Ideen, so gut wie in den Griechischen Göttern, das alte Leben; nur die todten, starren Rechts- begriffe von ihnen bleiben zurück.
Diese Begriffe fügen sich nicht nur nicht in einander, sondern sie widersprechen sich auch, sie zerstören sich, und so kommt eine alte, ehr- würdige Verfassung, die natürlich und eben des- halb vortrefflich ist, in solche Geringschätzung, daß sie zum Gespötte des Pöbels wird, aber nicht deswegen, weil sie alt geworden (was ihr höchster Vorzug seyn würde), oder den Zei- ten nicht angemessen, sondern weil ihr Dienst in dem Herzen des Volkes erstorben ist, weil diesem die Kraft gebricht, das Alte zu ver- jüngen, weil nur Begriffe von ihr und keine Ideen im Schwange gehn, diese Begriffe aber sich gegenseitig abstoßen, und dennoch jeder ein- zelne derselben von dem besonders dabei interes- sirten Bürger krampfhaft festgehalten und als ein kleiner Götze verehrt wird.
Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff Adel; einen Gott Adel und einen Götzen Adel. Wenn das Göttliche in solchen Institutionen ausgestorben ist, und der götzenhafte Begriff al- lein zurückbleibt, dann hält sich jeder einzelne Bürger an den ihn vorzüglich interessirenden Buchstaben: der Adel an seinen todten Privile-
Ideen, ſo gut wie in den Griechiſchen Goͤttern, das alte Leben; nur die todten, ſtarren Rechts- begriffe von ihnen bleiben zuruͤck.
Dieſe Begriffe fuͤgen ſich nicht nur nicht in einander, ſondern ſie widerſprechen ſich auch, ſie zerſtoͤren ſich, und ſo kommt eine alte, ehr- wuͤrdige Verfaſſung, die natuͤrlich und eben des- halb vortrefflich iſt, in ſolche Geringſchaͤtzung, daß ſie zum Geſpoͤtte des Poͤbels wird, aber nicht deswegen, weil ſie alt geworden (was ihr hoͤchſter Vorzug ſeyn wuͤrde), oder den Zei- ten nicht angemeſſen, ſondern weil ihr Dienſt in dem Herzen des Volkes erſtorben iſt, weil dieſem die Kraft gebricht, das Alte zu ver- juͤngen, weil nur Begriffe von ihr und keine Ideen im Schwange gehn, dieſe Begriffe aber ſich gegenſeitig abſtoßen, und dennoch jeder ein- zelne derſelben von dem beſonders dabei intereſ- ſirten Buͤrger krampfhaft feſtgehalten und als ein kleiner Goͤtze verehrt wird.
Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff Adel; einen Gott Adel und einen Goͤtzen Adel. Wenn das Goͤttliche in ſolchen Inſtitutionen ausgeſtorben iſt, und der goͤtzenhafte Begriff al- lein zuruͤckbleibt, dann haͤlt ſich jeder einzelne Buͤrger an den ihn vorzuͤglich intereſſirenden Buchſtaben: der Adel an ſeinen todten Privile-
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Ideen, ſo gut wie in den Griechiſchen Goͤttern,
das alte Leben; nur die todten, ſtarren Rechts-
begriffe von ihnen bleiben zuruͤck.
Dieſe Begriffe fuͤgen ſich nicht nur nicht in
einander, ſondern ſie widerſprechen ſich auch,
ſie zerſtoͤren ſich, und ſo kommt eine alte, ehr-
wuͤrdige Verfaſſung, die natuͤrlich und eben des-
halb vortrefflich iſt, in ſolche Geringſchaͤtzung,
daß ſie zum Geſpoͤtte des Poͤbels wird, aber
nicht deswegen, weil ſie alt geworden (was
ihr hoͤchſter Vorzug ſeyn wuͤrde), oder den Zei-
ten nicht angemeſſen, ſondern weil ihr Dienſt
in dem Herzen des Volkes erſtorben iſt, weil
dieſem die Kraft gebricht, das Alte zu ver-
juͤngen, weil nur Begriffe von ihr und keine
Ideen im Schwange gehn, dieſe Begriffe aber
ſich gegenſeitig abſtoßen, und dennoch jeder ein-
zelne derſelben von dem beſonders dabei intereſ-
ſirten Buͤrger krampfhaft feſtgehalten und als
ein kleiner Goͤtze verehrt wird.
Es giebt eine Idee Adel und einen Begriff
Adel; einen Gott Adel und einen Goͤtzen Adel.
Wenn das Goͤttliche in ſolchen Inſtitutionen
ausgeſtorben iſt, und der goͤtzenhafte Begriff al-
lein zuruͤckbleibt, dann haͤlt ſich jeder einzelne
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Buchſtaben: der Adel an ſeinen todten Privile-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/197>, abgerufen am 23.11.2024.
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