entbindet: die Schlacken der Vorzeit hangen an ihnen wie Kletten; die Andern, die theo- retischen, faseln dafür in die Zukunft hinein, träumen von neuen Zeiten, ganz neuen Zustän- den der Dinge; und darüber versäumen Beide die große ahndungsvolle Gegenwart. --
Wenn man uns doch einen Staatsmann zei- gen wollte, der so ganz in der Gegenwart stände, und dabei dennoch die Rechte der Vergangenheit zu schonen und der Zukunft in's Auge zu sehen wüßte, gleich-viel, ob bei den Zeitgenossen, oder bei früheren Generationen! Sein Bild wollten wir uns dann tief in die Seele drücken -- nicht, um ihn nachzuahmen; denn das recht Große läßt sich nicht nachahmen; man kann nur, von seinem Geiste erfüllt, wieder Großes, und ganz verschiedenartiges Großes, thun. Deshalb wähle ich, unter Vielen, einen Einzigen: nicht einen Zeit- genossen und noch Lebenden, weil wir sein gan- zes politisches Leben übersehen müssen; nicht einen ganz Alten, damit seine Denkungs- und Handlungsweise uns ganz begreiflich sey; nicht einen Landsmann, damit die Verschiedenheit des Theaters, auf dem er regierte, von dem unsri- gen uns zwinge, den Geist seines Handelns zu begreifen, und uns nicht etwa mit bloßem Fest- halten und Aneignen der Aeußerlichkeiten zu be-
entbindet: die Schlacken der Vorzeit hangen an ihnen wie Kletten; die Andern, die theo- retiſchen, faſeln dafuͤr in die Zukunft hinein, traͤumen von neuen Zeiten, ganz neuen Zuſtaͤn- den der Dinge; und daruͤber verſaͤumen Beide die große ahndungsvolle Gegenwart. —
Wenn man uns doch einen Staatsmann zei- gen wollte, der ſo ganz in der Gegenwart ſtaͤnde, und dabei dennoch die Rechte der Vergangenheit zu ſchonen und der Zukunft in’s Auge zu ſehen wuͤßte, gleich-viel, ob bei den Zeitgenoſſen, oder bei fruͤheren Generationen! Sein Bild wollten wir uns dann tief in die Seele druͤcken — nicht, um ihn nachzuahmen; denn das recht Große laͤßt ſich nicht nachahmen; man kann nur, von ſeinem Geiſte erfuͤllt, wieder Großes, und ganz verſchiedenartiges Großes, thun. Deshalb waͤhle ich, unter Vielen, einen Einzigen: nicht einen Zeit- genoſſen und noch Lebenden, weil wir ſein gan- zes politiſches Leben uͤberſehen muͤſſen; nicht einen ganz Alten, damit ſeine Denkungs- und Handlungsweiſe uns ganz begreiflich ſey; nicht einen Landsmann, damit die Verſchiedenheit des Theaters, auf dem er regierte, von dem unſri- gen uns zwinge, den Geiſt ſeines Handelns zu begreifen, und uns nicht etwa mit bloßem Feſt- halten und Aneignen der Aeußerlichkeiten zu be-
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entbindet: die Schlacken der Vorzeit hangen
an ihnen wie Kletten; die Andern, die theo-
retiſchen, faſeln dafuͤr in die Zukunft hinein,
traͤumen von neuen Zeiten, ganz neuen Zuſtaͤn-
den der Dinge; und daruͤber verſaͤumen Beide
die große ahndungsvolle Gegenwart. —
Wenn man uns doch einen Staatsmann zei-
gen wollte, der ſo ganz in der Gegenwart ſtaͤnde,
und dabei dennoch die Rechte der Vergangenheit
zu ſchonen und der Zukunft in’s Auge zu ſehen
wuͤßte, gleich-viel, ob bei den Zeitgenoſſen, oder
bei fruͤheren Generationen! Sein Bild wollten
wir uns dann tief in die Seele druͤcken — nicht,
um ihn nachzuahmen; denn das recht Große
laͤßt ſich nicht nachahmen; man kann nur, von
ſeinem Geiſte erfuͤllt, wieder Großes, und ganz
verſchiedenartiges Großes, thun. Deshalb waͤhle
ich, unter Vielen, einen Einzigen: nicht einen Zeit-
genoſſen und noch Lebenden, weil wir ſein gan-
zes politiſches Leben uͤberſehen muͤſſen; nicht
einen ganz Alten, damit ſeine Denkungs- und
Handlungsweiſe uns ganz begreiflich ſey; nicht
einen Landsmann, damit die Verſchiedenheit des
Theaters, auf dem er regierte, von dem unſri-
gen uns zwinge, den Geiſt ſeines Handelns zu
begreifen, und uns nicht etwa mit bloßem Feſt-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/59>, abgerufen am 25.11.2024.
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