Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Rechte behaupten; aber der Wahn der Vollstän-
digkeit, der unbedingten Rechtlichkeit, dem sich
der rechnende Verstand so leicht hingiebt, soll
zerstreuet werden. Das Studium ganz entge-
gengesetzter, vorzüglich der mehr geistigen persön-
lichen Gesetze, und dann der wahren Theorie des
lebendigen, die ganze Welt, den ganzen Men-
schen, und besonders sein leicht verführerisches
Herz umfassenden Rechtes -- soll wieder auf-
leben, und die kalte Einseitigkeit des Römischen
Rechtes, die sich mit keinem andern politischen
Zustande der Dinge, als einer eisernen Welt-
herrschaft, vertragen kann, soll mit gründlichem
Abscheu erkannt werden. --

Die Klugheit der Römischen Rechtslehrer,
des Papinian, des Ulpian, des Paulus, und
den unendlichen Fleiß und den kolossalen Verstand
in den meisten Edicten und Gesetzen der Römi-
schen Kaiser, in ihrer Art und an ihrem Orte zu
bewundern, bin ich sehr bereit; -- aber daß nur
Institutionen, Pandekten, Codex und Novellen
nicht für mehr gelten sollen, als für den Aus-
druck einer weltumfassenden Polizei! -- Sobald
die Römische Freiheit, d. h. sobald die begleitende
Idee verschwindet, entweicht der eigentliche Cha-
rakter des Rechtes, nehmlich das Leben. Mit
Rücksicht auf den wahren Staat hat nun die

Rechte behaupten; aber der Wahn der Vollſtaͤn-
digkeit, der unbedingten Rechtlichkeit, dem ſich
der rechnende Verſtand ſo leicht hingiebt, ſoll
zerſtreuet werden. Das Studium ganz entge-
gengeſetzter, vorzuͤglich der mehr geiſtigen perſoͤn-
lichen Geſetze, und dann der wahren Theorie des
lebendigen, die ganze Welt, den ganzen Men-
ſchen, und beſonders ſein leicht verfuͤhreriſches
Herz umfaſſenden Rechtes — ſoll wieder auf-
leben, und die kalte Einſeitigkeit des Roͤmiſchen
Rechtes, die ſich mit keinem andern politiſchen
Zuſtande der Dinge, als einer eiſernen Welt-
herrſchaft, vertragen kann, ſoll mit gruͤndlichem
Abſcheu erkannt werden. —

Die Klugheit der Roͤmiſchen Rechtslehrer,
des Papinian, des Ulpian, des Paulus, und
den unendlichen Fleiß und den koloſſalen Verſtand
in den meiſten Edicten und Geſetzen der Roͤmi-
ſchen Kaiſer, in ihrer Art und an ihrem Orte zu
bewundern, bin ich ſehr bereit; — aber daß nur
Inſtitutionen, Pandekten, Codex und Novellen
nicht fuͤr mehr gelten ſollen, als fuͤr den Aus-
druck einer weltumfaſſenden Polizei! — Sobald
die Roͤmiſche Freiheit, d. h. ſobald die begleitende
Idee verſchwindet, entweicht der eigentliche Cha-
rakter des Rechtes, nehmlich das Leben. Mit
Ruͤckſicht auf den wahren Staat hat nun die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0075" n="67"/>
Rechte behaupten; aber der Wahn der Voll&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digkeit, der unbedingten Rechtlichkeit, dem &#x017F;ich<lb/>
der rechnende Ver&#x017F;tand &#x017F;o leicht hingiebt, &#x017F;oll<lb/>
zer&#x017F;treuet werden. Das Studium ganz entge-<lb/>
genge&#x017F;etzter, vorzu&#x0364;glich der mehr gei&#x017F;tigen per&#x017F;o&#x0364;n-<lb/>
lichen Ge&#x017F;etze, und dann der wahren Theorie des<lb/>
lebendigen, die ganze Welt, den ganzen Men-<lb/>
&#x017F;chen, und be&#x017F;onders &#x017F;ein leicht verfu&#x0364;hreri&#x017F;ches<lb/>
Herz umfa&#x017F;&#x017F;enden Rechtes &#x2014; &#x017F;oll wieder auf-<lb/>
leben, und die kalte Ein&#x017F;eitigkeit des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Rechtes, die &#x017F;ich mit keinem andern politi&#x017F;chen<lb/>
Zu&#x017F;tande der Dinge, als einer ei&#x017F;ernen Welt-<lb/>
herr&#x017F;chaft, vertragen kann, &#x017F;oll mit gru&#x0364;ndlichem<lb/>
Ab&#x017F;cheu erkannt werden. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Die Klugheit der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtslehrer,<lb/>
des Papinian, des Ulpian, des Paulus, und<lb/>
den unendlichen Fleiß und den kolo&#x017F;&#x017F;alen Ver&#x017F;tand<lb/>
in den mei&#x017F;ten Edicten und Ge&#x017F;etzen der Ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Kai&#x017F;er, in ihrer Art und an ihrem Orte zu<lb/>
bewundern, bin ich &#x017F;ehr bereit; &#x2014; aber daß nur<lb/>
In&#x017F;titutionen, Pandekten, Codex und Novellen<lb/>
nicht fu&#x0364;r mehr gelten &#x017F;ollen, als fu&#x0364;r den Aus-<lb/>
druck einer weltumfa&#x017F;&#x017F;enden Polizei! &#x2014; Sobald<lb/>
die Ro&#x0364;mi&#x017F;che Freiheit, d. h. &#x017F;obald die begleitende<lb/>
Idee ver&#x017F;chwindet, entweicht der eigentliche Cha-<lb/>
rakter des Rechtes, nehmlich das Leben. Mit<lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf den wahren Staat hat nun die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] Rechte behaupten; aber der Wahn der Vollſtaͤn- digkeit, der unbedingten Rechtlichkeit, dem ſich der rechnende Verſtand ſo leicht hingiebt, ſoll zerſtreuet werden. Das Studium ganz entge- gengeſetzter, vorzuͤglich der mehr geiſtigen perſoͤn- lichen Geſetze, und dann der wahren Theorie des lebendigen, die ganze Welt, den ganzen Men- ſchen, und beſonders ſein leicht verfuͤhreriſches Herz umfaſſenden Rechtes — ſoll wieder auf- leben, und die kalte Einſeitigkeit des Roͤmiſchen Rechtes, die ſich mit keinem andern politiſchen Zuſtande der Dinge, als einer eiſernen Welt- herrſchaft, vertragen kann, ſoll mit gruͤndlichem Abſcheu erkannt werden. — Die Klugheit der Roͤmiſchen Rechtslehrer, des Papinian, des Ulpian, des Paulus, und den unendlichen Fleiß und den koloſſalen Verſtand in den meiſten Edicten und Geſetzen der Roͤmi- ſchen Kaiſer, in ihrer Art und an ihrem Orte zu bewundern, bin ich ſehr bereit; — aber daß nur Inſtitutionen, Pandekten, Codex und Novellen nicht fuͤr mehr gelten ſollen, als fuͤr den Aus- druck einer weltumfaſſenden Polizei! — Sobald die Roͤmiſche Freiheit, d. h. ſobald die begleitende Idee verſchwindet, entweicht der eigentliche Cha- rakter des Rechtes, nehmlich das Leben. Mit Ruͤckſicht auf den wahren Staat hat nun die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/75
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/75>, abgerufen am 27.11.2024.