für meine Pflicht gehalten, die ernsthafte Sache aus dem Standpunkte dieser Nation zu betrach- ten. Vieles, was uns in unserm Elende am meisten mangelt, können wir bei ihnen lernen: das Geheimniß der politischen Dauer, und den unerschütterlichen Glauben. --
Aber was hat den Israeliten gefehlt, welche politischen Mängel haben ihre irdische Zerstreu- ung veranlaßt, wenn die geistige Vereinigung auch noch fortdauert? -- Ihnen hat gefehlt, was die Griechen hatten, so wie diese den Vor- zug entbehrten, der den Juden zu Theil gewor- den war. Den Griechen fehlte eine einzige suve- räne Idee, die, wie ich nun hinlänglich gezeigt habe, nur religiöser Natur seyn kann; daher fehlte ihnen die Gewähr politischer Festigkeit: den Israeliten fehlte jenes Reich der Ideen, jene Verklärung des Lebens, jene Tausendfältigkeit der sinnlichen Formen, welche die göttliche Idee zu durchdringen nicht verschmähet; daher fehlte es ihnen an der politischen Beweglichkeit. Das Eine Element des politischen Lebens, die monarchische Idee, war den Juden zu Theil geworden; das andre eben so wesentliche, die republikanischen Ideen, den Griechen: darum ergänzen sie einander. Aus diesem innerlichen Grunde, den nur der Unverstand mystisch finden
fuͤr meine Pflicht gehalten, die ernſthafte Sache aus dem Standpunkte dieſer Nation zu betrach- ten. Vieles, was uns in unſerm Elende am meiſten mangelt, koͤnnen wir bei ihnen lernen: das Geheimniß der politiſchen Dauer, und den unerſchuͤtterlichen Glauben. —
Aber was hat den Iſraeliten gefehlt, welche politiſchen Maͤngel haben ihre irdiſche Zerſtreu- ung veranlaßt, wenn die geiſtige Vereinigung auch noch fortdauert? — Ihnen hat gefehlt, was die Griechen hatten, ſo wie dieſe den Vor- zug entbehrten, der den Juden zu Theil gewor- den war. Den Griechen fehlte eine einzige ſuve- raͤne Idee, die, wie ich nun hinlaͤnglich gezeigt habe, nur religioͤſer Natur ſeyn kann; daher fehlte ihnen die Gewaͤhr politiſcher Feſtigkeit: den Iſraeliten fehlte jenes Reich der Ideen, jene Verklaͤrung des Lebens, jene Tauſendfaͤltigkeit der ſinnlichen Formen, welche die goͤttliche Idee zu durchdringen nicht verſchmaͤhet; daher fehlte es ihnen an der politiſchen Beweglichkeit. Das Eine Element des politiſchen Lebens, die monarchiſche Idee, war den Juden zu Theil geworden; das andre eben ſo weſentliche, die republikaniſchen Ideen, den Griechen: darum ergaͤnzen ſie einander. Aus dieſem innerlichen Grunde, den nur der Unverſtand myſtiſch finden
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fuͤr meine Pflicht gehalten, die ernſthafte Sache
aus dem Standpunkte dieſer Nation zu betrach-
ten. Vieles, was uns in unſerm Elende am
meiſten mangelt, koͤnnen wir bei ihnen lernen:
das Geheimniß der politiſchen Dauer, und den
unerſchuͤtterlichen Glauben. —
Aber was hat den Iſraeliten gefehlt, welche
politiſchen Maͤngel haben ihre irdiſche Zerſtreu-
ung veranlaßt, wenn die geiſtige Vereinigung
auch noch fortdauert? — Ihnen hat gefehlt,
was die Griechen hatten, ſo wie dieſe den Vor-
zug entbehrten, der den Juden zu Theil gewor-
den war. Den Griechen fehlte eine einzige ſuve-
raͤne Idee, die, wie ich nun hinlaͤnglich gezeigt
habe, nur religioͤſer Natur ſeyn kann; daher
fehlte ihnen die Gewaͤhr politiſcher Feſtigkeit:
den Iſraeliten fehlte jenes Reich der Ideen, jene
Verklaͤrung des Lebens, jene Tauſendfaͤltigkeit
der ſinnlichen Formen, welche die goͤttliche Idee
zu durchdringen nicht verſchmaͤhet; daher fehlte
es ihnen an der politiſchen Beweglichkeit.
Das Eine Element des politiſchen Lebens, die
monarchiſche Idee, war den Juden zu Theil
geworden; das andre eben ſo weſentliche, die
republikaniſchen Ideen, den Griechen: darum
ergaͤnzen ſie einander. Aus dieſem innerlichen
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/46>, abgerufen am 23.11.2024.
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