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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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schreibung von der Composition der National-
Versammlung! Die große Majorität der Reprä-
sentanten des tiers-etat bestand aus Dorfrich-
tern, Dorfpfarrern und medicinischen Quacksal-
bern; aus einem ganzen Heere solcher kleinen
vermittelnden, natürlichen Friedensrichtern. Diese
hatten ihr ganzes Leben hindurch die Gesetze in
dem gehörigen Detail und Streit studiert; und
was ist aus der Idee des Rechtes geworden, als
sie nun die Gesetzgeber spielten! --

"Deshalb," fährt man, sich mit großer Ein-
sicht auf die gegenwärtige Lage der Dinge beru-
fend, fort, "muß die administrative Behörde
von der richterlichen in jedem wohlorganisirten
Staate absolut getrennt, und der Richter
einem bloßen reinen Anpassen der vorkommenden
Streitfälle auf die bestehenden Gesetze angewie-
sen seyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter
den Partheien, noch zwischen dem bestehenden
Gesetz und den aus dem neuen interessanten
Streitfalle hervorgehenden Gesetze zu vermitteln,
aus dem alten und aus dem neuen Gesetz ein
drittes höheres Gesetz (welches eigentlich nur
das heranwachsende, sich ausbildende alte Gesetz
ist) zu erzeugen; sondern er soll nur die ihm
vorgelegte Sache auf der Wage seines Verstan-
des nach den ihm von dem Administrator über-

ſchreibung von der Compoſition der National-
Verſammlung! Die große Majoritaͤt der Repraͤ-
ſentanten des tiers-état beſtand aus Dorfrich-
tern, Dorfpfarrern und mediciniſchen Quackſal-
bern; aus einem ganzen Heere ſolcher kleinen
vermittelnden, natuͤrlichen Friedensrichtern. Dieſe
hatten ihr ganzes Leben hindurch die Geſetze in
dem gehoͤrigen Detail und Streit ſtudiert; und
was iſt aus der Idee des Rechtes geworden, als
ſie nun die Geſetzgeber ſpielten! —

„Deshalb,” faͤhrt man, ſich mit großer Ein-
ſicht auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge beru-
fend, fort, „muß die adminiſtrative Behoͤrde
von der richterlichen in jedem wohlorganiſirten
Staate abſolut getrennt, und der Richter
einem bloßen reinen Anpaſſen der vorkommenden
Streitfaͤlle auf die beſtehenden Geſetze angewie-
ſen ſeyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter
den Partheien, noch zwiſchen dem beſtehenden
Geſetz und den aus dem neuen intereſſanten
Streitfalle hervorgehenden Geſetze zu vermitteln,
aus dem alten und aus dem neuen Geſetz ein
drittes hoͤheres Geſetz (welches eigentlich nur
das heranwachſende, ſich ausbildende alte Geſetz
iſt) zu erzeugen; ſondern er ſoll nur die ihm
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[195/0229] ſchreibung von der Compoſition der National- Verſammlung! Die große Majoritaͤt der Repraͤ- ſentanten des tiers-état beſtand aus Dorfrich- tern, Dorfpfarrern und mediciniſchen Quackſal- bern; aus einem ganzen Heere ſolcher kleinen vermittelnden, natuͤrlichen Friedensrichtern. Dieſe hatten ihr ganzes Leben hindurch die Geſetze in dem gehoͤrigen Detail und Streit ſtudiert; und was iſt aus der Idee des Rechtes geworden, als ſie nun die Geſetzgeber ſpielten! — „Deshalb,” faͤhrt man, ſich mit großer Ein- ſicht auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge beru- fend, fort, „muß die adminiſtrative Behoͤrde von der richterlichen in jedem wohlorganiſirten Staate abſolut getrennt, und der Richter einem bloßen reinen Anpaſſen der vorkommenden Streitfaͤlle auf die beſtehenden Geſetze angewie- ſen ſeyn. Ihm kommt es nicht zu, weder unter den Partheien, noch zwiſchen dem beſtehenden Geſetz und den aus dem neuen intereſſanten Streitfalle hervorgehenden Geſetze zu vermitteln, aus dem alten und aus dem neuen Geſetz ein drittes hoͤheres Geſetz (welches eigentlich nur das heranwachſende, ſich ausbildende alte Geſetz iſt) zu erzeugen; ſondern er ſoll nur die ihm vorgelegte Sache auf der Wage ſeines Verſtan- des nach den ihm von dem Adminiſtrator uͤber-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/229>, abgerufen am 22.11.2024.