der eigenthümlichen Natur seines Patienten et- was zu vergeben, nicht nach Gesundheit über- haupt, sondern nach der diesem Körper eigen- thümlichen und erreichbaren Gesundheit strebt. -- Wenn man den Leichtsinn erwägt, womit in un- sern Zeiten hier und da alte Verfassungen aufge- geben werden, den Leichtsinn Derer, meine ich, die lange unter dem unmittelbaren Einflusse die- ser Verfassungen lebten: so findet man, daß ih- nen der Staat nichts weiter ist, als eine große Polizei-Anstalt, die durch eine andre Anstalt der Art ersetzt werden kann, ohne daß sich in dem inneren Leben der Bürger etwas verändert. -- Betrachtet man den Staat als ein großes, alle die kleinen Individuen umfassendes, Indivi- duum; sieht man ein, daß die menschliche Gesell- schaft im Ganzen und Großen sich nicht anders darstellen kann, denn als ein erhabener und voll- ständiger Mensch --: so wird man niemals die inneren und wesentlichen Eigenheiten des Staa- tes, die Form seiner Verfassung, einer willkühr- lichen Speculation unterwerfen wollen.
Das Verhältniß des Suveräns zu dem Volke ist an und für sich ein sehr einfaches, eben weil es ein durchaus gegenseitiges ist. Der unsterb- liche Suverän in dem unsterblichen Volke, beide in ihrer allgemeinen, ewigen Natur betrachtet,
stehen
der eigenthuͤmlichen Natur ſeines Patienten et- was zu vergeben, nicht nach Geſundheit uͤber- haupt, ſondern nach der dieſem Koͤrper eigen- thuͤmlichen und erreichbaren Geſundheit ſtrebt. — Wenn man den Leichtſinn erwaͤgt, womit in un- ſern Zeiten hier und da alte Verfaſſungen aufge- geben werden, den Leichtſinn Derer, meine ich, die lange unter dem unmittelbaren Einfluſſe die- ſer Verfaſſungen lebten: ſo findet man, daß ih- nen der Staat nichts weiter iſt, als eine große Polizei-Anſtalt, die durch eine andre Anſtalt der Art erſetzt werden kann, ohne daß ſich in dem inneren Leben der Buͤrger etwas veraͤndert. — Betrachtet man den Staat als ein großes, alle die kleinen Individuen umfaſſendes, Indivi- duum; ſieht man ein, daß die menſchliche Geſell- ſchaft im Ganzen und Großen ſich nicht anders darſtellen kann, denn als ein erhabener und voll- ſtaͤndiger Menſch —: ſo wird man niemals die inneren und weſentlichen Eigenheiten des Staa- tes, die Form ſeiner Verfaſſung, einer willkuͤhr- lichen Speculation unterwerfen wollen.
Das Verhaͤltniß des Suveraͤns zu dem Volke iſt an und fuͤr ſich ein ſehr einfaches, eben weil es ein durchaus gegenſeitiges iſt. Der unſterb- liche Suveraͤn in dem unſterblichen Volke, beide in ihrer allgemeinen, ewigen Natur betrachtet,
ſtehen
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der eigenthuͤmlichen Natur ſeines Patienten et-
was zu vergeben, nicht nach Geſundheit uͤber-
haupt, ſondern nach der dieſem Koͤrper eigen-
thuͤmlichen und erreichbaren Geſundheit ſtrebt. —
Wenn man den Leichtſinn erwaͤgt, womit in un-
ſern Zeiten hier und da alte Verfaſſungen aufge-
geben werden, den Leichtſinn Derer, meine ich,
die lange unter dem unmittelbaren Einfluſſe die-
ſer Verfaſſungen lebten: ſo findet man, daß ih-
nen der Staat nichts weiter iſt, als eine große
Polizei-Anſtalt, die durch eine andre Anſtalt der
Art erſetzt werden kann, ohne daß ſich in dem
inneren Leben der Buͤrger etwas veraͤndert. —
Betrachtet man den Staat als ein großes, alle
die kleinen Individuen umfaſſendes, Indivi-
duum; ſieht man ein, daß die menſchliche Geſell-
ſchaft im Ganzen und Großen ſich nicht anders
darſtellen kann, denn als ein erhabener und voll-
ſtaͤndiger Menſch —: ſo wird man niemals die
inneren und weſentlichen Eigenheiten des Staa-
tes, die Form ſeiner Verfaſſung, einer willkuͤhr-
lichen Speculation unterwerfen wollen.
Das Verhaͤltniß des Suveraͤns zu dem Volke
iſt an und fuͤr ſich ein ſehr einfaches, eben weil
es ein durchaus gegenſeitiges iſt. Der unſterb-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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