ments in Europa in dem Cardinal Ximenez. Die kirchliche Herrschaft stand allenthalben, welt- lich gesinnt, nach Besitz und weltlicher Macht strebend, neben dem Glauben, neben der Idee, anstatt eins mit ihr zu seyn, wie es im Cardi- nal Ximenez der Fall war.
Bei freier Disposition über alle weltliche Mit- tel des Lebensgenusses, um der Idee willen, die Entbehrung zu wählen, wie Ximenez, das ist, -- ich appellire an jedes Gefühl -- die erhaben- ste Gestalt, in der die Geistlichkeit sich denken läßt. Ein wirkliches gesetzliches Entbehren, eine nothwendige Armuth, kann von der religiösen Stimmung des Gesetzgebers ein Zeugniß able- gen; aber der unmittelbare Eindruk freier Erha- benheit über die Reitzungen des Augenblicks, und freier Ergebung an das Ewige oder die Idee, wird nicht in dem Maße erfolgen, als wenn der Geistlichkeit weltliche Güter verstattet wer- den und eine geistige Sitte eine strenge und un- bestechliche Lebensform von selbst herbei führt. --
Alle Bürger eines Staates sollen, wie ich gezeigt habe, Repräsentanten der Idee des Gan- zen oder des unsterblichen Gemeinwesens seyn; aber so wenig dieser echt-bürgerliche Geist da- durch geweckt werden möchte, daß Armuth und Entbehrung gesetzlich verordnet würden: eben so
ments in Europa in dem Cardinal Ximenez. Die kirchliche Herrſchaft ſtand allenthalben, welt- lich geſinnt, nach Beſitz und weltlicher Macht ſtrebend, neben dem Glauben, neben der Idee, anſtatt eins mit ihr zu ſeyn, wie es im Cardi- nal Ximenez der Fall war.
Bei freier Dispoſition uͤber alle weltliche Mit- tel des Lebensgenuſſes, um der Idee willen, die Entbehrung zu waͤhlen, wie Ximenez, das iſt, — ich appellire an jedes Gefuͤhl — die erhaben- ſte Geſtalt, in der die Geiſtlichkeit ſich denken laͤßt. Ein wirkliches geſetzliches Entbehren, eine nothwendige Armuth, kann von der religioͤſen Stimmung des Geſetzgebers ein Zeugniß able- gen; aber der unmittelbare Eindruk freier Erha- benheit uͤber die Reitzungen des Augenblicks, und freier Ergebung an das Ewige oder die Idee, wird nicht in dem Maße erfolgen, als wenn der Geiſtlichkeit weltliche Guͤter verſtattet wer- den und eine geiſtige Sitte eine ſtrenge und un- beſtechliche Lebensform von ſelbſt herbei fuͤhrt. —
Alle Buͤrger eines Staates ſollen, wie ich gezeigt habe, Repraͤſentanten der Idee des Gan- zen oder des unſterblichen Gemeinweſens ſeyn; aber ſo wenig dieſer echt-buͤrgerliche Geiſt da- durch geweckt werden moͤchte, daß Armuth und Entbehrung geſetzlich verordnet wuͤrden: eben ſo
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ments in Europa in dem Cardinal Ximenez.
Die kirchliche Herrſchaft ſtand allenthalben, welt-
lich geſinnt, nach Beſitz und weltlicher Macht
ſtrebend, neben dem Glauben, neben der Idee,
anſtatt eins mit ihr zu ſeyn, wie es im Cardi-
nal Ximenez der Fall war.
Bei freier Dispoſition uͤber alle weltliche Mit-
tel des Lebensgenuſſes, um der Idee willen, die
Entbehrung zu waͤhlen, wie Ximenez, das iſt,
— ich appellire an jedes Gefuͤhl — die erhaben-
ſte Geſtalt, in der die Geiſtlichkeit ſich denken
laͤßt. Ein wirkliches geſetzliches Entbehren, eine
nothwendige Armuth, kann von der religioͤſen
Stimmung des Geſetzgebers ein Zeugniß able-
gen; aber der unmittelbare Eindruk freier Erha-
benheit uͤber die Reitzungen des Augenblicks, und
freier Ergebung an das Ewige oder die Idee,
wird nicht in dem Maße erfolgen, als wenn
der Geiſtlichkeit weltliche Guͤter verſtattet wer-
den und eine geiſtige Sitte eine ſtrenge und un-
beſtechliche Lebensform von ſelbſt herbei fuͤhrt. —
Alle Buͤrger eines Staates ſollen, wie ich
gezeigt habe, Repraͤſentanten der Idee des Gan-
zen oder des unſterblichen Gemeinweſens ſeyn;
aber ſo wenig dieſer echt-buͤrgerliche Geiſt da-
durch geweckt werden moͤchte, daß Armuth und
Entbehrung geſetzlich verordnet wuͤrden: eben ſo
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/110>, abgerufen am 25.11.2024.
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