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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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benden Monumenten der Gesetze, der Künste,
der Religion so vernehmlich redet, achten wir
nicht; es fehlen uns die Sinne dafür: wie möch-
ten auch die Abwesenden, das Bessere aber Ver-
schwundene, zu Worte kommen, wenn wir unsern
jährlichen reinen Ertrag berechnen, oder uns mit
der Noth des Augenblickes ohnmächtig herum-
schlagen! Nationalfeste, öffentliche Berührungs-
punkte für das Herz, in denen wohl zu andern
Zeiten ein lebendiges Verständniß der Vorwelt
angeregt worden ist, giebt es nicht: denn wir
sind ja Privatmänner. Die Geschichte lesen wir,
um uns über die Vorzeit zu scandalisiren, höch-
stens, um zu lernen, was wir abschaffen und
was wir nachäffen sollen, nicht aber, wie es
sich gehörte, um uns ideenweise durch ihren
großen, heiligen Zusammenhang, der uns durch
die Religion kenntlich geworden, zu begeistern.
Alle Facta in unsern Geschichtsbüchern sind cor-
rumpirt; wie sollten sie es auch nicht seyn, da
derselbe kaufmännische Verstand, welcher unsere
Staaten, unsre Wissenschaften, und alles was
uns umgiebt, verderbt, auch wieder die Archive
der Historie unter Händen hat und ihre Quellen
trübt und färbt, wie es das Bedürfniß der Stunde
verlangt! --

Die Reformation hat unendlichen Gewinn

benden Monumenten der Geſetze, der Kuͤnſte,
der Religion ſo vernehmlich redet, achten wir
nicht; es fehlen uns die Sinne dafuͤr: wie moͤch-
ten auch die Abweſenden, das Beſſere aber Ver-
ſchwundene, zu Worte kommen, wenn wir unſern
jaͤhrlichen reinen Ertrag berechnen, oder uns mit
der Noth des Augenblickes ohnmaͤchtig herum-
ſchlagen! Nationalfeſte, oͤffentliche Beruͤhrungs-
punkte fuͤr das Herz, in denen wohl zu andern
Zeiten ein lebendiges Verſtaͤndniß der Vorwelt
angeregt worden iſt, giebt es nicht: denn wir
ſind ja Privatmaͤnner. Die Geſchichte leſen wir,
um uns uͤber die Vorzeit zu ſcandaliſiren, hoͤch-
ſtens, um zu lernen, was wir abſchaffen und
was wir nachaͤffen ſollen, nicht aber, wie es
ſich gehoͤrte, um uns ideenweiſe durch ihren
großen, heiligen Zuſammenhang, der uns durch
die Religion kenntlich geworden, zu begeiſtern.
Alle Facta in unſern Geſchichtsbuͤchern ſind cor-
rumpirt; wie ſollten ſie es auch nicht ſeyn, da
derſelbe kaufmaͤnniſche Verſtand, welcher unſere
Staaten, unſre Wiſſenſchaften, und alles was
uns umgiebt, verderbt, auch wieder die Archive
der Hiſtorie unter Haͤnden hat und ihre Quellen
truͤbt und faͤrbt, wie es das Beduͤrfniß der Stunde
verlangt! —

Die Reformation hat unendlichen Gewinn

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[114/0122] benden Monumenten der Geſetze, der Kuͤnſte, der Religion ſo vernehmlich redet, achten wir nicht; es fehlen uns die Sinne dafuͤr: wie moͤch- ten auch die Abweſenden, das Beſſere aber Ver- ſchwundene, zu Worte kommen, wenn wir unſern jaͤhrlichen reinen Ertrag berechnen, oder uns mit der Noth des Augenblickes ohnmaͤchtig herum- ſchlagen! Nationalfeſte, oͤffentliche Beruͤhrungs- punkte fuͤr das Herz, in denen wohl zu andern Zeiten ein lebendiges Verſtaͤndniß der Vorwelt angeregt worden iſt, giebt es nicht: denn wir ſind ja Privatmaͤnner. Die Geſchichte leſen wir, um uns uͤber die Vorzeit zu ſcandaliſiren, hoͤch- ſtens, um zu lernen, was wir abſchaffen und was wir nachaͤffen ſollen, nicht aber, wie es ſich gehoͤrte, um uns ideenweiſe durch ihren großen, heiligen Zuſammenhang, der uns durch die Religion kenntlich geworden, zu begeiſtern. Alle Facta in unſern Geſchichtsbuͤchern ſind cor- rumpirt; wie ſollten ſie es auch nicht ſeyn, da derſelbe kaufmaͤnniſche Verſtand, welcher unſere Staaten, unſre Wiſſenſchaften, und alles was uns umgiebt, verderbt, auch wieder die Archive der Hiſtorie unter Haͤnden hat und ihre Quellen truͤbt und faͤrbt, wie es das Beduͤrfniß der Stunde verlangt! — Die Reformation hat unendlichen Gewinn

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/122>, abgerufen am 22.11.2024.