafe befreyen. Wer ſich durch ſeine Vergehungen Krankheit, Armuth, Schande, zugezogen hat, der wird durch ſeine Reue nicht wieder geſund, beguͤtert oder geehrt. Jſt es denn wohl wahrſcheinlich oder gar erweislich, daß Gott in der kuͤnf- tigen Welt nach einer entgegengeſetzten Regel urtheilen werde? — Endlich beſſert auch die bloße Reue uͤber be- gangne Suͤnden nichts. Alles bleibt, wie es war. Der Schade, den die Suͤnde verurſacht hat, bleibt in der Welt, und wird durch die Reue nicht weggenommen. Gott muͤßte mit Schwachheit guͤtig ſeyn, er muͤßte auf-
hoͤren
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Reue und Opfer nur als Urſache und Wuͤrkung, oder
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unterſchieden. Es kommt alſo nun darauf an, ob die
von der Vernunft vorgeſchlagenen Mittel zu ihrer Abſicht
hinreichend ſind, und ob ſie in unſrer Gewalt ſtehen.
Die Reue, fuhr ich fort, iſt die Bekuͤmmerniß,
die ich uͤber meine Suͤnden empfinde. Sie ſey ſo auf-
richtig und ſo lebhaft, als es moͤglich iſt, darf ich denn
wohl hoffen, daß ſie die Strafen, die ich verdient habe,
von mir abwenden werde? Wenn ein weltlicher Richter,
Herr Graf, es ſich zur Regel machte, jedem Verbrecher,
der eine ernſtliche Reue bezeugte, die verdiente Strafe
zu ſchenken, was wuͤrden Sie von ihm halten? “Jch
wuͤrde denken, er ſey ein guter Mann, aber ſchwach,
nicht weiſe noch gerecht, und nicht geſchickt Richter zu
ſeyn.„ Duͤrfen wir denn wohl glauben, daß Gott ſo
urtheilen werde? Und haͤtte er ſeine guten Urſachen in
eizelnen Faͤllen auf die bloße Reue des Suͤnders Begna-
digung folgen zu laſſen, ſo koͤnnte doch niemand gewiß
ſeyn, daß ſein Fall einer von dieſen einzelnen ſeyn werde.
— Auch lehrt uns die Erfahrung, daß Gott in dieſer
Welt, wenn er die Suͤnder durch natuͤrliche Folgen ihrer
Vergehungen ſtraft, nach der Regel handelt: Die Reue
des Suͤnders ſoll ihn nicht von der Strafe befreyen.
Wer ſich durch ſeine Vergehungen Krankheit, Armuth,
Schande, zugezogen hat, der wird durch ſeine Reue nicht
wieder geſund, beguͤtert oder geehrt. Jſt es denn wohl
wahrſcheinlich oder gar erweislich, daß Gott in der kuͤnf-
tigen Welt nach einer entgegengeſetzten Regel urtheilen
werde? — Endlich beſſert auch die bloße Reue uͤber be-
gangne Suͤnden nichts. Alles bleibt, wie es war. Der
Schade, den die Suͤnde verurſacht hat, bleibt in der
Welt, und wird durch die Reue nicht weggenommen.
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/103>, abgerufen am 06.07.2024.
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