schreibung von der Composition der National- Versammlung! Die große Majorität der Reprä- sentanten des tiers-etat bestand aus Dorfrich- tern, Dorfpfarrern und medicinischen Quacksal- bern; aus einem ganzen Heere solcher kleinen vermittelnden, natürlichen Friedensrichtern. Diese hatten ihr ganzes Leben hindurch die Gesetze in dem gehörigen Detail und Streit studiert; und was ist aus der Idee des Rechtes geworden, als sie nun die Gesetzgeber spielten! --
"Deshalb," fährt man, sich mit großer Ein- sicht auf die gegenwärtige Lage der Dinge beru- fend, fort, "muß die administrative Behörde von der richterlichen in jedem wohlorganisirten Staate absolut getrennt, und der Richter einem bloßen reinen Anpassen der vorkommenden Streitfälle auf die bestehenden Gesetze angewie- sen seyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter den Partheien, noch zwischen dem bestehenden Gesetz und den aus dem neuen interessanten Streitfalle hervorgehenden Gesetze zu vermitteln, aus dem alten und aus dem neuen Gesetz ein drittes höheres Gesetz (welches eigentlich nur das heranwachsende, sich ausbildende alte Gesetz ist) zu erzeugen; sondern er soll nur die ihm vorgelegte Sache auf der Wage seines Verstan- des nach den ihm von dem Administrator über-
ſchreibung von der Compoſition der National- Verſammlung! Die große Majoritaͤt der Repraͤ- ſentanten des tiers-état beſtand aus Dorfrich- tern, Dorfpfarrern und mediciniſchen Quackſal- bern; aus einem ganzen Heere ſolcher kleinen vermittelnden, natuͤrlichen Friedensrichtern. Dieſe hatten ihr ganzes Leben hindurch die Geſetze in dem gehoͤrigen Detail und Streit ſtudiert; und was iſt aus der Idee des Rechtes geworden, als ſie nun die Geſetzgeber ſpielten! —
„Deshalb,” faͤhrt man, ſich mit großer Ein- ſicht auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge beru- fend, fort, „muß die adminiſtrative Behoͤrde von der richterlichen in jedem wohlorganiſirten Staate abſolut getrennt, und der Richter einem bloßen reinen Anpaſſen der vorkommenden Streitfaͤlle auf die beſtehenden Geſetze angewie- ſen ſeyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter den Partheien, noch zwiſchen dem beſtehenden Geſetz und den aus dem neuen intereſſanten Streitfalle hervorgehenden Geſetze zu vermitteln, aus dem alten und aus dem neuen Geſetz ein drittes hoͤheres Geſetz (welches eigentlich nur das heranwachſende, ſich ausbildende alte Geſetz iſt) zu erzeugen; ſondern er ſoll nur die ihm vorgelegte Sache auf der Wage ſeines Verſtan- des nach den ihm von dem Adminiſtrator uͤber-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0229"n="195"/>ſchreibung von der Compoſition der National-<lb/>
Verſammlung! Die große Majoritaͤt der Repraͤ-<lb/>ſentanten des <hirendition="#aq">tiers-état</hi> beſtand aus Dorfrich-<lb/>
tern, Dorfpfarrern und mediciniſchen Quackſal-<lb/>
bern; aus einem ganzen Heere ſolcher kleinen<lb/>
vermittelnden, natuͤrlichen Friedensrichtern. Dieſe<lb/>
hatten ihr ganzes Leben hindurch die Geſetze in<lb/>
dem gehoͤrigen Detail und Streit ſtudiert; und<lb/>
was iſt aus der Idee des Rechtes geworden, als<lb/>ſie nun die Geſetzgeber ſpielten! —</p><lb/><p>„Deshalb,” faͤhrt man, ſich mit großer Ein-<lb/>ſicht auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge beru-<lb/>
fend, fort, „muß die adminiſtrative Behoͤrde<lb/>
von der richterlichen in jedem wohlorganiſirten<lb/>
Staate abſolut getrennt, und der Richter<lb/>
einem bloßen reinen Anpaſſen der vorkommenden<lb/>
Streitfaͤlle auf die beſtehenden Geſetze angewie-<lb/>ſen ſeyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter<lb/>
den Partheien, noch zwiſchen dem beſtehenden<lb/>
Geſetz und den aus dem neuen intereſſanten<lb/>
Streitfalle hervorgehenden Geſetze zu vermitteln,<lb/>
aus dem alten und aus dem neuen Geſetz ein<lb/>
drittes hoͤheres Geſetz (welches eigentlich nur<lb/>
das heranwachſende, ſich ausbildende alte Geſetz<lb/>
iſt) zu erzeugen; ſondern er ſoll nur die ihm<lb/>
vorgelegte Sache auf der Wage ſeines Verſtan-<lb/>
des nach den ihm von dem Adminiſtrator uͤber-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[195/0229]
ſchreibung von der Compoſition der National-
Verſammlung! Die große Majoritaͤt der Repraͤ-
ſentanten des tiers-état beſtand aus Dorfrich-
tern, Dorfpfarrern und mediciniſchen Quackſal-
bern; aus einem ganzen Heere ſolcher kleinen
vermittelnden, natuͤrlichen Friedensrichtern. Dieſe
hatten ihr ganzes Leben hindurch die Geſetze in
dem gehoͤrigen Detail und Streit ſtudiert; und
was iſt aus der Idee des Rechtes geworden, als
ſie nun die Geſetzgeber ſpielten! —
„Deshalb,” faͤhrt man, ſich mit großer Ein-
ſicht auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge beru-
fend, fort, „muß die adminiſtrative Behoͤrde
von der richterlichen in jedem wohlorganiſirten
Staate abſolut getrennt, und der Richter
einem bloßen reinen Anpaſſen der vorkommenden
Streitfaͤlle auf die beſtehenden Geſetze angewie-
ſen ſeyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter
den Partheien, noch zwiſchen dem beſtehenden
Geſetz und den aus dem neuen intereſſanten
Streitfalle hervorgehenden Geſetze zu vermitteln,
aus dem alten und aus dem neuen Geſetz ein
drittes hoͤheres Geſetz (welches eigentlich nur
das heranwachſende, ſich ausbildende alte Geſetz
iſt) zu erzeugen; ſondern er ſoll nur die ihm
vorgelegte Sache auf der Wage ſeines Verſtan-
des nach den ihm von dem Adminiſtrator uͤber-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/229>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.