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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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jedes fing an die Eigenthümlichkeit des andern
zu würdigen; jedes konnte Wortführer des an-
dern werden, wie oben das Alter Wortführer
der Jugend, und umgekehrt, das Recht Reprä-
sentant der Oekonomie, und umgekehrt, der Krieg
Wortführer des Friedens, und umgekehrt; und
so wurde der Mensch immer mehr in der Idee,
d. h. vollständig und allseitig, bewegt und leben-
dig erkannt. Jeder Einzelne stellte mehr das
Ganze der Familie, und also das Ganze des
Staates, dar. Neben der Kraft und der Strenge
trat die Liebe und die Milde in ihr altes, unver-
jährbares Recht. Wie viele große und mensch-
liche Ideen sich an die Eine Grund-Idee von
der Ehrfurcht vor der menschlichen Schwäche
und Gebrechlichkeit anknüpften, springt in die
Augen: die Gleichheit der Menschen vor der
Idee Gottes oder des Rechtes; die Achtung des
Menschen für den Menschen, als solchen, und
von dem sich -- wie ohnmächtig er auch erschien
-- nach dem großen Beispiele, welch s voran-
gegangen war, nicht sagen ließ, ob sich Gott
nicht auch in ihm offenbaren werde; die Achtung
der Person für die Person, als solche; mit Einem
Wort, die Achtung für das Persönliche im Men-
schen, nicht das Sächliche, nicht die bloße physi-
sche Kraft und Bedeutung. Kurz, es wurde klar

jedes fing an die Eigenthuͤmlichkeit des andern
zu wuͤrdigen; jedes konnte Wortfuͤhrer des an-
dern werden, wie oben das Alter Wortfuͤhrer
der Jugend, und umgekehrt, das Recht Repraͤ-
ſentant der Oekonomie, und umgekehrt, der Krieg
Wortfuͤhrer des Friedens, und umgekehrt; und
ſo wurde der Menſch immer mehr in der Idee,
d. h. vollſtaͤndig und allſeitig, bewegt und leben-
dig erkannt. Jeder Einzelne ſtellte mehr das
Ganze der Familie, und alſo das Ganze des
Staates, dar. Neben der Kraft und der Strenge
trat die Liebe und die Milde in ihr altes, unver-
jaͤhrbares Recht. Wie viele große und menſch-
liche Ideen ſich an die Eine Grund-Idee von
der Ehrfurcht vor der menſchlichen Schwaͤche
und Gebrechlichkeit anknuͤpften, ſpringt in die
Augen: die Gleichheit der Menſchen vor der
Idee Gottes oder des Rechtes; die Achtung des
Menſchen fuͤr den Menſchen, als ſolchen, und
von dem ſich — wie ohnmaͤchtig er auch erſchien
— nach dem großen Beiſpiele, welch s voran-
gegangen war, nicht ſagen ließ, ob ſich Gott
nicht auch in ihm offenbaren werde; die Achtung
der Perſon fuͤr die Perſon, als ſolche; mit Einem
Wort, die Achtung fuͤr das Perſoͤnliche im Men-
ſchen, nicht das Saͤchliche, nicht die bloße phyſi-
ſche Kraft und Bedeutung. Kurz, es wurde klar

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[148/0182] jedes fing an die Eigenthuͤmlichkeit des andern zu wuͤrdigen; jedes konnte Wortfuͤhrer des an- dern werden, wie oben das Alter Wortfuͤhrer der Jugend, und umgekehrt, das Recht Repraͤ- ſentant der Oekonomie, und umgekehrt, der Krieg Wortfuͤhrer des Friedens, und umgekehrt; und ſo wurde der Menſch immer mehr in der Idee, d. h. vollſtaͤndig und allſeitig, bewegt und leben- dig erkannt. Jeder Einzelne ſtellte mehr das Ganze der Familie, und alſo das Ganze des Staates, dar. Neben der Kraft und der Strenge trat die Liebe und die Milde in ihr altes, unver- jaͤhrbares Recht. Wie viele große und menſch- liche Ideen ſich an die Eine Grund-Idee von der Ehrfurcht vor der menſchlichen Schwaͤche und Gebrechlichkeit anknuͤpften, ſpringt in die Augen: die Gleichheit der Menſchen vor der Idee Gottes oder des Rechtes; die Achtung des Menſchen fuͤr den Menſchen, als ſolchen, und von dem ſich — wie ohnmaͤchtig er auch erſchien — nach dem großen Beiſpiele, welch s voran- gegangen war, nicht ſagen ließ, ob ſich Gott nicht auch in ihm offenbaren werde; die Achtung der Perſon fuͤr die Perſon, als ſolche; mit Einem Wort, die Achtung fuͤr das Perſoͤnliche im Men- ſchen, nicht das Saͤchliche, nicht die bloße phyſi- ſche Kraft und Bedeutung. Kurz, es wurde klar

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/182>, abgerufen am 24.11.2024.