Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

alten Gothischen Formen unserer Reichsverfas-
sung, ferner den derben, vaterländischen, mehr
auf den Stoff, als auf die Form gerichteten,
Sitten! Er konnte sein Volk nicht begreifen,
wie es vor seinen Augen und um ihn her lebte,
geschweige das Alterthum dieses Volkes.

So war Friedrich im Anfange seiner Lauf-
bahn; indeß ist er nicht der Erste, der von seinem
Schicksal weit über sich selbst weggetragen wurde.
Der unüberlegte, auf Schein gerichtete Thaten-
trieb seiner Jugend ward in langen, unglückli-
chen und glücklichen, Erfahrungen zu einem wah-
ren Helden-Charakter ausgebildet, starr und ver-
schlossen, aber nicht ohne liebenswürdiges, mensch-
liches Beiwesen, womit indeß vielmehr sein kö-
nigliches Privatleben, als seine Regenten-Lauf-
bahn, geschmückt wurde. Sein Volk war wenig
fähig, alles das Französisch-Römische, Trajani-
sche, Mark-Alurelische Wesen zu fassen, worin
der König nun, da er selbst eine Römische
Thaten-Laufbahn zurückgelegt hatte, bestärkt
war. Um so einsamer, um so erhabener über sein
Volk, glaubte Friedrich zu seyn. In eine gewisses
tiefes Mißverständniß mit sich selbst aber, das
kenntlich genug in vielen Privatäußerungen sei-
nes späteren Alters liegt, doch sich nie in der
Festigkeit und Präcision seiner Regierung er-

alten Gothiſchen Formen unſerer Reichsverfaſ-
ſung, ferner den derben, vaterlaͤndiſchen, mehr
auf den Stoff, als auf die Form gerichteten,
Sitten! Er konnte ſein Volk nicht begreifen,
wie es vor ſeinen Augen und um ihn her lebte,
geſchweige das Alterthum dieſes Volkes.

