Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Die einfachste, natürlichste und nächste Vor-
stellung, von der die National-Oekonomie aus-
geht und zu der sie wieder zurückkehrt, ist die
Vorstellung des Bedürfnisses. Lassen Sie
uns dieselbe in ihrer höchsten Allgemeinheit auf-
fassen, so ist es der Drang nach Vereini-
gung, welcher in allen Individuen der
bürgerlichen oder der menschlichen Ge-
sellschaft Statt findet
; meinethalben mögen
wir dies erst einseitig so ausdrücken: der Drang
des Menschen, sich die Dinge und Personen
dienstbar zu machen. Eine Unterscheidung der
besoins de premiere necessite von den soge-
nannten besoins factices ist vorläufig nicht nöthig,
und könnte auch unsern Standpunkt verrücken, da
wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi-
gen besoins de premiere necessite des Men-
schen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht
und die bürgerliche Gesellschaft, nicht dafür an-
erkannt werden.

Das Fortschleppen der äußeren Lebenszeichen
vermittelst der sogenannten besoins de pre-
miere necessite
ist ein viel zu unwürdiger Zweck
für eine Wissenschaft. Das Streben der Men-
schen, sich die Sachen und die Personen dienst-
bar zu machen, soll und darf keine Grenzen
haben; es soll im vollen Sinne des Wortes un-

Die einfachſte, natuͤrlichſte und naͤchſte Vor-
ſtellung, von der die National-Oekonomie aus-
geht und zu der ſie wieder zuruͤckkehrt, iſt die
Vorſtellung des Beduͤrfniſſes. Laſſen Sie
uns dieſelbe in ihrer hoͤchſten Allgemeinheit auf-
faſſen, ſo iſt es der Drang nach Vereini-
gung, welcher in allen Individuen der
buͤrgerlichen oder der menſchlichen Ge-
ſellſchaft Statt findet
; meinethalben moͤgen
wir dies erſt einſeitig ſo ausdruͤcken: der Drang
des Menſchen, ſich die Dinge und Perſonen
dienſtbar zu machen. Eine Unterſcheidung der
besoins de première necessité von den ſoge-
nannten besoins factices iſt vorlaͤufig nicht noͤthig,
und koͤnnte auch unſern Standpunkt verruͤcken, da
wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi-
gen besoins de première necessité des Men-
ſchen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht
und die buͤrgerliche Geſellſchaft, nicht dafuͤr an-
erkannt werden.

Das Fortſchleppen der aͤußeren Lebenszeichen
vermittelſt der ſogenannten besoins de pre-
mière necessité
iſt ein viel zu unwuͤrdiger Zweck
fuͤr eine Wiſſenſchaft. Das Streben der Men-
ſchen, ſich die Sachen und die Perſonen dienſt-
bar zu machen, ſoll und darf keine Grenzen
haben; es ſoll im vollen Sinne des Wortes un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0224" n="216"/>
            <p>Die einfach&#x017F;te, natu&#x0364;rlich&#x017F;te und na&#x0364;ch&#x017F;te Vor-<lb/>
&#x017F;tellung, von der die National-Oekonomie aus-<lb/>
geht und zu der &#x017F;ie wieder zuru&#x0364;ckkehrt, i&#x017F;t die<lb/>
Vor&#x017F;tellung des <hi rendition="#g">Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es</hi>. La&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
uns die&#x017F;elbe in ihrer ho&#x0364;ch&#x017F;ten Allgemeinheit auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o i&#x017F;t es <hi rendition="#g">der Drang nach Vereini-<lb/>
gung, welcher in allen Individuen der<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen oder der men&#x017F;chlichen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft Statt findet</hi>; meinethalben mo&#x0364;gen<lb/>
wir dies er&#x017F;t ein&#x017F;eitig <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> ausdru&#x0364;cken: der Drang<lb/>
des Men&#x017F;chen, &#x017F;ich die Dinge und Per&#x017F;onen<lb/>
dien&#x017F;tbar zu machen. Eine Unter&#x017F;cheidung der<lb/><hi rendition="#aq">besoins de première necessité</hi> von den &#x017F;oge-<lb/>
nannten <hi rendition="#aq">besoins factices</hi> i&#x017F;t vorla&#x0364;ufig nicht no&#x0364;thig,<lb/>
und ko&#x0364;nnte auch un&#x017F;ern Standpunkt verru&#x0364;cken, da<lb/>
wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi-<lb/>
gen <hi rendition="#aq">besoins de première necessité</hi> des Men-<lb/>
&#x017F;chen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht<lb/>
und die bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, nicht dafu&#x0364;r an-<lb/>
erkannt werden.</p><lb/>
            <p>Das Fort&#x017F;chleppen der a&#x0364;ußeren Lebenszeichen<lb/>
vermittel&#x017F;t der &#x017F;ogenannten <hi rendition="#aq">besoins de pre-<lb/>
mière necessité</hi> i&#x017F;t ein viel zu unwu&#x0364;rdiger Zweck<lb/>
fu&#x0364;r eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Das Streben der Men-<lb/>
&#x017F;chen, &#x017F;ich die Sachen und die Per&#x017F;onen dien&#x017F;t-<lb/>
bar zu machen, &#x017F;oll und darf <hi rendition="#g">keine Grenzen</hi><lb/>
haben; es &#x017F;oll im vollen Sinne des Wortes <hi rendition="#g">un-<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0224] Die einfachſte, natuͤrlichſte und naͤchſte Vor- ſtellung, von der die National-Oekonomie aus- geht und zu der ſie wieder zuruͤckkehrt, iſt die Vorſtellung des Beduͤrfniſſes. Laſſen Sie uns dieſelbe in ihrer hoͤchſten Allgemeinheit auf- faſſen, ſo iſt es der Drang nach Vereini- gung, welcher in allen Individuen der buͤrgerlichen oder der menſchlichen Ge- ſellſchaft Statt findet; meinethalben moͤgen wir dies erſt einſeitig ſo ausdruͤcken: der Drang des Menſchen, ſich die Dinge und Perſonen dienſtbar zu machen. Eine Unterſcheidung der besoins de première necessité von den ſoge- nannten besoins factices iſt vorlaͤufig nicht noͤthig, und koͤnnte auch unſern Standpunkt verruͤcken, da wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi- gen besoins de première necessité des Men- ſchen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht und die buͤrgerliche Geſellſchaft, nicht dafuͤr an- erkannt werden. Das Fortſchleppen der aͤußeren Lebenszeichen vermittelſt der ſogenannten besoins de pre- mière necessité iſt ein viel zu unwuͤrdiger Zweck fuͤr eine Wiſſenſchaft. Das Streben der Men- ſchen, ſich die Sachen und die Perſonen dienſt- bar zu machen, ſoll und darf keine Grenzen haben; es ſoll im vollen Sinne des Wortes un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/224
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/224>, abgerufen am 22.11.2024.