vielgetriebene Gewerbe der Stuben-Politik! Diese geht immer davon aus, daß der Staatsmann müßig und herzlos, gleich ihr selbst, außerhalb des Staates stehe, und meint, der Staat könne durch einen hier und dort angelegten Hebel nun sogleich in seine wahren Angeln gehoben werden -- als ob ein kranker Staat durch einen tüchtigen Vorsatz der Besserung, oder durch ein verschriebenes Recept unmittelbar zu heilen sey! -- Und dies ist noch die edlere Gattung, da sie den Staatsmann mit einem Arzte ehren- voll vergleicht. --
Noch unwürdiger denken Jene, welche Ver- fassungen und Gesetze, alles Erhabene, was der Staatsmann beschließt, mit Kleidern vergleichen, die er seinem Staate zuschneidet und anpaßt, und die, wenn der Staat sie abgetragen hat oder herausgewachsen ist, nur abgelegt zu werden brauchen. Die Französische Revolution hat ge- lehrt, daß man den Staat entfleischt, während man ihn bloß von veralteten Unwesentlichkeiten zu entkleiden wähnt; daß das Reformiren eines Staates durchaus nichts gemein hat mit dem Ausmustern einer Garderobe; kurz, daß man sich in das Herz des Staates, in den Mittelpunkt seiner Bewegung, begeben muß, wenn man das
vielgetriebene Gewerbe der Stuben-Politik! Dieſe geht immer davon aus, daß der Staatsmann muͤßig und herzlos, gleich ihr ſelbſt, außerhalb des Staates ſtehe, und meint, der Staat koͤnne durch einen hier und dort angelegten Hebel nun ſogleich in ſeine wahren Angeln gehoben werden — als ob ein kranker Staat durch einen tuͤchtigen Vorſatz der Beſſerung, oder durch ein verſchriebenes Recept unmittelbar zu heilen ſey! — Und dies iſt noch die edlere Gattung, da ſie den Staatsmann mit einem Arzte ehren- voll vergleicht. —
Noch unwuͤrdiger denken Jene, welche Ver- faſſungen und Geſetze, alles Erhabene, was der Staatsmann beſchließt, mit Kleidern vergleichen, die er ſeinem Staate zuſchneidet und anpaßt, und die, wenn der Staat ſie abgetragen hat oder herausgewachſen iſt, nur abgelegt zu werden brauchen. Die Franzoͤſiſche Revolution hat ge- lehrt, daß man den Staat entfleiſcht, waͤhrend man ihn bloß von veralteten Unweſentlichkeiten zu entkleiden waͤhnt; daß das Reformiren eines Staates durchaus nichts gemein hat mit dem Ausmuſtern einer Garderobe; kurz, daß man ſich in das Herz des Staates, in den Mittelpunkt ſeiner Bewegung, begeben muß, wenn man das
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vielgetriebene Gewerbe der Stuben-Politik! Dieſe
geht immer davon aus, daß der Staatsmann
muͤßig und herzlos, gleich ihr ſelbſt, außerhalb
des Staates ſtehe, und meint, der Staat koͤnne
durch einen hier und dort angelegten Hebel
nun ſogleich in ſeine wahren Angeln gehoben
werden — als ob ein kranker Staat durch
einen tuͤchtigen Vorſatz der Beſſerung, oder durch
ein verſchriebenes Recept unmittelbar zu heilen
ſey! — Und dies iſt noch die edlere Gattung,
da ſie den Staatsmann mit einem Arzte ehren-
voll vergleicht. —
Noch unwuͤrdiger denken Jene, welche Ver-
faſſungen und Geſetze, alles Erhabene, was der
Staatsmann beſchließt, mit Kleidern vergleichen,
die er ſeinem Staate zuſchneidet und anpaßt,
und die, wenn der Staat ſie abgetragen hat
oder herausgewachſen iſt, nur abgelegt zu werden
brauchen. Die Franzoͤſiſche Revolution hat ge-
lehrt, daß man den Staat entfleiſcht, waͤhrend
man ihn bloß von veralteten Unweſentlichkeiten
zu entkleiden waͤhnt; daß das Reformiren eines
Staates durchaus nichts gemein hat mit dem
Ausmuſtern einer Garderobe; kurz, daß man ſich
in das Herz des Staates, in den Mittelpunkt
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/40>, abgerufen am 22.11.2024.
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