sollen. Wie verschieden die Nahmen auch klin- gen --: Jeder weiß, was ich meine. Das mit diesen beiden Nahmen bezeichnete Wesen soll, nach Moses und allen Gesetzgebern der Welt, ein in sich selbst einziges Wesen seyn. Moses verlangt vor allen andern Dingen die Anerken- nung des einzigen Gottes; eben so verlangen alle andern weltlichen Gesetzgeber stillschweigend oder ausdrücklich die Anerkennung eines einzigen Rech- tes. Dessen ungeachtet finden wir bei den reli- giösesten Völkern den Dienst mehrerer Götter, in den rechtlichsten Staaten die Aufrechthaltung mehrerer Rechte. -- Ist da kein Widerspruch? Verträgt sich wirklich die Lehre von Einem Gott mit mehreren Göttern, die Lehre von Einem Recht mit mehreren Rechten? --
Mögen es ursprünglich die verherrlichten He- roen und Stifter der Völker, oder personificirte Naturkräfte gewesen seyn, aus denen sich der Kreis der Griechischen Götter entwickelt hat --: so wie sie uns in den Werken der Alten inner- lich ansprechen, sind es Ideen, verschieden ge- staltete, aber lebendige, persönliche Ausdrücke von dem Leben der Menschheit. So wie sie uns in ihrem allerältesten Dienste erscheinen, wider- sprechen sie einander nicht; der Dienst der Einen Gottheit schließt den Dienst der andern nicht
ſollen. Wie verſchieden die Nahmen auch klin- gen —: Jeder weiß, was ich meine. Das mit dieſen beiden Nahmen bezeichnete Weſen ſoll, nach Moſes und allen Geſetzgebern der Welt, ein in ſich ſelbſt einziges Weſen ſeyn. Moſes verlangt vor allen andern Dingen die Anerken- nung des einzigen Gottes; eben ſo verlangen alle andern weltlichen Geſetzgeber ſtillſchweigend oder ausdruͤcklich die Anerkennung eines einzigen Rech- tes. Deſſen ungeachtet finden wir bei den reli- gioͤſeſten Voͤlkern den Dienſt mehrerer Goͤtter, in den rechtlichſten Staaten die Aufrechthaltung mehrerer Rechte. — Iſt da kein Widerſpruch? Vertraͤgt ſich wirklich die Lehre von Einem Gott mit mehreren Goͤttern, die Lehre von Einem Recht mit mehreren Rechten? —
Moͤgen es urſpruͤnglich die verherrlichten He- roen und Stifter der Voͤlker, oder perſonificirte Naturkraͤfte geweſen ſeyn, aus denen ſich der Kreis der Griechiſchen Goͤtter entwickelt hat —: ſo wie ſie uns in den Werken der Alten inner- lich anſprechen, ſind es Ideen, verſchieden ge- ſtaltete, aber lebendige, perſoͤnliche Ausdruͤcke von dem Leben der Menſchheit. So wie ſie uns in ihrem alleraͤlteſten Dienſte erſcheinen, wider- ſprechen ſie einander nicht; der Dienſt der Einen Gottheit ſchließt den Dienſt der andern nicht
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ſollen. Wie verſchieden die Nahmen auch klin-
gen —: Jeder weiß, was ich meine. Das mit
dieſen beiden Nahmen bezeichnete Weſen ſoll,
nach Moſes und allen Geſetzgebern der Welt,
ein in ſich ſelbſt einziges Weſen ſeyn. Moſes
verlangt vor allen andern Dingen die Anerken-
nung des einzigen Gottes; eben ſo verlangen alle
andern weltlichen Geſetzgeber ſtillſchweigend oder
ausdruͤcklich die Anerkennung eines einzigen Rech-
tes. Deſſen ungeachtet finden wir bei den reli-
gioͤſeſten Voͤlkern den Dienſt mehrerer Goͤtter,
in den rechtlichſten Staaten die Aufrechthaltung
mehrerer Rechte. — Iſt da kein Widerſpruch?
Vertraͤgt ſich wirklich die Lehre von Einem Gott
mit mehreren Goͤttern, die Lehre von Einem
Recht mit mehreren Rechten? —
Moͤgen es urſpruͤnglich die verherrlichten He-
roen und Stifter der Voͤlker, oder perſonificirte
Naturkraͤfte geweſen ſeyn, aus denen ſich der
Kreis der Griechiſchen Goͤtter entwickelt hat —:
ſo wie ſie uns in den Werken der Alten inner-
lich anſprechen, ſind es Ideen, verſchieden ge-
ſtaltete, aber lebendige, perſoͤnliche Ausdruͤcke
von dem Leben der Menſchheit. So wie ſie uns
in ihrem alleraͤlteſten Dienſte erſcheinen, wider-
ſprechen ſie einander nicht; der Dienſt der Einen
Gottheit ſchließt den Dienſt der andern nicht
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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