Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Menschheit herbeigebracht. Die Geschichte,
vor allen Dingen die heilige Geschichte, die in
den Zeiten vor der Reformation durch natürliche
Senkung ihres alten Baues vielleicht allzu unbe-
weglich geworden war, ist aufgelockert und ge-
lüftet worden, unzähliges Große, aus neuen
Standpunkten angesehn, vor allen Dingen aber
das Herrlichste, nehmlich die Kirche selbst, die,
wie so manches Alte und Angeborne und Ange-
wöhnte nicht mehr gehörig empfunden wurde,
von außen betrachtet und drei volle Jahrhunderte
entbehrt worden, da wo sie hingehört, nehmlich
im Herzen und beim Lebensquell der Staaten.
-- Entbehrt meine ich von Denen, die, wie
Leibnitz, auf die Zukunft zu wirken, sie zu erhe-
ben und ihr ihre Bahn vorzuzeichnen bestimmt
sind, nicht von Denen entbehrt, die bloß einen
leeren Raum in ihrer Zeit ausfüllen sollen. Das
sind die wahren universalhistorischen Früchte der
Reformation! --

Den Urhebern derselben bleibt aber der ewi-
ge Vorwurf, daß sie so vieles abgeschafft und
aufgehoben haben, was einer Wiederbelebung
bedurfte, daß sie unzählige schöne Bande des
Glaubens, bloß aus dem Grunde, weil sie Miß-
bräuchen unterworfen wären, gänzlich zerschnit-
ten haben. Die christliche Kirche, ihre alten

fuͤr die Menſchheit herbeigebracht. Die Geſchichte,
vor allen Dingen die heilige Geſchichte, die in
den Zeiten vor der Reformation durch natuͤrliche
Senkung ihres alten Baues vielleicht allzu unbe-
weglich geworden war, iſt aufgelockert und ge-
luͤftet worden, unzaͤhliges Große, aus neuen
Standpunkten angeſehn, vor allen Dingen aber
das Herrlichſte, nehmlich die Kirche ſelbſt, die,
wie ſo manches Alte und Angeborne und Ange-
woͤhnte nicht mehr gehoͤrig empfunden wurde,
von außen betrachtet und drei volle Jahrhunderte
entbehrt worden, da wo ſie hingehoͤrt, nehmlich
im Herzen und beim Lebensquell der Staaten.
— Entbehrt meine ich von Denen, die, wie
Leibnitz, auf die Zukunft zu wirken, ſie zu erhe-
ben und ihr ihre Bahn vorzuzeichnen beſtimmt
ſind, nicht von Denen entbehrt, die bloß einen
leeren Raum in ihrer Zeit ausfuͤllen ſollen. Das
ſind die wahren univerſalhiſtoriſchen Fruͤchte der
Reformation! —

Den Urhebern derſelben bleibt aber der ewi-
ge Vorwurf, daß ſie ſo vieles abgeſchafft und
aufgehoben haben, was einer Wiederbelebung
bedurfte, daß ſie unzaͤhlige ſchoͤne Bande des
Glaubens, bloß aus dem Grunde, weil ſie Miß-
braͤuchen unterworfen waͤren, gaͤnzlich zerſchnit-
ten haben. Die chriſtliche Kirche, ihre alten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0123" n="115"/>
fu&#x0364;r die Men&#x017F;chheit herbeigebracht. Die Ge&#x017F;chichte,<lb/>
vor allen Dingen die heilige Ge&#x017F;chichte, die in<lb/>
den Zeiten vor der Reformation durch natu&#x0364;rliche<lb/>
Senkung ihres alten Baues vielleicht allzu unbe-<lb/>
weglich geworden war, i&#x017F;t aufgelockert und ge-<lb/>
lu&#x0364;ftet worden, unza&#x0364;hliges Große, aus neuen<lb/>
Standpunkten ange&#x017F;ehn, vor allen Dingen aber<lb/>
das Herrlich&#x017F;te, nehmlich die Kirche &#x017F;elb&#x017F;t, die,<lb/>
wie &#x017F;o manches Alte und Angeborne und Ange-<lb/>
wo&#x0364;hnte nicht mehr geho&#x0364;rig empfunden wurde,<lb/>
von außen betrachtet und drei volle Jahrhunderte<lb/>
entbehrt worden, da wo &#x017F;ie hingeho&#x0364;rt, nehmlich<lb/>
im Herzen und beim Lebensquell der Staaten.<lb/>
&#x2014; Entbehrt meine ich von Denen, die, wie<lb/>
Leibnitz, auf die Zukunft zu wirken, &#x017F;ie zu erhe-<lb/>
ben und ihr ihre Bahn vorzuzeichnen be&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;ind, nicht von Denen entbehrt, die bloß einen<lb/>
leeren Raum in ihrer Zeit ausfu&#x0364;llen &#x017F;ollen. Das<lb/>
&#x017F;ind die wahren univer&#x017F;alhi&#x017F;tori&#x017F;chen Fru&#x0364;chte der<lb/>
Reformation! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Den Urhebern der&#x017F;elben bleibt aber der ewi-<lb/>
ge Vorwurf, daß &#x017F;ie &#x017F;o vieles abge&#x017F;chafft und<lb/>
aufgehoben haben, was einer Wiederbelebung<lb/>
bedurfte, daß &#x017F;ie unza&#x0364;hlige &#x017F;cho&#x0364;ne Bande des<lb/>
Glaubens, bloß aus dem Grunde, weil &#x017F;ie Miß-<lb/>
bra&#x0364;uchen unterworfen wa&#x0364;ren, ga&#x0364;nzlich zer&#x017F;chnit-<lb/>
ten haben. Die chri&#x017F;tliche Kirche, ihre alten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0123] fuͤr die Menſchheit herbeigebracht. Die Geſchichte, vor allen Dingen die heilige Geſchichte, die in den Zeiten vor der Reformation durch natuͤrliche Senkung ihres alten Baues vielleicht allzu unbe- weglich geworden war, iſt aufgelockert und ge- luͤftet worden, unzaͤhliges Große, aus neuen Standpunkten angeſehn, vor allen Dingen aber das Herrlichſte, nehmlich die Kirche ſelbſt, die, wie ſo manches Alte und Angeborne und Ange- woͤhnte nicht mehr gehoͤrig empfunden wurde, von außen betrachtet und drei volle Jahrhunderte entbehrt worden, da wo ſie hingehoͤrt, nehmlich im Herzen und beim Lebensquell der Staaten. — Entbehrt meine ich von Denen, die, wie Leibnitz, auf die Zukunft zu wirken, ſie zu erhe- ben und ihr ihre Bahn vorzuzeichnen beſtimmt ſind, nicht von Denen entbehrt, die bloß einen leeren Raum in ihrer Zeit ausfuͤllen ſollen. Das ſind die wahren univerſalhiſtoriſchen Fruͤchte der Reformation! — Den Urhebern derſelben bleibt aber der ewi- ge Vorwurf, daß ſie ſo vieles abgeſchafft und aufgehoben haben, was einer Wiederbelebung bedurfte, daß ſie unzaͤhlige ſchoͤne Bande des Glaubens, bloß aus dem Grunde, weil ſie Miß- braͤuchen unterworfen waͤren, gaͤnzlich zerſchnit- ten haben. Die chriſtliche Kirche, ihre alten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/123
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/123>, abgerufen am 22.11.2024.