bricht ihnen die lebendige Kraft gerade in den Augenblicken, wo sie dieselbe am nothwendigsten brauchen. -- So wird die erhabene Idee des Adels zum Begriff: sie sinkt so tief herab, daß die Welt in dem Adel überhaupt nichts mehr sieht, als ein Bündel sächlicher Privilegien. --
Wie wenig kennen Diejenigen den Geist der meisten Regierungen neuerer Zeit, wie unreif zu allem Urtheil über denselben sind Die, welche die unzähligen falschen Schranken, mit denen das Talent bisher noch oft zu kämpfen hatte, der Existenz des Geburtsadels zuschreiben! Viel- mehr darin, daß man die Natur dieses Geburts- adels verläugnete; sein Wesen, wie der Verfas- ser des neuen Leviathan thut, in den Besitz säch- licher Privilegien setzte; die Anzahl seiner Mit- glieder durch verschwenderische Gnade und durch Unaufmerksamkeit gegen das Primogenitur-Gesetz ohne Ende vermehrte; daß man ihn durch den Buchstaben der Gesetze Einerseits erhob und mit sächlichen Privilegien, selbst wohl sogar mit dem unbedachtesten, mit dem Privilegium zu den höhe- ren Staatsämtern, überhäufte, sittlich und per- sönlich hingegen ihn allen übrigen Staatsbür- gern da gleichstellte, wo man ihn hätte auszeich- nen sollen: darin lag das Lästige des Adels. Man strebte, den Adel mit dem Bürgerstande
bricht ihnen die lebendige Kraft gerade in den Augenblicken, wo ſie dieſelbe am nothwendigſten brauchen. — So wird die erhabene Idee des Adels zum Begriff: ſie ſinkt ſo tief herab, daß die Welt in dem Adel uͤberhaupt nichts mehr ſieht, als ein Buͤndel ſaͤchlicher Privilegien. —
Wie wenig kennen Diejenigen den Geiſt der meiſten Regierungen neuerer Zeit, wie unreif zu allem Urtheil uͤber denſelben ſind Die, welche die unzaͤhligen falſchen Schranken, mit denen das Talent bisher noch oft zu kaͤmpfen hatte, der Exiſtenz des Geburtsadels zuſchreiben! Viel- mehr darin, daß man die Natur dieſes Geburts- adels verlaͤugnete; ſein Weſen, wie der Verfaſ- ſer des neuen Leviathan thut, in den Beſitz ſaͤch- licher Privilegien ſetzte; die Anzahl ſeiner Mit- glieder durch verſchwenderiſche Gnade und durch Unaufmerkſamkeit gegen das Primogenitur-Geſetz ohne Ende vermehrte; daß man ihn durch den Buchſtaben der Geſetze Einerſeits erhob und mit ſaͤchlichen Privilegien, ſelbſt wohl ſogar mit dem unbedachteſten, mit dem Privilegium zu den hoͤhe- ren Staatsaͤmtern, uͤberhaͤufte, ſittlich und per- ſoͤnlich hingegen ihn allen uͤbrigen Staatsbuͤr- gern da gleichſtellte, wo man ihn haͤtte auszeich- nen ſollen: darin lag das Laͤſtige des Adels. Man ſtrebte, den Adel mit dem Buͤrgerſtande
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bricht ihnen die lebendige Kraft gerade in den
Augenblicken, wo ſie dieſelbe am nothwendigſten
brauchen. — So wird die erhabene Idee des
Adels zum Begriff: ſie ſinkt ſo tief herab, daß
die Welt in dem Adel uͤberhaupt nichts mehr
ſieht, als ein Buͤndel ſaͤchlicher Privilegien. —
Wie wenig kennen Diejenigen den Geiſt der
meiſten Regierungen neuerer Zeit, wie unreif zu
allem Urtheil uͤber denſelben ſind Die, welche
die unzaͤhligen falſchen Schranken, mit denen
das Talent bisher noch oft zu kaͤmpfen hatte,
der Exiſtenz des Geburtsadels zuſchreiben! Viel-
mehr darin, daß man die Natur dieſes Geburts-
adels verlaͤugnete; ſein Weſen, wie der Verfaſ-
ſer des neuen Leviathan thut, in den Beſitz ſaͤch-
licher Privilegien ſetzte; die Anzahl ſeiner Mit-
glieder durch verſchwenderiſche Gnade und durch
Unaufmerkſamkeit gegen das Primogenitur-Geſetz
ohne Ende vermehrte; daß man ihn durch den
Buchſtaben der Geſetze Einerſeits erhob und mit
ſaͤchlichen Privilegien, ſelbſt wohl ſogar mit dem
unbedachteſten, mit dem Privilegium zu den hoͤhe-
ren Staatsaͤmtern, uͤberhaͤufte, ſittlich und per-
ſoͤnlich hingegen ihn allen uͤbrigen Staatsbuͤr-
gern da gleichſtellte, wo man ihn haͤtte auszeich-
nen ſollen: darin lag das Laͤſtige des Adels.
Man ſtrebte, den Adel mit dem Buͤrgerſtande
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/296>, abgerufen am 25.11.2024.
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