So war Friedrich im Anfange ſeiner Lauf-
bahn; indeß iſt er nicht der Erſte, der von ſeinem
Schickſal weit uͤber ſich ſelbſt weggetragen wurde.
Der unuͤberlegte, auf Schein gerichtete Thaten-
trieb ſeiner Jugend ward in langen, ungluͤckli-
chen und gluͤcklichen, Erfahrungen zu einem wah-
ren Helden-Charakter ausgebildet, ſtarr und ver-
ſchloſſen, aber nicht ohne liebenswuͤrdiges, menſch-
liches Beiweſen, womit indeß vielmehr ſein koͤ-
nigliches Privatleben, als ſeine Regenten-Lauf-
bahn, geſchmuͤckt wurde. Sein Volk war wenig
faͤhig, alles das Franzoͤſiſch-Roͤmiſche, Trajani-
ſche, Mark-Alureliſche Weſen zu faſſen, worin
der Koͤnig nun, da er ſelbſt eine Roͤmiſche
Thaten-Laufbahn zuruͤckgelegt hatte, beſtaͤrkt
war. Um ſo einſamer, um ſo erhabener uͤber ſein
Volk, glaubte Friedrich zu ſeyn. In eine gewiſſes
tiefes Mißverſtaͤndniß mit ſich ſelbſt aber, das
kenntlich genug in vielen Privataͤußerungen ſei-
nes ſpaͤteren Alters liegt, doch ſich nie in der
Feſtigkeit und Praͤciſion ſeiner Regierung er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0173" n="165"/>
alten Gothi&#x017F;chen Formen un&#x017F;erer Reichsverfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, ferner den derben, vaterla&#x0364;ndi&#x017F;chen, mehr<lb/>
auf den Stoff, als auf die Form gerichteten,<lb/>
Sitten! Er konnte &#x017F;ein <hi rendition="#g">Volk</hi> nicht begreifen,<lb/>
wie es vor &#x017F;einen Augen und um ihn her lebte,<lb/>
ge&#x017F;chweige das <hi rendition="#g">Alterthum</hi> die&#x017F;es Volkes.</p><lb/>
            <p>So war Friedrich im Anfange &#x017F;einer Lauf-<lb/>
bahn; indeß i&#x017F;t er nicht der Er&#x017F;te, der von &#x017F;einem<lb/>
Schick&#x017F;al weit u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t weggetragen wurde.<lb/>
Der unu&#x0364;berlegte, auf Schein gerichtete Thaten-<lb/>
trieb &#x017F;einer Jugend ward in langen, unglu&#x0364;ckli-<lb/>
chen und glu&#x0364;cklichen, Erfahrungen zu einem wah-<lb/>
ren Helden-Charakter ausgebildet, &#x017F;tarr und ver-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, aber nicht ohne liebenswu&#x0364;rdiges, men&#x017F;ch-<lb/>
liches Beiwe&#x017F;en, womit indeß vielmehr &#x017F;ein ko&#x0364;-<lb/>
nigliches Privatleben, als &#x017F;eine Regenten-Lauf-<lb/>
bahn, ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt wurde. Sein Volk war wenig<lb/>
fa&#x0364;hig, alles das Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch-Ro&#x0364;mi&#x017F;che, Trajani-<lb/>
&#x017F;che, Mark-Alureli&#x017F;che We&#x017F;en zu fa&#x017F;&#x017F;en, worin<lb/>
der Ko&#x0364;nig nun, da er &#x017F;elb&#x017F;t eine Ro&#x0364;mi&#x017F;che<lb/>
Thaten-Laufbahn zuru&#x0364;ckgelegt hatte, be&#x017F;ta&#x0364;rkt<lb/>
war. Um &#x017F;o ein&#x017F;amer, um &#x017F;o erhabener u&#x0364;ber &#x017F;ein<lb/>
Volk, glaubte Friedrich zu &#x017F;eyn. In eine gewi&#x017F;&#x017F;es<lb/>
tiefes Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aber, das<lb/>
kenntlich genug in vielen Privata&#x0364;ußerungen &#x017F;ei-<lb/>
nes &#x017F;pa&#x0364;teren Alters liegt, doch &#x017F;ich nie in der<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit und Pra&#x0364;ci&#x017F;ion &#x017F;einer Regierung er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0173] alten Gothiſchen Formen unſerer Reichsverfaſ- ſung, ferner den derben, vaterlaͤndiſchen, mehr auf den Stoff, als auf die Form gerichteten, Sitten! Er konnte ſein Volk nicht begreifen, wie es vor ſeinen Augen und um ihn her lebte, geſchweige das Alterthum dieſes Volkes. So war Friedrich im Anfange ſeiner Lauf- bahn; indeß iſt er nicht der Erſte, der von ſeinem Schickſal weit uͤber ſich ſelbſt weggetragen wurde. Der unuͤberlegte, auf Schein gerichtete Thaten- trieb ſeiner Jugend ward in langen, ungluͤckli- chen und gluͤcklichen, Erfahrungen zu einem wah- ren Helden-Charakter ausgebildet, ſtarr und ver- ſchloſſen, aber nicht ohne liebenswuͤrdiges, menſch- liches Beiweſen, womit indeß vielmehr ſein koͤ- nigliches Privatleben, als ſeine Regenten-Lauf- bahn, geſchmuͤckt wurde. Sein Volk war wenig faͤhig, alles das Franzoͤſiſch-Roͤmiſche, Trajani- ſche, Mark-Alureliſche Weſen zu faſſen, worin der Koͤnig nun, da er ſelbſt eine Roͤmiſche Thaten-Laufbahn zuruͤckgelegt hatte, beſtaͤrkt war. Um ſo einſamer, um ſo erhabener uͤber ſein Volk, glaubte Friedrich zu ſeyn. In eine gewiſſes tiefes Mißverſtaͤndniß mit ſich ſelbſt aber, das kenntlich genug in vielen Privataͤußerungen ſei- nes ſpaͤteren Alters liegt, doch ſich nie in der Feſtigkeit und Praͤciſion ſeiner Regierung er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/173
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/173>, abgerufen am 12.12.2024.